Philipp Gmür, CEO Helvetia Schweiz: «Neben organischem Wachstum sind auch Akquisitionen denkbar, vor allem in Spanien, Deutschland oder Italien.»

Philipp Gmür, CEO Helvetia Schweiz: «Neben organischem Wachstum sind auch Akquisitionen denkbar, vor allem in Spanien, Deutschland oder Italien.»

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Gmür, nach einem hervorragenden Ergebnis im 2006 (Reingewinn plus 40,4% auf 423,8 Millionen CHF) hatten Sie angekündigt, dass Sie das «gesunde Wachstum dynamisieren» und ein über dem Markt liegendes Wachstum erzielen möchten. Mit den Halbjahreszahlen 2007 haben Sie zumindest die Erwartungen der Analysten verfehlt. Wie beurteilen Sie selbst die Leistungen des ersten halben Jahres?


Philipp Gmür: Ein genaues Hinschauen vermittelt ein differenziertes Bild: Wir sind in praktisch allen Branchen über dem Markt gewachsen. Besonders erfreulich ist die Prämienentwicklung in der Schadensversicherung und bei den Fondspolicen. Dazu kommt ein wiederum gutes Resultat im Lebengeschäft. Unter den Erwartungen fiel das Nichtleben-Ergebnis aus, bedingt durch Unwetterschäden in der Schweiz und im Ausland sowie infolge verschiedener Einmal- und Sondereffekte.



«Die mittelgrossen Gesellschaften, wo auch die Helvetia dazugehört, verfolgen je eine eigenständige, erfolgreiche Strategie, sodass ich kurzfristig nicht mit einer weiteren grösseren Konsolidierung rechne.» Philipp Gmür, CEO Helvetia Schweiz


Der Heimmarkt Schweiz gehört zu den eher gesättigten Märkten (Lebensgeschäft wuchs im 1. Halbjahr um 1.2%). Wachstum muss also in den ausländischen Märkten (Deutschland, Italien, Spanien, Österreich und Frankreich) generiert werden. Werden Sie hier neue Märkte erschliessen oder auf den Ausbau bestehender konzentrieren und wie hoch werden die Investitionen im Ausland für das laufende Jahr ausfallen?


Auf absehbare Zeit werden wir unser Länderportefeuille nicht erweitern. Vielmehr konzentrieren wir uns darauf, die heutigen Positionen auszubauen. Neben organischem Wachstum sind auch Akquisitionen denkbar, vor allem in Spanien, Deutschland oder Italien.


Nebst der Sättigung des Marktes scheint der Schweizer Markt auch bezüglich der Konsolidierung schon ziemlich weit fortgeschritten. Erwarten Sie hier noch eine weitere Welle, welche Unternehmen stehen auf der Liste der möglichen Konsolidierungskandidaten?


Die Versicherungslandschaft sieht heute ganz anders aus als noch vor ein paar Jahren. Getrieben wurde diese Veränderung unter anderem durch Allianz und Generali, die durch Zukäufe und Bündelung kleinerer und mittlerer Gesellschaften in der Schweiz zu wichtigen Playern geworden sind. Mit dem Kauf der Winterthur ist die Axa als weitere ausländische Gesellschaft dazu gekommen. Die Zurich ist mittlerweile der einzige verbliebene Schweizer Global Player. Daneben gibt es viele erfolgreiche Nischenanbieter, die sich in ihren Geschäftsfeldern gut zu behaupten wissen. Die mittelgrossen Gesellschaften, wo auch die Helvetia dazugehört, verfolgen je eine eigenständige, erfolgreiche Strategie, sodass ich kurzfristig nicht mit einer weiteren grösseren Konsolidierung rechne.


Gesättigt, konsolidiert und auch weitgehend reglementiert. Die Versicherungen befinden sich in einer ähnlichen Situation wie die Pharmaunternehmen. Welche Innovationen erwarten Sie im Schweizer Markt und sehen Sie eine ähnliche Entwicklung, wie bei den Pharmagesellschaften, die zwar in der Schweiz noch forschen und entwickeln, aber immer mehr Arbeitsplätze und Vertriebsstrukturen im Ausland schaffen? 


Innovationen erwarte ich eher im Bereich der Prozesse und bei den Geschäftsmodellen als bei den Produkten, obwohl es freilich auch da immer wieder Neuerungen gibt. So zum Beispiel bei den anteilgebundenen Lebensversicherungen. Bei der Helvetia haben wir jüngst auch ein neues Photovoltaikprodukt lanciert. Anders als in der Pharmaindustrie sind unsere Angebote aber nicht telquel auf andere Ländermärkte übertragbar; hier hinken lokale Bestimmungen den in verschiedenen Ländern vergleichbaren Kundenbedürfnissen hinten nach.



«Wir streben auf Gruppenebene einen nachhaltigen ROE von 15% und eine pay-out-ratio von 30% an.» Philipp Gmür


Die Helvetia ist im Ausland vor allem in ländlichen Gebieten tätig im Segment der kleinen und mittleren Unternehmen. Diese Segmente sind traditionell beratungs- und betreuungsintensiv. Wie lässt sich hier das Wachstum mit möglichst tiefen Kosten generieren?


Der Schwerpunkt in eher ländlichen Gebieten und bei Privat- und Gewerbekunden bedingt zwar ein weitverzweigtes und aufwändiges Beraternetz. Der Vorteil liegt aber in der Portefeuillestruktur, die traditionell tiefe Schadenquoten aufweist. Damit werden gewisse Nachteile auf der Kostenseite mehr als wett gemacht. Entscheidend für erfolgreiches Wachstum ist, dass wir den bestehenden Kundenstamm mittels Cross-Selling noch besser abdecken.


Der Kurs der Helvetia Aktie hat mit aktuell 403 CHF bei einem Jahreshoch von 540 CHF vom 26. März 2007 eine deutliche Korrektur erfahren. War das eine fällige Anpassung des hohen Kurses oder ist die Helvetia Aktie unterbewertet?


Die Bewertung widerspiegelt die Erwartungen des Marktes. Wir streben auf Gruppenebene einen nachhaltigen ROE von 15% und eine pay-out-ratio von 30% an. Die kommunizierten Ertragsziele haben wir in der Vergangenheit in der Regel erreicht. Mit einer P/E-ratio von 8 liegen die Helvetia-Aktien im Rahmen vergleichbarer Versicherungstitel und sind auf dem gegenwärtigen Niveau sicher nicht zu teuer.



«Übernahmen sind nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: Wir suchen sie.»


Der Aktionärspool bestehend aus der Patria Genossenschaft (29,8%), Raiffeisen (4%) und Vontobel (4%), sowie die Beteiligung der Münchner Rück (8,2%) halten schon 46% der Aktien. Haben Sie Pläne, hier den Free-Float der Aktien zu erhöhen und bis zu welcher Grenze werden Sie gehen?


Über die Pläne unserer Aktionäre kann ich mich nicht äussern. Immerhin: Der Free Float wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht, und wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung weiter geht. Gleichzeitig rechnen wir aber ebenfalls damit, weiterhin auf ein stabiles Kernaktionariat zählen zu können.


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Die Führungskräfte der Helvetia betonen immer wieder, dass sie an der Selbstständigkeit festhalten und organisch wachsen möchten. Schliessen Sie Übernahmen zur Erreichung der Wachstumsziele in den nächsten beiden Jahren aus?


Übernahmen sind nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: Wir suchen sie. Allerdings ist die Anzahl verfügbarer Objekte zu einem vernünftigen Preis begrenzt, vor allem auch deshalb, weil viele kaufen und wenige verkaufen wollen.


Vor allem die Kooperation mit der Raiffeisen und den Kantonalbanken hat der Helvetia ein umfassendes Vertriebsnetz eröffnet für eigene und ergänzende Produkte. Sind solche Kooperationen im Ausland ebenfalls realisierbar in den nächsten beiden Jahren?


Wir prüfen laufend mögliche Optionen, insbesondere unser erfolgreiches Kooperationsmodell mit Raiffeisen auf ausländische Märkte zu übertragen. Im europäischen Ausland ist der Absatz von Lebens- und Schadenversicherungen über den Bankenkanal schon viel weiter entwickelt als in der Schweiz.


Für den Lebensversicherungsbereich ist der Anlageanteil mitentscheidend für die Rentabilität und Attraktivität der Produkte. Setzen Sie hier für die Produktegestaltung und den Vertrieb weiterhin auf die Kooperationen mit Banken oder erwägen Sie auch andere Wege wie zum Beispiel die Akquisition oder Gründung einer eigenen Bank?


Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir sowohl für die Produktegestaltung (v.a. Vontobel) wie auch für den Produktevertrieb (Raiffeisen und Kantonalbanken) über hervorragende Kooperationspartner verfügen. Vor diesem Hintergrund steht eine eigene Bank nicht zur Diskussion.



«Wir streben eine Combined Ratio von deutlich unter 100% an, und wir gehen davon aus, dass sich der Halbjahreswert von 102% bis zum Jahresende noch verbessern wird.»


Die Combined Ratio (das Verhältnis von Schadenaufwendungen und Kosten zu den verdienten Beiträgen), eine der wichtigsten Kenngrössen im Nicht-Leben Bereich betrug im Jahre 2006 bei der Helvetia 97.2 % und ist nun auf 102% angestiegen (vor allem durch den Wintersturm «Kyrill»). Das ist im Vergleich mit der Konkurrenz immer noch verbesserungsfähig. Wo setzen Sie hier die Zielgrösse für 2007 und die kommenden Jahre und mit welchen Massnahmen wollen Sie die Kosteneffizienz steigern?


Das erste Halbjahr gibt – wie erwähnt – ein etwas verzerrtes Bild wieder. Wir streben eine Combined Ratio von deutlich unter 100% an, und wir gehen davon aus, dass sich der Halbjahreswert von 102% bis zum Jahresende noch verbessern wird. Kostensenkungspotential orten wir vor allem bei der Gestaltung unserer internen Prozesse. Zudem sind wir zurzeit daran zu prüfen, wie wir gruppenweit bzw. länderübergreifend Synergien nutzen könnten. Schliesslich soll aber auch unser Wachstum zu einer Senkung des Kostensatzes beitragen, indem wir ohne Zubau von Kapazitäten mehr Volumen bewältigen.


Ab 24. September wird der Titel der Helvetia im SMIM (Swiss Market Index MID, Index der 30 liquidesten und grössten Mid-Cap-Titel des Schweizer Aktienmarktes) gelistet. Welche konkreten Auswirkungen erwarten Sie durch dieses Listing?


Unmittelbar keine.


Sie sind seit 2003 und somit seit Ihrem 40. Lebensjahr CEO der Helvetia Schweiz und haben für das Jahr 2006 ein Ergebnis vorgelegt, das schwer zu übertreffen ist. Eigentlich Zeit, eine neue Aufgabe zu suchen. Welche beruflichen Ziele haben Sie noch und welche Aufgabe ausserhalb der Helvetia würde Sie reizen?


Ich sehe zurzeit noch genug Herausforderungen darin, zusammen mit meinem Team die Helvetia Schweiz noch erfolgreicher zu machen und damit einen wesentlichen Beitrag zum Gruppenergebnis zu liefern.




Der Gesprächspartner:

Geburtsdatum: 16. April 1963, Bürger von Luzern und Amden SG,
Familie: Verheiratet, 4 Kinder

Ausbildung:
–  Universität Fribourg
– 1988 Abschluss als lic. iur., 1994 Dr. iur.
– 1989 Luzerner Anwaltsexamen
– Duke Law School, USA
– 1991 Abschluss als LL.M.


Berufliche Tätigkeit:
– seit 1.1.2003 Vorsitzender der Geschäftsleitung Helvetia Schweiz*, Mitglied der Geschäftsleitung Helvetia Gruppe
– 2000-2002 Leiter Vertrieb der Helvetia Patria (heute Helvetia Schweiz), Mitglied der Geschäftsleitung Schweiz
– 1995-2000 Generalagent in Luzern
– 1993 Eintritt in die Helvetia Versicherungen
– 1991-1993 Gerichtssekretär am Obergericht Luzern


Das Unternehmen:
Die Helvetia ist eine führende Schweizer Allbranchenversicherung. Mit 28 Generalagenturen, rund 2’200 Mitarbeitenden und über 750’000 Kundinnen und Kunden zählt die Helvetia zu den fünf grössten Versicherungsunternehmen in der Schweiz. Neben dem Heimmarkt Schweiz betätigt sich das Unternehmen auch in fünf weiteren europäischen Ländern mit insgesamt rund 4’600 Mitarbeitenden (inkl. Schweiz). Zudem wird das Rückversicherungsgeschäft weltweit angeboten. Der Sitz für das Schweizer Geschäft befindet sich in Basel, derjenige der Helvetia Gruppe in St.Gallen. Das Versicherungsunternehmen ist seit 1996 in einer Holdingstruktur organisiert. Es entstand damals aus dem Zusammenschluss der beiden Schweizer Assekuranzunternehmen Helvetia und Patria. Seit September 2006 tritt das Unternehmen unter dem europaweit einheitlichen Namen «Helvetia» auf.

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