Westliche Finanzwelt adaptiert zunehmend islamische Standards

von Gérard Al-Fil
Gerade hat die Zentralbank in Japan beschlossen, den Leitzins bei null Prozent zu belassen. Da ist sie dem islamischen Zinsverbot so nahe wie die USA, die an ihrem historischen Niedrigzinssatz zwischen 0,0 und 0,25% festhalten. Seit nunmehr zwei Jahren gibt Fed-Chef Ben Bernanke als Reaktion auf die Finanzkrise diesen Zielkorridor vor. Der Koran verbietet Zinsen (Riba-Verbot) in Sure 2, Vers 275 und Sure 3, 330. Die heilige Schrift der Muslime empfiehlt anstelle von Krediten partnerschaftliche Finanzierungsmodelle bei der die Bank einen Gewinnanteil einstreicht, falls das Projekt der kapitalnachfragenden Partei erfolgreich verläuft (Mudaraba-Modell).

 

Nein zu Zinsen und Spekulanten
Doch nicht nur beim Zins, auch beim Spekulieren setzen westlichen Staaten unbewusst auf die Prinzipien der Islamic Finance – wer hätte das gedacht? In Deutschland sind ungedeckte Leerverkäufe auf Aktien zehn führender Finanzunternehmen und auf Staatsanleihen aus Euro-Ländern seit dem 19. Mai 2010 gesetzlich untersagt. Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy wollen ungedeckte Leervekäufe sogar europaweit verbieten. Leveraging, Derivate und Hedge Funds gelten als unislamisch oder haram. Ebenso ist «short-selling» verpönt. Denn: dass eine Partei sich an dem freien Fall eines Unternehmens bereichert, in dem es Aktien leer vekäuft lehnt die Scharia als Spekulation (Maysir) ab. Dasselbe gilt für Optionen und Futures wegen ihre vermeintlichen Unsicherheitscharakters (Gharar-Verbot).

 

Kleider machen (moralische) Leute
In diesen Trend passt die neue Kleiderordnung der Grossbank UBS, die ja beinahe ein Pleiteopfer des exzessiven Einsatzes von (unislamischen) Zinsprodukten in Amerika wurde. Enge Röcke und transparente Oberbekleidung sind bei der UBS tabu wie in islamischen Ländern ja bekanntlich generell. Die UBS-Geschäftsführung verlangt fortan konservative Kleidung, schliesselich werden Banker für Leistung bezahlt und nicht für das Zurschaustellen ihrer Reize.

 

Keine Investition ohne fassbare Güter
Damit nicht genug. Auch das ethische Investieren und der Trend, nachhaltige Anlagen in den Vordergrund zu stellen, steht im Einklang mit dem Koran. Grund für die Privatbank Sarasin & Cie., die sich Anfang der Neunziger als erstes Schweizer Geldhaus das «ethical investment» auf die Fahnen schrieb seit 2008 auch die Islamic Finance auszubauen, bei der ebenso den Kauf von Aktien aus der Rüstungs- und Tabakbranche tabu ist.

Und Markus Steinbeis, Fondsmanager des Mischfonds «Pioneer Invest Substanzwerte» in Deutschland, kauft keine Anlageklassen, die nicht mit Sachwerten unterlegt sind, wie er der «Welt am Sonntag» verriet. Die Strategie zahlt sich aus: im 2010 hat Steinbeis› Fonds 29 Prozent an Wert zugelegt. Auch dies ein klar islamisches Prinzip: Islamic Bonds (Sukuk) dürfen nur reale Werte wie Immobilien oder Rohstoffe zur Finanzierungsgrundlage nehmen, jedoch keine reinen Zahlungsströme, um von einem Scharia-Gremium als koranisch korrekt oder halal eingestuft zu werden.

 

Zinsverbot ist auch christliche Pflicht
Wem die genannten Beispiele zu weit hergenommen scheinen, der sei an das ur-christliche Zinsverbot erinnert, das in der Bibel auf der sogenannten Tempelreinigung (u.a .Matthäus 21, 12, Markus 11,15) durch Jesus basiert. Der Heiland, so wird erzählt, vertrieb die Geldwechsler aus dem Tempel in Jerusalem, weil sie die Frömmigkeit der Betenden für ihre Zwecke ausnutzten und aus dem Hause Gottes eine «Räuberhöhle» (Jesus dixit) machten. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts hob der Vatikan in Rom das Zinsverbot (man überliess bis dahin Kreditgeschäfte den Juden) ohne nähere Begründung auf.

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