Rolf Hartl, Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung: «Die heutige Preishausse trägt bereits den Kern der nächsten Baisse»
Moneycab: Herr Hartl, die Ölpreise steigen und steigen. Der Irak-Konflikt, Yukos, die politische Situation in Venezuela, Spekulanten ? Gründe werden für den Höhenflug des Ölpreises viele genannt. Wo liegt Ihrer Meinung nach der Hauptgrund?
Dr. Rolf Hartl: Auch der Ölpreis bestimmt sich im wesentlichen aufgrund von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage hat sich innerhalb eines Jahres um rund 3,5 auf rund 83 Millionen Fass pro Tag erhöht, vor allem wegen China. Das gab es schon lange nicht mehr, viele waren von dieser Entwicklung überrascht. Auf der anderen Seite sind die Förder-, Raffinations- und Transportkapazitäten sehr stark ausgelastet, mit der Folge, dass im ganzen «System» nicht mehr sehr viel Luft vorhanden ist.
Hat es eine solche Anhäufung von negativen Faktoren schon einmal gegeben?
Die Ölindustrie lebt in den Zyklen von «boom and bust». Es gab die bekannten Hochpreisphasen in den 70er- und 80er-Jahren, auf die dann jeweils wieder Preisbaissen folgten. Politische Ereignisse in den Förderländern waren schon immer mit ein Grund für heftige Preisausschläge. Relativ neu ist der hohe Einfluss des Papierhandels auf die Preise.
Zusätzlich wirkt die steigende Nachfrage auf dem Weltmarkt auf die steigenden Preise. Woher rührt die steigende Nachfrage und wo vor allem ist sie festzustellen?
In erster Linie hat der Ferne Osten ? namentlich China ? die Nachfrage nach oben gedrückt. Der chinesische Erdölbedarf hat sich innert 10 Jahren verdoppelt, Tendenz weiterhin steigend. Hauptgrund ist die zunehmende Mobilität auf der Strasse, aber auch in der Luft. Nebenerscheinungen sind auch «fuel switches»: Das chinesische Stromnetz ist notorisch überlastet, weshalb industrielle Anwender den Strom vor Ort mit Dieselmotoren produzieren. Sodann nimmt auch in den USA die Erdölnachfrage trotz höherer Preise weiterhin zu.
Auch in der Schweiz?
Derzeit ist der schweizerische Absatz leicht im Minus, hauptsächlich wegen der gesunkenen Heizölverkäufe. Viele Konsumenten haben bisher mit fallenden Preisen gerechnet. Bemerkenswerterweise wirken sich die höheren Benzin- und Dieselpreise beim Absatz kaum aus. Dieser ist sogar leicht im Plus.
In den USA sind die Lagervorräte von Rohöl erneut gesunken. Inwiefern ist die Angst vor einer Benzinknappheit in den Vereinigten Staaten für die steigenden Ölpreise verantwortlich?
Das war sicher ein mit bestimmender Faktor vor Beginn der «driving season». Tatsache ist aber nach wie vor, dass die amerikanischen Raffinerien ein Problem damit haben, die von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen Qualitätsanforderungen ? z.B. bezüglich des Schwefelgehalts ? zu erfüllen. Benzin wurde deshalb im Sommer von Europa nach den USA exportiert.
Die OPEC steht unter grossem Druck, die Fördermengen zu erhöhen. Die Experten sind sich aber nicht einig, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang das noch möglich ist. Was glauben Sie?
Das ist eine Frage der Zeit. Die sofort verfügbaren Reservekapazitäten der OPEC-Staaten bei der Erdölförderung werden auf rund 1,5 Millionen Fass pro Tag geschätzt. Mittel- und langfristig kann die Förderung merklich erhöht werden, vorausgesetzt es wird jetzt investiert. Das Problem besteht nicht in der geologisch förderbaren Menge des Rohöls, das unter dem Boden liegt, sondern darin, dass die Investitionen im Förder-, Raffinations- und Transportbereich zeit- und nachfragegerecht getroffen werden müssen.
$$PAGE$$
Ebenfalls keine Einigkeit herrscht bei den Prognosen. Glauben Sie, dass die Preise weiter steigen werden, oder wird sich die Lage beruhigen? Von was für einen Preis pro Barrel gehen Sie mittelfristig aus?
Dieses Jahr ist preismässig gelaufen. Eine Tendenzwende nach unten ist (noch) nicht in Sicht. Die Entwicklung nach oben bleibt unberechenbar, weil die Nachfrage weiterhin steigt und die politische Situation in wichtigen Förderländern weiterhin geeignet ist, Ängste zu schüren. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass auf die heutige Situation eine Baisse folgen wird: Die heutige Preishausse trägt bereits den Kern der nächsten Baisse in sich. Die Frage ist nur: wann kommt sie ? Im übrigen: Jedes Land, das über Ölvorkommen verfügt, hat am Ende des Tages ein Interesse, im Geschäft zu bleiben. Wenn Öl nachgefragt wird, wird es auch gefördert werden.
Sind von anderen Spezialisten geäusserte Befürchtungen, der Ölpreis könnte bis auf 80 oder sogar 100 Dollar pro Barrel steigen, völlig abwegig?
Inflationsbereinigt hatten wir 1979/80 bereits Preise von 80 Dollar pro Barrel. Solche Preise sind auch heute denkbar, vor allem bei einer tatsächlichen physischen Verknappung, also einer erheblichen Störung der Erdölproduktion. Wie gesagt: Das heutige Preisniveau lässt sich fundamental nicht begründen
Am Mittwoch hat der Wissenschaftler Professor Aleklett mit seiner Aussage für Schlagzeilen gesorgt, die weltweiten Ölvorkommen könnten 2010 oder sogar noch früher aufgebraucht sein. Die Entdeckung neuer Ölfelder sei inzwischen undenkbar. Was meinen Sie dazu? Ist das Panikmacherei?
Für solch professorale Prophezeiungen habe ich nach aller bisheriger Erfahrung mit Voraussagen über die Erdölproduktion und den Produktionshorizont nur noch ein müdes Lächeln übrig, liegt ihnen doch meistens eine politische Zielrichtung zugrunde. Denken Sie an den Club of Rome: Wenn er recht gehabt hätte, würden wir heute schon auf dem Trockenen sitzen. Wir werden noch sehr, sehr lange Erdölprodukte nutzen. Allerdings werden sich die Gewichte verschieben. Der Energieträgermix ist eine dynamische, keine statische Grösse.
Letzte Frage: Angesichts der unsicheren Preisentwicklung sind die Konsumenten zusehends verunsichert. Eigentlich wäre jetzt die Zeit, die Heizöltanks zu füllen, aber die Konsumenten zögern. Ihr Ratschlag?
Ganz klar: Jetzt kaufen !
Der Gesprächspartner
Geschäftsführer der Erdöl-Vereinigung (seit Januar 1994)
Geboren am 30. Juni 1954, Nationalität: Schweizer
Verheiratet, keine Kinder
Zuvor:
1987-1993 Wirtschaftsjurist Elektrowatt AG
1984-1987 Wirtschaftsjurist in Treuhandfirma
1981-1984 Gerichtssekretär am Bundesgericht
Ausbildung:
Lic. iur. (Uni Zürich 1979)
Dr. iur. (Uni Zürich 1989)
Die Erdöl-Vereinigung (EV) setzt sich als Verband der schweizerischen Erdölwirtschaft ein für die Wahrung und Förderung der Interessen ihrer Mitglieder. Die zur Zeit 31 Mitglieder tätigen 95 % der schweizerischen Importe von Rohöl und Erdölprodukten.
Die Aufgabe der Erdöl-Vereinigung besteht zum einen darin, für die allgemeine Öffentlichkeit wie auch für die Branche selbst eine Drehscheibe für Informationen zum Energieträger Erdöl zu sein. Für alle Fragen, die den Transport, die Verarbeitung und den Einsatz von Erdölprodukten betreffen, ist die EV die erste Anlaufstelle in der Schweiz. Zum anderen vertritt die Erdöl-Vereinigung in allen branchenrelevanten Fragen die Anliegen der Erdölwirtschaft nach aussen.