Hohe Zuwanderung führt zu keinen Lohneinbussen

Hohe Zuwanderung führt zu keinen Lohneinbussen
Boris Zürcher, Leiter Arbeitsmarkt beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). (Foto: Seco)

Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO. (Foto: SECO)

Bern – Die hohe Zuwanderung drückt weder auf die Löhne, noch verdrängt sie Schweizer Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt. Zu diesem Schluss kommt die jährliche Analyse des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Dennoch sieht der Bund am Horizont auch Gefahren.

Entscheidend sei, dass die Zuwanderung auch in Zukunft das bestehende Arbeitskräftepotenzial ergänzt, erklärte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO, am Dienstag vor den Medien in Bern. Bislang sei das so: «Die Zuwanderer kommen, um hier zu arbeiten.»

Kritisch zu beurteilen wäre eine hohe Zuwanderung in Branchen mit schlechten Beschäftigungsaussichten oder ein höherer Anteil Niedrigqualifizierter. Dafür gibt es nach Ansicht von Zürcher zwei Anzeichen: Das sinkende Qualifikationsniveau und der jüngste Anstieg der Erwerbslosenquote von Zuwanderern aus der EU.

Kein Allheilmittel
Im letzten Jahr machte der Anteil der Personen aus Nord- und Westeuropa noch einen Drittel der Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum aus, 2008 waren es 70%. Immer mehr Menschen wandern aus Südeuropa ein, 2015 betrug ihr Anteil 40%. Jeder fünfte kam zudem aus einer der zehn EU-Staaten Osteuropas.

Nach wie vor verfügt aber mehr als die Hälfte der Zuwanderer über einen Universitätsabschluss oder eine andere tertiäre Ausbildung. Damit sind sie besser qualifiziert als die ansässige Bevölkerung. Zu einer Verdrängung kam es jedoch nicht. Während die Erwerbstätigenquote bei Schweizern stieg, stabilisierte sie sich bei den EU-Zuwanderer bei hohen 82 Prozent.

Dies geht aus dem am Dienstag präsentierten Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU hervor. Darin werden die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf den Schweizer Arbeitsmarkt und auf die Sozialversicherungen untersucht.

Noch wird die Personenfreizügigkeit positiv beurteilt. Allerdings sei sie kein Allheilmittel, sagte Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch. Um den Fachkräftebedarf der Wirtschaft abzudecken, sei das Instrument sehr wichtig, sie ersetze aber nicht Investitionen in den beruflichen Nachwuchs und in die Weiterbildung.

Sinkende Zuwanderung
Die Zuwanderung hat sich mit der Frankenstärke leicht abgeschwächt. So wanderten unter dem Strich im letzten Jahr 71’000 Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz ein, 47’800 davon aus EU/EFTA-Ländern – gegenüber 73’000 respektive 50’600 im Vorjahr.

Zu Jahresbeginn hat sich der Rückgang noch weiter akzentuiert. Die Zuwanderung aus EU/EFTA-Ländern ging in den ersten fünf Monaten um 23% zurück. Besonders in den Wechselkurs exponierten Branchen war ein deutlicher Rückgang der Zuwanderung zu beobachten. Dagegen verzeichnete das Gesundheits- und Sozialwesen weiterhin einen leichten Zuwachs. «Die Zuwanderung reagiert auf die Konjunktur», sagte Zürcher.

Flankierende Massnahmen wichtig
Gemäss dem Bericht fiel das Lohnwachstum in der Schweiz in den letzten Jahren insgesamt robust und ausgewogen aus. Die Unterschiede zwischen Regionen waren dabei gering und standen in keinem offensichtlichen Zusammenhang zu den regionalen Unterschieden hinsichtlich der Zuwanderung. Es habe keinen systematischen Lohndruck gegeben, sagte Zürcher.

Eine wichtige Rolle spielten dabei die flankierenden Massnahmen, wie auch die Gewerkschaften und Arbeitgeber einräumen. «Der Arbeitsmarkt war und ist in der Lage, die Zuwanderung aufzunehmen», sagte Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, vor den Medien.

Aus Sicht der Gewerkschaften müssen die Missbräuche der Personenfreizügigkeit aber besser bekämpft werden. In verschiedenen Branchen ohne allgemeinverbindliche Mindestlöhne hätten die Kontrolleure im letzten Jahr mehr Arbeitgeber aufgespürt, die zu tiefe Löhne bezahlten, kritisierte der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), Daniel Lampart.

Grenzregionen im Fokus
Ein besonderes Augenmerk gilt weiterhin den Grenzregionen in der Romandie und im Tessin. Die aktuellsten Lohndaten für das Jahr 2014 lieferten erneut Hinweise darauf, dass Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Tessin und auch im Jurabogen im Schnitt tiefere Löhne erzielten als ansässige Erwerbstätige. Die Kontrolle und Durchsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen behalte daher in diesen Regionen hohe Priorität, bekräftigte Zürcher. (awp/mc/ps)

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