Stefan Loacker, CEO Helvetia

Von Robert Jakob


Moneycab: Herr Loacker, eine Häufung kleinerer Schadensfälle hat die Schaden/Kosten-Quote von einst herausragenden 89,9% auf immer noch sehr gute 94% ansteigen lassen. Rechnen Sie im zweiten Halbjahr 2010 wieder mit einer Gegenbewegung in Richtung 90%?


Stefan Loacker: Weder der Wintersturm Xynthia noch einzelne Hagelereignisse im Sommer haben markante Spuren in unseren Büchern hinterlassen. Wie die Entwicklung bei kleinen und mittleren Schadenereignissen bis Ende des zweiten Semesters 2010 verläuft, bleibt abzuwarten.


Nach dem sehr guten 2009 ging es für die Helvetia auch heuer mit rund 6% Volumenwachstum wechselkursbereinigt vorwärts. Als Schweizer Versicherung sollte Ihnen die Euroschwäche aber auch in Ihrem Auslandsgeschäft in die Hände spielen.


Die Helvetia weist ihre Zahlen in Schweizer Franken aus; der schwache Euro ist also für unseren Leistungsausweis eher hinderlich. Unser Halbjahresabschluss 2010 hat dennoch gezeigt, dass wir mit dieser Situation gut umgehen können.



«Wir werden auch in Zukunft nur solche Zukäufe tätigen, bei denen wir unsere Vertriebskraft stärken, echte Synergien nutzbar machen oder sogar beide Effekte miteinander verbinden können. Kurz, der strategische Fit muss stimmen.» Stefan Loacker, CEO der Helvetia


Sichern Sie sich immer noch gegen einen fallenden Euro ab, oder rechnen Sie mit einer Gegenbewegung?


Unser Netto-Währungsexposure wird permanent zu einem hohen Grad abgesichert. Diese Absicherung erfolgt vornehmlich mit Termingeschäften, gelegentlich kommen auch Devisenoptionen zum Einsatz. Diese Absicherungsstrategie zielt darauf ab, die Währungsrisiken des Anlageportefeuilles weitgehend zu eliminieren. Eine Änderung ist aufgrund der vorherrschenden Frankenstärke und der anhaltend hohen Volatilität der Währungen nicht vorgesehen.


Die mittlerweile voll integrierten  italienischen Gesellschaften Chiara Vita und Padana Assicurazioni sowie die französische Transportgesellschaft CEAT erwiesen sich als Glücksgriff. Vor allem in Italien brummt Ihr Geschäft. Im Halbjahresvergleich ging es jenseits der Alpen um 13,5% bergauf, während Helvetia im  spanischen Markt nur gerade um 1,5% zulegen konnte. Eröffnen sich dort Arrondierungsmöglichkeiten?


Kurzfristig ist der spanische Markt sehr anspruchsvoll, die schwierige gesamtwirtschaftliche Verfassung spiegelt sich im moderaten Wachstum wieder. Mittel- und langfristig bleibt Spanien dennoch einer unserer Ländermärkte, in denen wir verstärkt expandieren möchten. Der dortige Markt ist im Vergleich zur Schweiz noch wenig konsolidiert. Aber nicht nur Zukäufe bieten Wachstumsmöglichkeiten. Wir möchten uns den in Spanien besonders wichtigen Bankenkanal für den Verkauf unserer Produkte erschliessen und rechnen uns deshalb vor allem auch durch Kooperationen mit Banken Wachstumschancen aus.



«Wir erachten eine konservative Kapitalisierung als einen Wettbewerbsvorteil. Ein Aktienrückkauf ist für die Helvetia daher kurzfristig nicht geplant.»


Es gibt zwar in der Schweiz Versicherer die fast an 300% Solvenzquote herankommen, aber mit 219% steht die Helvetia auch ganz oben, auch wenn sie im letzten Halbjahr gleich hoch blieb. Sie haben sich in der jüngsten Vergangenheit immer sehr  zurückhaltend gegenüber allen Akquisitionen geäussert, die nicht direkt auf Neugewinnung von Kunden ausgerichtet ist. Aber es gibt doch sicher noch die eine oder andere Nische, mit der Sie nach der Akquisition von Alba und Phenix liebäugeln?


Unsere sehr selektive Akquisitionsstrategie hat sich in den letzten Jahren bewährt. Wir haben immer wieder die Gelegenheit genutzt, erstklassige Gesellschaften dazuzukaufen. Wir werden auch in Zukunft nur solche Zukäufe tätigen, bei denen wir unsere Vertriebskraft stärken, echte Synergien nutzbar machen oder sogar beide Effekte miteinander verbinden können. Kurz, der strategische Fit muss stimmen. Wir definieren in unserer Strategie «Helvetia 2015+» klar, dass wir neben gesundem organischem Wachstum auch durch Zukäufe wachsen wollen. 


Ist Ihr Hunger also gestillt?


Unsere Wachstumsstrategie gilt unverändert: Auch in Zukunft werden wir neben dem Wachstum aus eigener Kraft Ausschau nach passenden Akquisitionsgelegenheiten halten.



«Die im März emittierte Anleihe ist keine Hybridanleihe, sondern ein Senior Bond, der im Unterschied zur Hybridanleihe Liquidität verschafft, aber kein zusätzliches anrechenbares Kapital. Mit der Emission haben wir eine per März auslaufende Anleihe mit Kosten von 1.75 Prozent auf drei Jahre zu sehr günstigen Konditionen  refinanziert.» 


Lohnt sich bei einem  Eigenkapital pro Aktie von 365 CHF nicht vielleicht auch der Rückkauf von Helvetia-Aktien?


Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst zwischen dem unter IFRS ausgewiesenen und dem nach lokaler Rechnungslegung effektiv ausschüttbaren Kapital unterschieden werden, denn deren Bewertungsmassstäbe unterscheiden sich. So beinhaltet das IFRS-Eigenkapital beispielsweise nicht realisierte Gewinne, die für eine Ausschüttung gar nicht zur Verfügung stehen. Zudem sind die regulatorischen Veränderungen rund um die neuen risikobasierten Kapitalanforderungen unter dem SST sowie Solvency II auch kurz vor deren Inkrafttreten noch im Fluss, so dass wir eine konservative Kapitalisierung als einen Wettbewerbsvorteil erachten. Ein Aktienrückkauf ist für die Helvetia daher kurzfristig nicht geplant.


Ihre Kapitalanlagen in Höhe von rund 33 Milliarden Franken rentieren seit längerem  mit gut 3%. Ist eine Erhöhung der Aktienquote in nächster Zeit ein Thema?


Wir verfolgen im Einklang mit unseren Verbindlichkeiten eine langfristig orientierte Anlagepolitik. Die Ertragsanforderungen aus dem Versicherungsgeschäft sollen mit hoher Sicherheit erreicht werden. Ein breit gestreutes, auf direkte und stabile Anlageerträge ausgerichtetes Portefeuille erfüllt diese Anforderungen am besten. Die Aktienquote beträgt gegenwärtig knapp fünf Prozent und dient der optimalen Diversifikation unserer Anlagen. Eine wesentliche Veränderung ist nicht vorgesehen.


Die Helvetia Gruppe tritt auch in Anzeigen als verlässlicher Arbeitgeber auf. Wie versuchen Sie das innerbetrieblich durchzusetzen?


Vertrauen ist neben Begeisterung und Dynamik einer der Kernwerte der Helvetia. Konkret kommt dies beispielsweise in der Grundausbildung für Führungskräfte zum Ausdruck. Wir vermitteln, dass wir von jeder Führungskraft bis hin zur Geschäftsleitung erwarten, dass die Unternehmenswerte vorgelebt werden. Dadurch ist jede Führungskraft auch ein Vorbild. Wir haben ausserdem eine sehr stabile Führungsmannschaft, auch das sorgt für Kontinuität und Verlässlichkeit. Eine Umfrage unter allen 4’600 Mitarbeitenden hat übrigens jüngst gezeigt, dass sich der grösste Teil der Mitarbeitenden mit der Helvetia verbunden fühlt und mit der Helvetia zufrieden ist – gute Voraussetzungen also, um am Arbeitsmarkt attraktiv zu sein. 



«Die aktuell wohl grösste Herausforderung unserer Branche liegt in der Bewältigung vielfältiger neuer Regulierungskonzepte.»


Ärgern Sie sich eigentlich über die Platzierung Ihrer Anleihe? Im gegenwärtigen Zinsumfeld wären Sie wahrscheinlich noch günstiger an Kapital herangekommen.


Die im März emittierte Anleihe ist war ein Senior Bond, der im Unterschied zur Hybridanleihe Liquidität verschafft, aber kein zusätzliches anrechenbares Kapital. Mit der Emission haben wir eine per März auslaufende Anleihe mit Kosten von 1.75 Prozent auf drei Jahre zu sehr günstigen Konditionen  refinanziert. Das Interesse an dieser Anleihe war gross; sie war mehrfach überzeichnet. Der Kapitalmarkt stellt uns damit ein gutes Zeugnis aus, denn er erachtet die Helvetia als verlässliche Schuldnerin. Wir haben alle Prozesse aufgesetzt, die es uns ermöglichen, rasch zusätzliches – allenfalls auch hybrides – Kapital aufzunehmen, um von günstigen Konditionen zur Finanzierung unserer Wachstumsstrategie profitieren zu können.


Gibt es am Versicherungshimmel irgendein Wölkchen, sowohl was die Branche anbelangt als auch bei der Helvetia?


Die aktuell wohl grösste Herausforderung unserer Branche liegt in der Bewältigung vielfältiger neuer Regulierungskonzepte. Mittel- und langfristig bringen diese aber auch Chancen: Konsumenten dürfen noch mehr Vertrauen in unsere Branche haben, die Investoren werden noch transparenter informiert, und erfolgreiche Gesellschaften wie die Helvetia können sich in diesem Umfeld auch strategisch gut weiter entwickeln.





Der Gesprächspartner:
Stefan Loacker kam 1997 von der Rentenanstalt/Swiss Life zur damaligen Helvetia Patria nach St. Gallen. Zuerst arbeitete er als Leiter des Ressorts Unternehmensentwicklung intensiv an der Entwicklung der Gruppenstrategie und leitete verschiedene M&A-Projekte im In- und  Ausland. 2002 wurde Stefan Loacker zum CFO und Mitglied des Vorstandes der Helvetia Österreich berufen, wo er massgeblich zum Turnaround des Unternehmens beitrug. Anfang 2005 wurde er zum CEO Österreich gewählt. Seit dem 1. September 2007 ist er CEO der Helvetia.


Sein Studium absolvierte der gebürtige Vorarlberger an der Universität St.Gallen, mit der Spezialisierung auf Risikomanagement und Versicherung.


Zum Unternehmen: 
Die Helvetia ist in den vergangenen 150 Jahren aus verschiedenen schweizerischen und ausländischen Versicherungsunternehmen zu einer erfolgreichen, europaweit präsenten Versicherungsgruppe gewachsen. Heute verfügt sie über Niederlassungen in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Spanien, Italien und Frankreich. Der Hauptsitz der Gruppe befindet sich in St.Gallen.Die Helvetia ist im Leben-, Schaden- und Rückversicherungsgeschäft aktiv und erbringt mit rund 4 500 Mitarbeitenden Dienstleistungen für mehr als zwei Millionen Kunden. Bei einem Geschäftsvolumen von CHF 6.7 Mia. erzielte die Helvetia im Geschäftsjahr 2009 einen Reingewinn von CHF 326.8 Mio.

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