Martin Steiger, CEO Energiedienst Holding AG

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Steiger, die Zahlen für das erste Halbjahr lagen im Rahmen Ihrer Erwartungen, vor allem nach dem Ökostrom «NaturEnergie» gab es eine gesteigerte Nachfrage (plus 25% auf 1’081 Millionen kWh). Wie können Sie den steigenden Bedarf nach Ökostrom in Zukunft abdecken, wo können Sie zusätzliche Kapazitäten schaffen?


Martin Steiger: Die bereits 1998 auf dem deutschen Markt eingeführte Öko-Marke NaturEnergie erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Absatzmengen, die es mit der unseren Qualitätsanforderung genügenden Wasserkraft abzudecken gilt. Darum gehört es zu unseren strategischen Stossrichtungen, laufend nach weiteren Erzeugungsquellen regenerativer Energien zu suchen und diese zu erschliessen. Das Kraftwerk Rheinfelden wird sukzessive bis Ende dieses Jahres den Betrieb aufnehmen und somit unsere Produktion stärken. Grossprojekte dieser Art sind in unseren Regionen leider aber kaum mehr realisierbar, weshalb wir uns auf kleinere Anlagen konzentrieren. Im Wallis haben wir bereits einige Kleinwasserkraftwerke realisiert. Bei anderen sind wir in der Projektierungsphase und in Konzessionsverfahren.


Während vor allem der Automobilsektor in Deutschland schon wieder einen markanten Aufschwung und damit verbunden einen erhöhten Energiebedarf verzeichnen, ist die Entwicklung Ihrer Kunden in der Schweiz noch verhalten. Welche Prognosen geben Sie für die zweite Jahreshälfte ab, wie wird sich der Energiebedarf in Ihren Hauptmärkten entwickeln?


Unsere Vorschaurechnung geht davon aus, dass sich in der zweiten Jahreshälfte das Verbrauchsverhalten wie im ersten Halbjahr fortsetzt.



«Energiedienst sucht nach weiteren Energiequellen auf regenerativer Basis. Diese Woche haben wir mit dem Bau eines Kleinwasserkraftwerks bei Hausen im Wiesental (Südwest-Baden) begonnen, weitere Projekte sind, wie bereits erwähnt auch im Wallis, in der Pipeline.» Martin Steiger, CEO Energiedienst Holding AG


Alle reden von Ökostrom, sobald es aber um die Bewilligung eines Windparks, zusätzlicher Wasserkraftwerke oder die Erhöhung einer Staumauer geht, blockieren vor allem Umweltverbände die Projekte. Wie beurteilen Sie hier die Entwicklung in der Schweiz, wie sind wir bezüglich alternativer Energien positioniert, welche Chancen haben wir als Entwicklungsstandort für saubere Energie?


Unsere Energiezukunft wird äusserst kontrovers diskutiert. Die Vorstellungen, was unter sauberer Energie zu verstehen ist, sind auch unterschiedlich. Interessanterweise ist es oft nicht die örtliche Bevölkerung, die sich betroffen fühlt und sich gegen Kraftwerksvorhaben stemmt, sondern sich dazu berufen fühlende Interessenverbände. Dieser Widerstand erschwert und verteuert die Projekte. Der Eigenversorgungsgrad und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Elektrizitätswirtschaft der Schweiz dürften mittel- bis langfristig sinken, die Kontrolle über den Energiemix geht verloren.


Der Neubau des Wasserkraftwerkes Rheinfelden, der die Leistung des bestehenden Kraftwerkes verdreifachen wird, startete 1954 mit der Planung, 1998 wurde die Baugenehmigung erteilt und 2003 konnte der Baustart erfolgen. Aktuell versucht die Interessensgemeinschaft «Pro Steg» den Abriss des 112 Jahre alten Gebäudes des Wasserkraftwerks in letzte Minute zu verhindern. Wo stehen Sie beim Baufortschritt für das neue Gebäude und gibt es von der Energiedienst Holding AG weitere Projekte, die Wasserkraft als saubere Energiequelle vermehrt zu nutzen?


Mit dem Neubau des KW Rheinfelden sind wir im Zeit- und Kostenplan. Am 30. Juli ist die zweite Maschine in den Probebetrieb gegangen. Die beiden Turbinen verarbeiten mit 750 m3 mehr Wasser als das alte Kraftwerk, weshalb dieses folgerichtig auch abgestellt worden ist. Damit schreitet das Projekt voran, das sich auf eine rechtskräftige, durch das Regierungspräsidium Freiburg kürzlich nochmals bestätigte, Baugenehmigung abstützt. Man hat in den 90er Jahren alle Betroffenen beteiligt. Nach intensiven Diskussionen haben sich die Schweizer und die deutschen Behören für eine ausserordentliche Umweltverträglichkeit des Neubaus entschieden und nicht für den Denkmalschutz. Das war ein wichtiges Signal, das noch heute Bestand hat.


Energiedienst sucht nach weiteren Energiequellen auf regenerativer Basis. Diese Woche haben wir mit dem Bau eines Kleinwasserkraftwerks bei Hausen im Wiesental (Südwest-Baden) begonnen, weitere Projekte sind, wie bereits erwähnt auch im Wallis, in der Pipeline.


Die Wasser- und Kernkraftwerke in der Schweiz sind altersbedingt zum grössten Teil abgeschrieben und dürften keine hohen Kapitalkosten mehr generieren. Wäre jetzt, auch bedingt durch die wirtschaftlich schwierige Lage, nicht ein idealer Zeitpunkt neue Projekte zu tendenziell tiefen Kosten und mit Hilfe staatlicher Stützprogramme zu initiieren?


Kraftwerksprojekte sollten nach unserer Auffassung grundsätzlich selbständig wirtschaftlich darstellbar sein. Dennoch gibt es politisch begründete Situationen, Technologien mit Anschubfinanzierung zu fördern. Letztendlich unterliegen Investitionsentscheide für neue Kraftwerksanlagen einer Vielzahl exogener Faktoren, so dass das Timing nicht immer ideal bestimmt werden kann.



«Unsere Erfahrungen aus Deutschland haben uns gelehrt, dass Privatkunden anfänglich sehr zurückhaltend sind, den Lieferanten zu wechseln.»


In Deutschland liefern Sie etwa einen Viertel Ihrer gesamten Stromproduktion an Privatkunden, zwei Viertel an Geschäftskunden und einen Viertel an Weiterverteiler. Per 1. Januar 2014 soll, vorbehältlich eines fakultativen Referendums, der Strommarkt für Privatpersonen auch in der Schweiz liberalisiert werden. Wie gross schätzen Sie die Wechselbereitschaft der Privatkunden ein und wie soll sich dieser Schritt auf Ihr Geschäft auswirken? 


Unsere Erfahrungen aus Deutschland haben uns gelehrt, dass Privatkunden anfänglich sehr zurückhaltend sind, den Lieferanten zu wechseln. Erst die Einführung und Bewährung standardisierter Wechselprozesse und eine stärkere mediale Begleitung haben die Wechselraten erhöht. Wie sich das Kundenverhalten im Jahre 2014 einstellen wird, kann erst später abgeschätzt werden.


Die Strommarktliberalisierung von 2009 führte in der Schweiz zum Erstaunen aller Verbraucher statt zu tieferen zu höheren Preisen. Derselbe Effekt wird auch beim Geschäft mit den Privatpersonen erwartet, eine Preissteigerung von bis zu 20% wird diskutiert. Wieso sorgt im Strommarkt anders als in allen anderen Märkten eine Liberalisierung zu höheren Preisen und wieso sollen Verbraucher dann einer Liberalisierung überhaupt zustimmen?


Die Liberalisierung in Deutschlang fiel in eine Periode eines Angebotsüberhangs. Man erinnere sich an die Diskussion über Nicht-Amortisierbare-Investitionen. Das Greifen der Marktmechanismen löste einen Preiseinbruch von bis zu 40% aus. Diese sogenannten Liberalisierungsgewinne sind durch den Staat durch Einführung neuer Abgaben abgeschöpft worden. Auch in der Schweiz ist die Produktion zusehends durch erhöhte Wasserzinsen, Heimfallverzichtsentschädigungen und Systemdienstleistungen verteuert worden. Kundenseitig werden ebenso Systemdienstleistungen und KEV (kostendeckende Einspeisevergütung) belastet. Diese neuen Kostenelemente können unternehmerisch nicht wegbedingt werden.



«Eine Mischung von offenem und geschütztem Markt kann nicht funktionieren; bestenfalls als Übergangslösung. Die Politik sollte sich zuerst die Frage stellen, ob die Stromversorgung eine rein öffentliche Aufgabe bleiben soll oder ob sie Privaten übertragen werden.»


Die Vorteile einer Liberalisierung dürfen nicht alleine an den Preisen gemessen werden. Wettbewerb wirkt sich auch auf die Kundenorientierung, -service und Produktinnovationen aus, sowie auf das Kostengebahren der Versorgungsunternehmen aus; Vorteile die über kurz oder lang auch dem Privatkunden zuteil werden.


Wenn, wie in der Schweiz durch die Politik festgelegt, Grosskunden den Strom zu den Gestehungskosten beziehen können, wie soll dann ein Markt entstehen, zumal 85% der Stromversorger in öffentlicher Hand sind und was wäre ein besseres Alternativmodell zu demjenigen der Schweiz?


Eine Mischung von offenem und geschütztem Markt kann nicht funktionieren; bestenfalls als Übergangslösung. Die Politik sollte sich zuerst die Frage stellen, ob die Stromversorgung eine rein öffentliche Aufgabe bleiben soll oder ob sie Privaten übertragen werden. Auch hier ist eine Mischung nicht förderlich, vor allem wenn der Markt liberalisiert werden soll. Bei Bejahung zur Liberalisierung ist diese konsequent durchzuführen, das heisst, das natürliche Monopol (Netze – Transport und Verteilung) ist klar zu regulieren und von wettbewerbsorientierten Geschäft (Produktion, Vertrieb und Dienstleistungen) abzutrennen. Der Wettbewerbsteil des Strompreises, also die Energie, ist den Marktkräften zu überlassen und nur durch Missbrauchsregeln zu überwachen.


Die ganze Erzeugung, Verteilung und Verwendung von Strom soll in Zukunft viel intelligenter werden. Stichworte dazu sind «smart mobility», «smart grid» und «smart metering». Wo stehen wir aktuell bei diesen Themen, wo kann die Schweiz uch international mithalten, wo müssen wir noch aufholen?


Bis hier industrielle, durchgängige Lösungen umsetzbar sind, wird noch einige Zeit vergehen. Wie so oft verbergen sich hinter Modewörtern viel Wunschdenken und ganz unterschiedliche Vorstellungen.



«Die strikte Netzregulierung, das sich ausdehnende EEG und die weiteren Abgaben, verringern enorm den Teil des Endverkaufspreises, der unternehmerisch gestaltet werden kann»


Mit dem Förderkatalog des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) und der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) profitieren Sie in Ihren beiden Absatzmärkten von einem gesetzlich garantierten Abnahmepreis. Die Hälfte der Energie geben Sie zu Gestehungskosten an die Axpo ab. Wir gross sind in dieser Konstellation das unternehmerische Risiko und die Gestaltungsfreiräume für neue Produkte? 


EEG und KEV bezwecken die Förderung der Produktion erneuerbarer Energien. Wenn diese Förderung beansprucht wird, kann diese Energie nicht mehr selbst verwertet werden. Dennoch geht Ihre Frage in die richtige Richtung, denn die strikte Netzregulierung, das sich ausdehnende EEG und die weiteren Abgaben, verringern enorm den Teil des Endverkaufspreises, der unternehmerisch gestaltet werden kann.


Ihr Haupteigner, die Energie Baden-Württemberg (EnBW), besitzt über 80% des Aktienkapitals. Das gibt zum einen viel Sicherheit, limitiert aber die Attraktivität für weitere Anleger (Aktie wird nicht im SPI geführt, kleiner Anteil an frei verfügbaren Aktien). Eine Übernahme durch Aktientausch könnte die Situation entschärfen. Welche interessanten Übernahme-Kandidaten gibt es dafür in Ihrem Marktsegment oder gibt es zusätzliche Segmente, in die Sie diversifizieren könnten?


Betreffend der Absichten unseres Haupteigners müssen Sie diesen selbst fragen. Aufgrund der Tatsache, dass vier Fünftel des Schweizerischen Strommarktes der öffentlichen Hand gehören, sind die akquisitorischen Spielräume bescheiden.


Welche Aufgaben haben bei Ihnen aktuell die höchste Priorität auf der strategischen und operativen Ebene?


Auf der strategischen Ebene stehen wir zur Zeit in der Abstimmung mit unserem Haupteigner, operativ arbeiten wir mit Hochkonzentration an der Fertigstellung des neuen Kraftwerks in Rheinfelden, dem Ausbau unserer vertrieblichen Aktivitäten wie auch an den laufend sich ändernden Anforderungen des Regulators.


Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen diese aus?


1. Dass dem Schweizer Gesetzgeber bei der Revision des StromVG eine zukunftsträchtige und bestandesfähige Energiepolitik gelingt.
2. Dass sich die Energiepolitik in Europa wieder stärker am Allgemeininteresse als an der Vielzahl von Partikularinteressen orientiert.





Der Gesprächspartner:
Martin Steger, Lic. oec. HSG, dipl. Wirtschaftsprüfer, Vorsitzender der Geschäftsleitung EDH
– 1983 – 1989 Wirtschaftsprüfung, Arthur Andersen AG, Zürich
– 1989 – 1992 Leiter Controlling, Bull (Schweiz) AG, Zürich
– 8/1992 – 11/1999 Leiter Finanzen, Energiedienst Holding AG
– 9/1994 – 12/2006 Geschäftsführer der Energiedienst Netze GmbH
– seit 11/1999 Vorstand Energiedienst AG
– seit 11/1999 Geschäftsleitung Energiedienst Holding AG
– seit 11/2008 Vorsitzender der Geschäftsleitung


Das Unternehmen:
Die Energiedienst Holding AG (EDH) konzentriert sich in ihren Kernaktivitäten auf den Bereich Strom sowie diverse Energiedienstleistungen. Als Unternehmensgruppe ist die EDH vertikal integriert und deckt im Bereich Strom sämtliche Stufen der Wertschöpfungskette eines Stromversorgers ? also Produktion, Portfoliomanagement, Verteilnetze und Vertrieb ? ab. Der Hauptsitz ist in Laufenburg (CH). Weitere wesentliche Standorte sind die Verwaltungen in Rheinfelden (D) und Donaueschingen sowie die eigenen Wasserkraftwerke in Rheinfelden, Laufenburg und Grenzach-Wyhlen. Die Betriebsstützpunkte sind im gesamten südbadischen Netzgebiet verteilt.

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