Stephan Wick, Leiter Logistik Migros Bank

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Wick, im November letzten Jahres haben Sie erfolgreich die neue Bankenplattform Finnova in Betrieb genommen. Was waren die Beweggründe für den strategischen Entscheid im Jahre 2007, den RTC (Real-Time Center)-Verbund mit der IBIS-Lösung zu verlassen?


Stephan Wick: Die Migros Bank ist lange Jahre gut gefahren mit der IBIS-Lösung. Leider wurde dann deren Erneuerung nicht konsequent genug angegangen und verzögerte sich über Jahre. Dieser Zustand der steigenden Kosten bei gleichzeitig stagnierender Funktionalität führte die Migros Bank dann zum Entscheid, die Plattform zu wechseln.



«Es gab zwei grosse Ziele: Sichere, risikolose Migration vor Ende 2009 sowie Einhaltung der bewilligten Kosten. Die Migration hat zeitgerecht stattgefunden, ohne dass der Bankbetrieb je in Gefahr war. Die Kosten lagen in dem vom Verwaltungsrat vorgegebenen Rahmen und die erwarteten Einsparungen konnten erreicht werden» Stephan Wick, Leiter Logistik Migros Bank


Nebst der Finnova AG als neuem Partner standen wahrscheinlich auch andere Optionen und Bankensysteme zur Diskussion. Welche Alternativen haben Sie zusätzlich angeschaut und was hat zum Schluss den Ausschlag zugunsten von Finnova gegeben?


In einer ersten Phase haben wir sehr intensiv geprüft, ob sich die die Bankenlösung unseres indischen Entwicklungspartners Polaris an die Schweizer Gegebenheiten anpassen liesse. Obwohl die Frage positiv beantwortet wurde, haben wir uns aufgrund der kürzeren Projektlaufzeit und den kleineren Projektrisiken für eine Schweizer Standardsoftware entschieden. Den Ausschlag für Finnova im Vergleich zu Avaloq gaben unter anderem die zu dem Zeitpunkt bessere Verfügbarkeit der Implementierungsressourcen sowie die Möglichkeiten des Finnova Development Kits (FDK), mit dem Zusatzfunktionalitäten günstig entwickelt und nahtlos integriert werden können.


Mit dem indischen Softwareunternehmen Polaris haben Sie eine intensive Entwicklungs-Zusammenarbeit. Wie ist die Zusammenarbeit organisiert, welche Erfahrungen haben Sie mit den unterschiedlichen Geschäftskulturen gemacht, wo liegen die spezifischen Stärken von Polaris?


Polaris hat schon zu RTC-Zeiten für uns ausgewählte Entwicklungsarbeiten durchgeführt. Mit der Migration auf Finnova hat sich Polaris auf FDK-Entwicklungen für die Migros Bank spezialisiert. FDK-Entwicklungen sind Erweiterungen der Finnova-Software, die dediziert für eine Bank entwickelt werden. In der Zusammenarbeit mit Polaris unterscheiden wir zwischen Onshore- und Offshore-Ressourcen. Die Onshore-Ressourcen arbeiten bei uns in der Schweiz und sind für Projektmanagement, Architektur, Analyse und die Spezifikationen verantwortlich. Die Offshore Ressourcen arbeiten in Chennai und sind dann für die eigentlichen Entwicklungsarbeiten verantwortlich. Auf einen Mitarbeiter in der Schweiz kommen etwa 5-10 Mitarbeitende in Indien. Wichtig für uns, auch zur Überbrückung der Kultur- und Sprachdistanz zwischen der Schweiz und Indien, sind vor allem die Mitarbeitenden bei uns in der Schweiz. Von diesen erwarten wir sowohl sehr gutes Bank-Know-how als auch umfassendes Architektur-Wissen.


Im Migrationsprojekt und auch im Betrieb der Bankenlösung Finnova waren und sind zahlreiche Partner eingebunden (zum Beispiel Polaris, Finnova, T-Systems, Econis, sumIT, Comit). Wie haben Sie die Organisation gestaltet, wer hatte welche Verantwortungen inne und wie wurden kritische Entscheide gefällt?


Wir haben von Anfang an entschieden, dass die Verantwortung für das Projekt in den Händen der Migros Bank bleibt und haben eine Projektorganisation mit internen und externen Projektleitern und Mitarbeitern aufgebaut. Den externen Partnerfirmen wurden klar definierte Arbeitsgebiete zugewiesen: 
– T-Systems war und ist für den Aufbau und den Betrieb der verschiedenen Test- und Produktionssysteme verantwortlich.
– In der Verantwortung von Comit lag die Parametrierung des Finnova-Systems gemäss den Bedürfnissen und Vorgaben der Bank.
– Im Infrastrukturbereich trugen unsere teilweise schon langjährigen Partner die Verantwortung für die Bereitstellung und den Betrieb der Netzwerke (Econis), der Sicherheitskomponenten (ISPiN) und des neuen Datawarehouse (sumIT).



«Für die Mitarbeitenden bringt das Finnova-Bankensystem wesentliche Vereinfachungen: Zu nennen sind die reduzierte Anzahl von Systemen, die Einheitlichkeit in der Benutzerführung sowie eine vereinfachte und vereinheitlichte Datenbasis.»


Zwischen der Bekanntgabe der neuen Strategie und dem Abschluss der Migration lagen nur gut zwei Jahre. Wie gestaltete sich der zeitliche Ablauf des Migrationsprojektes und welches waren die wichtigsten Phasen des Projekts?


In einer ersten Phase «Konzeption» wurden der zukünftige Funktionsumfang des Systems und die IT-Architektur festgelegt. In der folgenden Phase «Implementierung» wurden die Finnova-Module gemäss den Bedürfnissen der Migros Bank parametriert sowie die fehlende Funktionalität durch Finnova entwickelt. Zudem wurde die gesamte Infrastruktur (unter anderem Server für Finnova und Umsysteme) aufgebaut. In der dritten Phase «Transition» wurde die Bank auf den Wechsel vorbereitet. Dies umfasste intensive Tests, Schulung der Mitarbeitenden sowie die Vorbereitung des Cut-over-Wochenendes.


Bestimmt haben Sie zu Beginn für das Projekt messbare Erfolgskriterien festgelegt. Wie sahen diese aus und inwiefern wurden die Ziele erreicht?


Es gab zwei grosse Ziele: Sichere, risikolose Migration vor Ende 2009 sowie Einhaltung der bewilligten Kosten. Die Migration hat zeitgerecht stattgefunden, ohne dass der Bankbetrieb je in Gefahr war. Die aufgrund der Komplexität unvermeidlichen, im erwarteten Rahmen aufgetretenen Probleme konnten durch das Projektteam immer vorwärtsgerichtet und nachhaltig gelöst werden, so dass kurz nach Cut-over ein stabiler Betrieb gewährleistet war. Die Kosten lagen in dem vom Verwaltungsrat vorgegebenen Rahmen und die erwarteten Einsparungen konnten erreicht werden.



«Die Investitionen für das Projekt lagen im Bereich von 100 Millionen Franken und werden innert weniger Jahre durch Einsparungen wieder amortisiert sein.»


Die Migros Bank war die bis dahin mit Abstand grösste Bank, welche auf die Bankenlösung von Finnova migrierte. Welche speziellen Herausforderungen ergaben sich daraus und wie haben Sie diese gelöst?


Die Grösse der Bank hatte konkret Einfluss auf drei wesentliche Themen im Rahmen des Projektes:
– Funktionalität: Im Bereich der Massenverarbeitung wurden durch Finnova diverse wichtige Funktionalitäten im Verlaufe des Projektes entwickelt.
– Datenmigration: Bei einer grossen Bank müssen bedeutend mehr Datenfelder automatisiert von der alten auf die neue Plattform migriert werden, da manuelle Migrationen an einem Wochenende aus Zeitgründen nur sehr beschränkt möglich sind.
– Testing: Mehr Kunden bedeuten eine höhere Variabilität bei der Produktnutzung und erfordern deshalb erweitertes Testing.


Welches waren für Sie die entscheidenden Faktoren für den Erfolg des Projektes?


Ganz wichtig ist ein straffes Anforderungsmanagement. Als Prämisse haben wir überall «nur» den Ist-Zustand migriert und kein Business Reengineering zugelassen. Das heisst dort, wo Finnova funktionale Lücken hatte gegenüber IBIS, wurden diese geschlossen. Die Schliessung von funktionalen Defiziten, die bereits unter IBIS bekannt waren und Finnova nicht per se zur Verfügung stellte, wurden mehrheitlich auf die Zeit nach dem Cut-over verschoben. Ein zweiter wichtiger Faktor war die rasche Entscheidungsfindung sowohl auf Stufe Projekt- und Programmleitung, als auch auf Stufe Geschäftsleitung. Diese traf sich jede Woche zu einem Projektsteuerungsausschuss und konnte nötige Entscheidungen sehr rasch fällen.


Welches waren die kritischsten Momente im Projekt, wo traten unvorhergesehen Probleme auf und wie konnten diese gelöst werden?


Wirklich kritische Momente, welche die Migration als ganzes in Frage gestellt hätten, gab es nicht. Es gab im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Kontokarten einige unerwartete Probleme, welche in Zusammenarbeit mit den externen Partnern aber alle gelöst werden konnten.


Die Einführung eines neuen Bankensystems wirkt sich auch auf die Benutzer und Kunden aus. Welches sind die bedeutendsten neuen Möglichkeiten oder Verbesserungen für die Bankenmitarbeiter und die Migros Bank-Kunden?


Für die Kunden gab es kurzfristig, keine wesentlichen Änderungen, wenn wir einmal von einem moderneren E-Banking und Output absehen. Für die Kunden ist wichtig, dass wir Neuerungen auf der Finnova-Plattform zukünftig wesentlich rascher anbieten können und die erzielten Einsparungen weitergeben. Für die Mitarbeitenden bringt das Finnova-Bankensystem wesentliche Vereinfachungen: Zu nennen sind die reduzierte Anzahl von Systemen, die Einheitlichkeit in der Benutzerführung sowie eine vereinfachte und vereinheitlichte Datenbasis.


Ein wichtiges Argument bei der Einführung neuer Systeme ist jeweils die mögliche Reduktion der Anzahl Umsysteme (Reduktion der Komplexität und der Kosten) und mögliche Personaleinsparungen. Welche konkreten Erfahrungen haben Sie in Ihrem Projekt gemacht?


Weder die Reduktion der Anzahl Umsysteme noch der Abbau von Mitarbeitern waren primäre Ziele des Plattformwechsels. Die gewählte IT-Architektur (Virtualisierung wo immer möglich) und der grössere Funktionsumfang von Finnova haben aber tatsächlich zu einer spürbaren Reduktion der Anzahl Umsysteme beziehungsweise Server mit den damit verbundenen Kosteneinsparungen geführt.


In welcher Grössenordnung lag die Gesamtinvestition für dieses Projekt, welchen ROI (Return on Investment) erwarten Sie?


Die Investitionen für das Projekt lagen, wie zu Beginn kommuniziert, im Bereich von 100 Millionen Franken und werden innert weniger Jahre durch Einsparungen wieder amortisiert sein.



«Die im Business Case prognostizierten Kosteneinsparungen haben sich ab dem ersten Tag eingestellt. Noch wichtiger ist aber für mich, dass wir nun systemseitig eine gute Ausgangslage besitzen, um über neue Produkte und Services wesentlich rascher als früher auf neue Kunden- und Marktbedürfnisse reagieren zu können.»


Bis zum 30. Juni liefen noch die letzten Arbeiten des Projektes. Welches sind danach die nächsten Ausbau- und Erweiterungsschritte?


Unser Projektportfolio umfasst per Mitte August etwa 20 Projekte. Davon basiert etwa ein Drittel auf den neuen Möglichkeiten von Finnova.


Innerhalb der Finnova-Community hat die Migros Bank allein durch ihre Grösse eine gewichtige Stellung. Wie sehen Sie die Rolle der Migros Bank in der Community, wo wollen Sie eine aktive Rolle spielen, wo können Sie auch selbst profitieren?


Ich sehe die Migros Bank im Finnova-Umfeld ganz klar als einen der Innovationstreiber. Es ist klar unsere Strategie, uns in wichtigen Themenbereichen (zum Beispiel E-Banking) stark zu engagieren und «unser» Finnova zusammen mit Finnova oder Polaris gemäss den Bedürfnissen unserer Kunden weiterzubringen. Profitieren können wir am ehesten bei neuen regulatorischen Anforderungen, welche Finnova für alle Banken bereitstellen wird.


Wie beurteilen Sie rückblickend den Strategiewechsel zugunsten von Finnova, welche Erwartungen haben sich erfüllt, wo sehen Sie noch Potentiale, die Sie besser ausnutzen möchten?


Die im Business Case prognostizierten Kosteneinsparungen haben sich ab dem ersten Tag eingestellt. Noch wichtiger ist aber für mich, dass wir nun systemseitig eine gute Ausgangslage besitzen, um über neue Produkte und Services wesentlich rascher als früher auf neue Kunden- und Marktbedürfnisse reagieren zu können.


Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?


Ich wünsche mir zum Ersten einen problemlosen Wechsel von T-Systems auf den neuen Betreiber und qualitativ hochstehende Betriebsleistungen. Zum Zweiten wünsche ich mir möglichst viele erfolgreiche Projekte, die für unsere Kunden und Mitarbeitende neue, innovative Funktionalitäten zur Verfügung stellen.





Der Gesprächspartner:
Stephan Wick, Jahrgang 1965, verheiratet, 6 Kinder


Beruflicher Werdegang:
– Migros Bank seit November 04: Leiter Logistik, Mitglied der Geschäftsleitung
– Credit Suisse November 99 bis Oktober 04: Leiter Business Competence Center Banking Operations
– UBS (Projekt CUBE) Januar bis November 99: Business Analyst Projektleiter
– EBS Projekt/SWX Börse Dezember 93 bis April 99: SW Engineering, Projektleiter

Schulen und Studium:
– Kantonsschule Baden, Typus C 1981 – 85
– Studium Universität Zürich, Wirtschaftsinformatik


Das Unternehmen:
Gegründet wurde die Migros Bank 1958 durch Gottlieb Duttweiler. Sein Credo ? was zählt, ist der Dienst am Kunden ? bildet bis heute die Basis für den Erfolg der Migros Bank. Anfänglich waren es vor allem die attraktiv verzinsten Sparkonten und Kassenobligationen sowie die günstigen Hypotheken, welche für das starke Wachstum der Migros Bank sorgten. In den Neunziger Jahren folgten der Aufbau einer übersichtlich strukturierten Fondspalette und der Start zum Internet-Banking. Inzwischen werden mehr als die Hälfte der Zahlungsauträge und knapp drei Viertel der Börsenaufträge via M-BancNet abgewickelt.


Heute zählt die Migros Bank mit über 750’000 Kunden zu den führenden Banken in der Schweiz. Und das Wachstum geht unvermindert weiter. Innerhalb von drei Jahren eröffnet die Migros Bank 19 neue Niederlassungen.

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