Schule ohne Lehrer und vielleicht bald auch ohne Schüler


Der Bildungsrat hat der Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO) auf das Wintersemester 2004/2005 das Pilotprojekt „Selbstlernsemester» bewilligt. In diesem Semester müssen die SchülerInnen in sechs Fächern die Lernziele selbständig erreichen.

Von Helmuth Fuchs

Schülerbetreuung per E-Mail
Ein Blick in den Kalender bestätigt mir: Es ist nicht der erste April. Die Meldung muss also ernst genommen werden. Die SchülerInnen von drei der zehn Klassen erhalten in den Fächern Deutsch, Mathematik, Französisch, Englisch und Sport sowie im Schwerpunktfach anstelle der traditionellen wöchentlichen Anzahl von Lektionen für jedes dieser Fächer einen Semesterauftrag mit Aufgaben und Lernzielen. Lernjournale, eine Sprechstunde pro Fach und Woche und Hilfe über E-Mail ersetzen den Frontalunterricht.

Survival of the fittestDie Vorteile dieser neuen Art des Unterrichtes liegen auf der Hand:
Vorbereitung auf den VerdrängungswettbewerbTeamfähigkeit durch Mitarbeit in LerngruppenMassiv entlastete LehrerUmgang mit modernen Kommunikationsmittel (E-Mail)In der zweiten Phase können dann die so entlasteten heimarbeitenden Lehrer entlassen werden. Die Schüler, welche sich in dem System behaupten, werden per Definition die für den kommenden Wirtschaftswettbewerb fitesten sein (oder ihre Eltern können sich zumindest den Privatlehrer leisten). Das Ganze entlastet auch das Gemeinwesen enorm, da die Kosten für ein solches System nur ein Bruchteil der heutigen Schule betragen (weniger Lehrer, nur noch temporär benutzte Meetingräume statt dauerhaft belegte Schulzimmer).

Outsourcing ins ElternhausWas in der Wirtschaft mit zweifelhaftem Erfolg vorgemacht wird, das «Outsourcing» (Auslagerung) von nicht zur «Kernkompetenz» gehörenden Bereichen, wird auch hier vorgenommen. Allen Schülern die bestmögliche Ausbildung zu vermitteln, kann wirklich nicht zu den Aufgaben des Staates gehören. Er hat hier nur die Leitplanken zu setzen, sprich den Lehrplan vorzugeben und gewisse Kontrollmechanismen einzurichten (Sprechstunde, Tests). Der Rest darf getrost der Privatinitiative der Schüler und deren Erzeuger überlassen werden. Schliesslich sind sie auch die direkten Nutzniesser einer guten Ausbildung. Entweder in Form der späteren Unterstützung durch ihre Sprösslinge im Falle der Eltern (was nach Straffung von AHV auch nötig sein wird), oder durch die Aussichten auf einen Studienplatz im Falle der Schüler.

Die Schule der Zukunft existiert nur noch virtuellMittelfristig wird durch die Verlagerung der Bildungsaufgabe zurück ins Elternhaus auch die langwierige Diskussion um die Stellung der Frau entscheidend erleichtert. Ihr Platz wird wieder vermehrt bei den Zöglingen und deren Ausbildung sein. Blockzeiten, Tagesschulen, Mittagstisch und ähnliche Themen haben sich erledigt. Und irgendwie kommen wir wieder dorthin, wo es eine breite bürgerliche Schicht schon immer hinzieht: Zurück zu den guten alten Zeiten. Echte Schulen sind nur noch für eine vermögende Minderheit ein Thema, für den Rest existieren Schulen nur noch virtuell. Und in den kommenden Pisa Studien erscheinen wir entweder ganz vorne oder gar nicht mehr.


Die Pressemitteilung des Bildungsrates vom 13. Mai 2004 
Der Bildungsrat hat der Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO) auf das Wintersemester 2004/2005 die Durchführung eines Pilotprojekts „Selbstlernsemester (SLS)“ bewilligt. In diesem Semester müssen die Schülerinnen und Schüler in sechs Fächern die vorgegebenen Lernziele selbständig erreichen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesem Projekt sind von allgemeinem Interesse, weshalb dieses eng begleitet und extern evaluiert wird.
Im ersten Semester der fünften Klasse des Langzeit- gymnasiums erhalten die Schülerinnen und Schüler von drei der zehn Klassen dieses Jahrgangs in den Fächern Deutsch, Mathematik, Französisch, Englisch und Sport sowie im Schwerpunktfach anstelle der traditionellen wöchentlichen Anzahl von Lektionen für jedes dieser Fächer einen Semesterauf­trag mit Aufgaben und Lernzielen. Diese müssen die Schülerinnen und Schüler im Laufe des Semesters allein oder in Gruppen erarbeiten. Gegenüber den Lehrkräften sind sie lediglich verpflichtet, regelmässig über ihre Arbeit zu berichten unter anderem mit Hilfe von Lernjournalen. Die Lehrpersonen stehen ihnen im Rahmen einer Sprechstunde pro Fach und Woche und über das E-mail zur Verfügung. Damit soll die notwendige Betreuung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden. Mittels von speziellen Tests wird geprüft, ob die Lernziele erreicht werden. Zur Zeit werden die Klassen unter anderem mit einem Seminar zum Thema „Time-Management“ auf das Selbstlernsemester vorbereitet.

Im Rahmen dieses Pilotprojekts soll eine Lernform erprobt werden, welche für die Mittelschulen des Kantons Zürich in dieser Art und in diesem Ausmass neu ist. Nach Auffassung des Bildungsrats ist es wichtig und wünschenswert, dass das Selbstlernen schon in den oberen Klassen der Mittelschule eingeübt wird. Es kann geeignet sein, die Schülerinnen und Schüler besser auf die Maturitätsarbeit und das Hochschulstudium vorzubereiten. Da ein solches Selbstlernsemester an den Mittelschulen bisher nicht erprobt wurde und für Lehrende und Lernende neu ist, muss es von der Schulleitung und den Lehrkräften eng begleitet und anschliessend einer externen Evaluation unterzogen werden. Damit sollen vertiefte Erkenntnisse aus dem Projekt gewonnen werden. Von den Erkenntnissen und Erfahrungen sollen anschliessend auch anderen Mittelschulen profitieren können.

Für Fragen stehen zur Verfügung:
Herr Dieter Schindler, Rektor KZO, Telefon 01 933 08 16, [email protected]

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