Blatten: Gefahr nicht vorbei – Evakuierung im Talgrund von Gampel und Steg soll vorbereitet werden

Blatten VS – Auch am zweiten Tag nach dem Gletscherabbruch bei Blatten VS ist die Gefahr nicht vorbei. Laut den Behörden besteht das Risiko, dass das durch die Schuttmassen im Lötschental gestaute Wasser überläuft. Nachfolgend Fragen und Antworten rund um die Ereignisse im Lötschental:
WIE SIEHT ES IN BLATTEN AUS?
Fotos zeigen die Zerstörungen durch den Felssturz am Kleinen Nesthorn und den dadurch ausgelösten Gletscherabbruch. Ein grosser Teil des Dorfes ist komplett verschüttet worden und liegt unter einer 50 bis 200 Meter dicken Schicht aus Steinen, Eis und Wasser. Nicht einmal der Kirchturm ist noch zu sehen. Ein Dorf sei von der Landkarte verschwunden, sagte am Donnerstag der Walliser Staatsrat Christoph Darbellay. Die Menschen in Blatten hätten alles verloren. «Ihr Zuhause, ihre Souvenirs, ihre Kirche, ihren Friedhof», sagte Darbellay. Am Mittwoch waren rund drei Millionen Kubikmeter Stein zusammen mit Gletschereis ins Tal gelangt.
GAB ES WEITERE EVAKUIERUNGEN?
Ja, am Donnerstag mussten mehrere Personen aus Kippel und Wiler ihre Häuser verlassen. Beide Dörfer liegen unterhalb des etwa zwei Kilometer langen Schuttkegels. Evakuiert wurden auch elf Bewohner der Fafleralp ganz hinten im Lötschental, einem Ortsteil von Blatten. Auf Fotos vom Donnerstag war zu sehen, wie Nutztiere in Fahrzeuge verladen wurden, und Helikopter flogen selbst Autos aus. Die rund 300 Einwohnerinnen und Einwohner von Blatten wurden wegen des drohenden Felssturzes schon vor zehn Tagen in Sicherheit gebracht. Als Sicherheitsmassnahme wurde zudem die Speicherkapazität des Stauwerks bei Ferden erhöht.
WARUM IST DIE GEFAHR NICHT VORBEI?
Der im Lötschental liegende Schutt ist instabil. Und weil er die Lonza staut, hat sich ein stetig wachsender See gebildet. In dessen Wasser waren am Nachmittag die Dächer der nach dem Gletscherabbruch stehen gebliebenen, aber inzwischen gefluteten Häuser gerade noch zu sehen. Am frühen Abend enthielt der See nach Behördenangaben rund drei Millionen Kubikmeter Wasser. Das kantonale Führungsorgan ging am Abend davon aus, dass die Lonza den Schuttkegel in der Nacht überwinden könnte. Ebenfalls nicht stabil ist die Stelle am Kleinen Nesthorn, an der der Bergsturz begonnen hatte. Es werden deshalb weitere Felsabbrüche und Murgänge befürchtet. Murgänge künstlich auszulösen, sei derzeit keine Option, sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren auf die Frage eines Journalisten.
MUSS MIT WEITEREN EVAKUIERUNGEN GERECHNET WERDEN?
Am frühen Donnerstagabend war das nicht der Fall, aber Vorbereitungen wurden eingeleitet. Denn das schlimmste Szenario wäre eine Flutwelle, die das Staubecken bei Ferden überwindet und sich vom Lötschental in Richtung Walliser Talboden ergiessen und Murgänge auslösen könnte. Es ist laut Behördenvertretern zwar unwahrscheinlich, aber auch nicht vollständig ausgeschlossen. Wegen der Gefahr einer möglichen Flutwelle aus dem Lötschental hat der regionale Führungsstab Gampel-Steg die Bevölkerung zur Vorbereitung einer raschen Evakuierung aufgerufen. Die Bevölkerung solle sich darauf einstellen, ihre Wohnungen im Ereignisfall rasch verlassen zu können. Die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner werden gebeten, im Voraus eine Unterkunft ausserhalb des Talgrunds und ausserhalb des Perimeters Gampel/Steg zu organisieren. Auch an Angehörige, die eventuell nicht erreicht werden konnten, sowie an Tiere sei zu denken. Wer im Falle einer Evakuation keine Unterkunft finde oder Hilfe benötige, soll sich zum Notfalltreffpunkt beim Schulhaus in Steg oder beim Orientierungsschulhaus in Gampel begeben. Der Aufenthaltsort müsse zwingend über ein Online-Formular gemeldet werden. Die höher gelegenen Ortschaften Hohtenn, Bratsch, Engersch und Jeizinen seien von der Massnahme nicht betroffen.
KAMEN MENSCHEN ZU SCHADEN?
Von Todesopfern oder Verletzten durch den Gletscherabbruch war bisher nicht die Rede. Allerdings gilt ein Mann trotz einer Suchaktion, an der auch Hunde beteiligt waren, nach wie vor als vermisst. Wegen der Gefahr im Gelände musste die Suche dann aber vorläufig abgebrochen werden, wie die Kantonspolizei am Donnerstagnachmittag mitteilte.
WAS TUT DIE ARMEE?
Die Armee hält sich für einen Hilfseinsatz im Lötschental bereit, wie Divisionär Raynald Droz am frühen Abend sagte. Vorderhand 53 Armeeangehörige seien einsatzbereit, und Wasserpumpen, Bagger, Beleuchtungskörper und weiteres Material befinde sich in Turtmann VS. Allerdings könne der Einsatz nicht beginnen, weil die Lage im Gelände zu gefährlich sei. Die Armee handelt bei diesem Einsatz auf Weisungen der zivilen Behörden des Kantons Wallis. Die Luftwaffe ist ebenfalls in Bereitschaft für Material- oder Personentransporte.
KANN FÜR BLATTEN GESPENDET WERDEN?
Die Solidarität der Schweiz ist in den Worten der Walliser Staatsrätin Franziska Biner gross. Die Glückskette, Caritas Schweiz, das Schweizerische Rote Kreuz und die Patenschaft für Berggemeinden wollen finanzielle Nothilfe leisten für Menschen, die alles Hab und Gut verloren haben. Die Gemeinde Blatten selbst eröffnete ein über ihre Webseite zugängliches Spendenkonto. Medienvertreter aus dem In- und Ausland reisten an, um zu berichten. Bilder des verschütteten Dorfes gingen um die Welt.
SOLL BLATTEN WIEDER AUFGEBAUT WERDEN?
Die Walliser Behörden geben sich überzeugt, dass das verschüttete Blatten wieder aufgebaut werden soll. Doch wann, wo und wie ein Wiederaufbau erfolgen kann, konnte am Donnerstag niemand sagen.
SIND FAHRTEN INS LÖTSCHENTAL MÖGLICH?
Nein. Zutritt haben nur Anwohnerinnen, Anwohner und Einsatzkräfte. Im nahe gelegenen Goppenstein werden die Ausweise von allen kontrolliert, die in Richtung des Bergsturzgebietes wollen. Die Strasse ist ab Goppenstein für sämtlichen Verkehr gesperrt. Das kantonale Führungsorgan fordert, Behördenanweisungen Folge zu leisten und das Bergsturzgebiet nicht zu betreten. (awp/mc/ps)