Martin Zenhäusern: Verhalten

Thierry Henry hat sein Handspiel im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Irland zugegeben. Frankreich hat sich also an die Fussball-WM in Südafrika betrogen. Ein anderer, früher auffälliger Spieler, heute oft ausfälliger Trainer, trägt den Makel der Hand Gottes wie eine schwere Bürde auf seinem Rücken. Auch er hat betrogen, genauso wenig sanktioniert wie sein französischer Kollege. Hinzu kommen nun eine noch unbekannte Zahl von Spielern, Funktionären und Schiedsrichtern im neuen Fussball-Wettskandal, der in ganz Europa Wellen wirft.

In der Wirtschaft verhält es sich ähnlich wie im Sport. So beschäftigen sich französische Strafbehörden mit dem bisher grössten Insiderfall, da offensichtlich Manager und Grossaktionäre des Rüstungs- und Raumfahrtkonzerns EADS Aktien und Optionen im Wert von Millionen mit Gewinn verkauft haben sollen, kurz bevor Produktionsprobleme publik wurden, worauf die EADSAktie abstürzte. Wie eine aktuelle PWC-Studie zum wiederholten Mal belegt: Wenn in den Unternehmen betrogen wird, dann sind es nicht die kleinen Mitarbeiter, sondern die Manager, und zwar diejenigen ziemlich weit oben in der Hierarchie. 70 Prozent der Täter sind Manager. Besonders bedenkenswert: Betrug in einem Unternehmen lohnt sich offenbar, denn nur 55 Prozent der Täter wurden entlassen und lediglich bei jedem Vierten eine Strafanzeige eingereicht. Fast die Hälfte, so besagt die Studie, konnten im Unternehmen weiterarbeiten. Je höher ein Manager in der Hierarchie stehe, desto unwahrscheinlicher seien Strafanzeigen.

Ein Zerrbild der eigenen Realität
Und was ist der Antrieb, sein eigenes Unternehmen zu betrügen? Die überwiegende Mehrheit der Täter nannte als Grund, sie wollten ihren Lebensstandard halten. Andere vertreten die Meinung, es stünde ihnen einfach zu. Was verrät diese Geisteshaltung? Nichts Anderes, als was wir bereits bei der Subprime-Krise erfahren haben: Viele leben über dem Standard, den sie sich leisten können. Also viel mehr Schein als Sein. Anderen imponieren wollen, anstatt sich als das zu sehen, was man wirklich ist. Daraus entsteht ein Zerrbild der eigenen Realität, das man mit allen, auch unerlaubten Mitteln aufrecht erhalten will.


Einer bestimmt die Portion, der andere wählt
Warum wird uns so oft diese unappetitliche Suppe vorgesetzt? Welche Ingredienzien fehlen, um aus dieser Brühe ein Gedicht für Feinschmecker zu machen? Zuerst einmal fehlt die Fairness. Fairness zeigt sich am besten darin, wie wir uns verhalten, wenn gerade niemand hinschaut. Fairness ist eine Einstellung, die das Klima und die Kultur eines Unternehmens widerspiegelt. Wir erleben im Sport ? und auch in der Wirtschaft ? immer wieder, wie Fairness gepredigt, auf dem Feld jedoch mit Füssen getreten wird. Etwas zynisch könnte man sagen: Fairness herrscht immer vor dem Spiel. Der deutsche Staatsmann Gustav Stresemann kannte ein unfehlbares Rezept, wie eine Sache fair und gerecht unter Menschen aufgeteilt wird: Einer darf die Portion bestimmen, und der andere hat die Wahl.


Charakter ohne Wenn und Aber 
Dann fehlt als weitere Ingredienz: Charakter. Ob ein Charakter gut oder schlecht ist, erkennen wir erst in der Summe der Taten über einen längeren Zeitraum. Wir können jedoch davon ausgehen, dass ein im Wortsinne guter Charakter auf Dauer gute Taten vollbringen wird, während ein schlechter Charakter letztlich schlechte Ergebnisse produzieren wird. Der deutsche Aphoristiker Lothar Schmidt hat es treffend auf den Punkt gebracht: «Der Charakter zeigt sich im Verhalten eines Menschen jenen gegenüber, die ihm nichts nützen.»


Teams und Metastasen
Und es fehlt an der richtigen Einstellung. Deshalb kann man es nicht häufig genug wiederholen: Mitarbeitende, besonders auch Leistungsträger mit einem schlechten Verhalten, sollte man so rasch wie möglich feuern. Ansonsten wirken sie wie Metastasen in einem langsam kränker werdenden Organismus. Für kritische Betrachter der Wirtschaft ist es deshalb nicht nachvollziehbar, wenn beispielsweise komplette Teams von einer Bank zu einer anderen wechseln. Oft mussten sie wechseln, weil sie den Bogen überspannt hatten. Sie funktionieren als verschworene Einheit gleichsam als Unternehmen im Unternehmen und sind kaum zu kontrollieren oder unter Kontrolle zu halten. Konstanz und Vertrauen werden auf diese Weise jedenfalls nicht aufgebaut.


Wenn?s persönlich weh tut
Zu welchem Verdikt sollten wir gelangen, wenn wir die unterschiedlichen Taten und Täter bewerten? Die Vorschläge der Reihe nach: Thierry Henry kann seine Ferien für Sommer 2010 buchen, überall, nur nicht in Südafrika. Er wird von der FIFA für die Dauer der Weltmeisterschaft gesperrt. Dieses Urteil hat abschreckende Wirkung auf künftige Täter. Jeder Spieler wird sich von nun an ein solch augenfälliges und Wettbewerb verzerrendes Fehlverhalten zweimal überlegen, wenn er dafür persönlich zur Rechenschaft gezogen wird. Die in den Wettskandal involvierten Personen werden lebenslänglich gesperrt.


Manager, die mit krimineller Energie ausgestattet sind, sei dies bei EADS oder anderswo, werden zur Rechenschaft gezogen. Sie haben erstens im Unternehmen nichts mehr zu suchen und müssen zweitens für die Verluste oder den Betrug finanziell gerade stehen. Dazu benötigen wir keine neuen Gesetze. Die bestehenden sind völlig ausreichend. Sie müssen nur konsequent angewendet werden.



Vorbilder und Orientierung 
Was wären die gesellschaftlichen Konsequenzen aus einem solch konsequenten Vorgehen? Wenn wir uns zweimal überlegen müssten, ob sich Unfairness oder Betrug lohnen? Wenn vernünftig angewendete Spielregeln und Gesetze eine durchaus erwünschte Abschreckung vor Straftaten bewirken, kann dies mit der Zeit zu einer Verhaltensänderung führen, dann nämlich, wenn das richtige Verhalten in der öffentlichen Wahrnehmung höher bewertet wird als ein Fehlverhalten. Sobald wir weniger von Egoismus und Gier getrieben werden, weil diese bei Fehlverhalten sanktioniert werden, kann dies zu mehr Solidarität und Fairness führen. Letztlich zu einer besseren Orientierung und zu mehr positiven Vorbildern, die zur Zeit vielen noch fehlen, um sich neu ausrichten zu können. Im Sport genauso wie in Wirtschaft und Politik.


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Martin Zenhäusern
Martin Zenhäusern, Unternehmer und Ratgeber für Führungskräfte. Im Oktober 2009 ist seine neue Publikation erschienen: «Warum tote Pferde reiten? Wie uns die Net-Generation zwingt umzusatteln». «Als Berater von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur hat er ein feines Gespür für Veränderungen entwickelt, die zuerst nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden, bevor sie plötzlich und wie selbstverständlich zum breit diskutierten öffentlichen Thema werden» (Orell Füssli über den Autor). Zenhäusern ist zudem Autor von «Chef aus Passion» und «Der erfolgreiche Unternehmer». Gründer und Inhaber der Zenhäusern & Partner AG sowie der Zenhäusern Akademie AG, beide in Zürich. www.zenhaeusern.ch .

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