Lucas Schalch, Geschäftsführer Intergenerika, im Interview

Lucas Schalch, Geschäftsführer Intergenerika, im Interview
Dr. Lucas Schalch, Geschäftsführer Intergenerika. (Bild: Intergenerika)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Schalch, seit November 2022 sind Sie Geschäftsführer von Intergenerika, zuvor haben Sie die Geschäfte von Daiichi Sankyo in der Schweiz geleitet. Wie gross war die Umstellung, was sind die wichtigsten Änderungen oder Neuerungen, die Sie bei Intergenerika vornehmen wollen?

Lucas Schalch: Zwischen meiner aktuellen und vorgängigen Tätigkeit gibt es naturgemäss Unterschiede – aber auch viele Gemeinsamkeiten, da ich nach wie vor in der Pharma- und Gesundheitsbranche arbeite und in meiner Arbeit das Wohl der Patientinnen und Patienten über allem steht.

In der Leitung der Geschäfte der Schweizer Niederlassung des zweitgrössten japanischen Pharmaunternehmens standen neben den operativen Aufgaben vor allem Führungsaufgaben im Zentrum. Heute richtet sich der Fokus meiner Arbeit auf diverse Stakeholder innerhalb und ausserhalb des Verbands – von den Mitgliederunternehmen über Ärzte- und Apothekervertreter, Politiker und Opinion Leaders bis hin zu Medienschaffenden. Und genau diese neue Konstellation hat mich an der Geschäftsführung des Branchenverbands gereizt.

In den letzten Jahren hat es Intergenerika geschafft, aus der Position des Mauerblümchens zu einem ernstzunehmenden und respektierten Player und Allianzpartner in der Gesundheitsbranche zu avancieren. Jedoch war der Verband – bedingt durch die permanenten Angriffe auf die Generikapreise und den Fokus auf die Abwehr eines Referenzpreissystems – meist in einer Abwehr- und Reaktivhaltung. Aus dieser Defensive will ich den Verband herausführen und im Sinne der Sache aktiv den Dialog mit allen Stakeholdern suchen – auch mit den Personen und Institutionen, die andere Interessen als wir verfolgen oder konträrer Meinung sind.

«Heute werden Ärzte und Apotheker ökonomisch bestraft, wenn sie ein Generikum statt einem Originalpräparat verschreiben beziehungsweise abgeben, da sie bei einem teureren Medikament mehr verdienen.» Lucas Schalch, Geschäftsführer Intergenerika

Ein selbstbewusstes Auftreten steht dem Verband meiner Meinung nach zu, da die Schweizer Hersteller von Generika und Biosimilars seit Jahren qualitativ hochstehende Medikamente zu attraktiven Preisen bieten und damit einen essenziell wichtigen Beitrag zur Arzneimittelgrundversorgung leisten.

2021 wurden in der Schweiz Medikamente zu Fabrikabgabepreisen im Wert von 6.09* Milliarden Franken verkauft (+5.9 %*), der Generika-Umsatz lag mit 881.3* Millionen Franken um +8.8 %* höher als im Vorjahr. Das heisst, der Generika-Umsatz wächst schneller als der Gesamt-Medikamentenmarkt. Wie beurteilen Sie die Zahlen und deren Entwicklung? (*IQVIA Zahlen zu Fabrikabgabepreisen, SL-Markt (=Grundversicherungsmarkt))

Der seit Jahren zu beobachtende kontinuierlich wachsende Generika-Umsatz ist Ausdruck für die hohe Reputation, die Generika bei Leistungserbringern, Patientinnen und Patienten geniessen. Wie die kürzlich erschienene Studie „Effizienzbeitrag der Generika 2022“, von bwa consulting, Bern aufzeigt, sind im vergangenen Jahr in der Schweiz ca. 8 Prozent mehr kassenzulässige Generika verkauft worden als ein Jahr zuvor. Im gleichen Zeitraum ist auch der Verbrauch von Tagesdosen um 5.8 Prozent angestiegen.

Damit liegt das Marktwachstum sowohl wert- wie auch mengenmässig signifikant über der mittleren Veränderung der letzten fünf Jahre.  Dieses dynamische Wachstum von Generika wie auch Biosimilars freut uns natürlich vor allem auch deshalb, weil die patentabgelaufenen Qualitätsarzneimittel somit einen wachsenden Sparbeitrag zum Gesundheitssystem leisten. Jedoch hätte dieser Effizienzbeitrag noch viel höher ausfallen können, wenn Generika und Biosimilars konsequenter eingesetzt worden wären. Hier gibt es also noch genügend Luft nach oben. Mein erklärtes Ziel ist es, diesem Wachstumstrend weiteren Schub zu verleihen.

Gemäss einer von Santésuisse in Auftrag gegebenen Studie fordern 94 Prozent der Bevölkerung, dass Arztpraxen und Apotheken Generika statt Original-Präparate abgeben, um Kosten zu sparen. Weshalb ist der Anteil der Generika, gemessen am Fabrikabgabepreis, in der Schweiz trotzdem nicht höher als knapp 16 Prozent?

Es ist wirklich bedauerlich, dass dieser Forderung der grossen Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer nach Generika nicht entsprochen wird und somit signifikante Einsparungen verhindert werden. So hätten die Effizienzgewinne in der Tat bedeutend höher ausfallen können, wenn Generika anstelle der teureren Originalmedikamente verschrieben worden wären. Die genannte bwa consulting-Studie beziffert die nicht realisierten Einsparungen auf knapp 200 Millionen Franken.

Heute werden Ärzte und Apotheker ökonomisch bestraft, wenn sie ein Generikum statt einem Originalpräparat verschreiben beziehungsweise abgeben, da sie bei einem teureren Medikament mehr verdienen. Im Sinne von gleichlangen Spiessen fordern wir bei Intergenerika gleiche Voraussetzungen in der Vergütung bei der Dispensation, das heisst, eine identische Vertriebsmarge für das patentabgelaufene Original und für dessen Generika.

Der Anteil der Generika am generikafähigen Markt (Generika und Originalpräparate mit abgelaufenem Patentschutz) sank seit 2015, wo er fast 80 % betrug, auf 61 % im 2021. Was ist der Grund für diese Entwicklung, was bedeutet das für die Zukunft der Generika?

Anders als beispielsweise in dem viel grösseren deutschen Markt, wo deutlich mehr Wirkstoffe existieren, hat es im generikafähigen Markt in der Schweiz Originalpräparate, für die es keine Generika gibt. Der Grund ist, dass in dem kleinen Markt die Preise für die Originale oft schon so tief sind, dass sich eine Entwicklung von Generika aus ökonomischer Sicht gar nicht lohnt.  So geht der Trend bedauerlicherweise dahin, dass nur bei Blockbuster-Produkten Nachfolgepräparate auf den Markt kommen. Das Problem wird dadurch weiter verschärft, wenn Originatoren aufgrund der tiefen Preise schon die Produktion ihrer eigenen Präparate einstellen. So gehen dem Markt aus kommerziellen Gründen wichtige Arzneimittel abhanden.

«Die Politik der absurd tiefen Preise im Ausland ist der Ursprung der Versorgungsengpässe. In Deutschland spricht man von einem Marktversagen.»

Dieser Entwicklung könnte man beispielsweise im Schulterschluss mit der Politik gegensteuern,  indem man bei bestimmten Medikamenten die Preissenkungen aussetzt oder einen Minimalpreis festlegt, unter welchen ein Medikament nicht fallen darf. Vergessen wir eines nicht, es sind heute schon 50% der von der Grundversorgung rückerstatteten Generika mit einem Packungspreis von weniger als 20 Franken behaftet. Bedenkt man, dass dies in der Mehrzahl Monatspackungen sind, sprechen wir von Tagestherapiekosten von weniger als 1 Franken oder weniger als einem Bonbon.  

Alain Berset ist 2021 mit dem Referenz- und Maximalpreismodell für Generika, mit dem er jährlich zwischen 300 bis 500 Millionen Franken sparen wollte, im Parlament gescheitert. Wieso müssen Schweizerinnen für Generika im Schnitt doppelt so viel bezahlen wie in anderen europäischen Staaten, die ja sehr ähnliche Qualitätsanforderungen haben und deren Konsumentinnen offenbar mit weniger Dosierungs- und Verabreichungsformen umgehen können?

Die Situation in der Schweiz ist mit der in vielen europäischen Ländern nicht zu vergleichen, weshalb auch der jährliche Auslandspreisvergleich bei Generika, bei dem Äpfel mit Birnen verglichen werden, nicht zulässig und irreführend ist. Fakt ist, die Versorgung mit Generika in der Schweiz ist viel besser als in den Vergleichsländern. So haben in der Schweiz Ärzte, Apotheken und Patienten die Wahl zwischen unterschiedlichen Generika und das Medikament kann auf die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen abgestimmt werden. Nur der behandelnde Arzt und der betreuende Apotheker kennen die Patienten.

In einigen der Vergleichsländer hingegen bestimmen die Krankenkassen das abzugebende Produkt und oktroyieren es allen Patienten ohne Kenntnis der individuellen Bedürfnisse und Patienten-Compliance auf. Das führt zu Verunsicherung des Patienten, zu möglichen Verwechslungen, zu mehr Nebenwirkungen, zu schlechterer Compliance und zu mehr Konsultationen und Hospitalisationen und damit Mehrkosten ausserhalb der Medikamentenkosten.

Dies zu verhindern, war unter anderem ein entscheidender Grund, weshalb wir uns massiv gegen das Referenzpreissystem und damit das Billigstprinzip gewehrt haben. Die Politik der absurd tiefen Preise im Ausland ist der Ursprung der Versorgungsengpässe. In Deutschland spricht man von einem Marktversagen. Last but not least gilt es zu beachten, dass ein kleiner Markt aufgrund fehlender Skaleneffekten unweigerlich zu höheren Kosten und Preisen führt und das Preis- und Lohnniveau in der Schweiz im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern generell signifikant höher liegt.

Das Referenzpreismodell hat in Deutschland mit dazu geführt, dass dort 83 % der abgegebenen Medikamente Generika sind. Weshalb hat Intergenerika dieses Modell so vehement bekämpft, wenn es doch zu einem massiven Anstieg der Generika hätte führen können?

In Deutschland sind die Generikapreise auf einem inakzeptabel tiefen und gefährlichen Niveau. Wir sehen heute die nachhaltigen Schäden des Rabattsystems und Billigstprinzips mit katastrophalen Folgen für die Medikamentenversorgung. Im letzten Jahr hat das Bundesgesundheitsministerium endlich erkannt, dass das Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika die Versorgung destabilisiert hat und zu Engpässen führt. So gab es vor allem bei Kinderarzneimitteln massive Versorgungsprobleme, weil die Herstellung dieser Arzneimittel für die Unternehmen unwirtschaftlich geworden ist und sie die Produktion eingestellt haben.

«Da das Preisniveau in der Schweiz im Vergleich zum europäischen Ausland noch höher ist, ist die Versorgungslage hierzulande vergleichsweise noch besser. Die Fortsetzung des ruinösen Drucks auf die Generikapreise untergräbt jedoch die Sonderstellung der Schweiz im internationalen Kontext und gefährdet die Lage besonders kleinerer Hersteller existentiell.»

Es wurde erkannt, dass es keine Diversifizierung von Anbietern und Lieferketten geben kann, sofern nur ein einziger Hersteller in den Rabattverträgen berücksichtigt wird und dieser die ganze Versorgung sicherstellen muss. Jetzt will das Ministerium mit dem Generika-Gesetz gegensteuern. Aber auch in der Schweiz hat der über Jahre anhaltende toxische Preisdruck zu absurden Situationen geführt – so kosten manche Generika beispielsweise weniger als ein Päckchen Kaugummi. Dieses ruinöse Preis-Dumping muss ein Ende haben.

Ein gewichtiges Argument der Allianz aus Pharma- und Chemieindustrie, Ärzteschaft und Apothekern gegen den Referenzpreis war die Versorgungssicherheit. Die scheint aber auch nicht mehr gewährleistet zu sein, da der Markt trotz hoher Preise wegen ebenso hohen Anforderungen und seiner bescheidenen Grösse nicht lukrativ genug ist. Wie sieht die Situation bei den Generika aus, mit welchen Massnahmen kann die Versorgungssicherheit gewährleistet werden?

Generika sind ein zentraler Baustein der Arzneimittelgrundversorgung, welche aufgrund des seit Jahren anhaltenden Preisdrucks immer mehr gefährdet ist.  So fehlen in den Schränken von Arztpraxen, Spitälern und Apotheken derzeit Hunderte von Medikamenten. Dazu gehören Antibiotika oder Schmerzmittel. Enea Martinelli, Vorstandsmitglied beim Apothekerverband und Spitalapotheker und führt eine eigene Liste über Medikamente, die fehlen. Seinen Analysen zufolge haben wir die grössten Probleme bei tiefpreisigen Kindermedikamenten, vor allem bei fiebersenkendem Sirup. Aber auch Blutdruckmedikamente, Medikamente für die Psychiatrie oder Parkinson fehlen.

Da das Preisniveau in der Schweiz im Vergleich zum europäischen Ausland noch höher ist, ist die Versorgungslage hierzulande vergleichsweise noch besser. Die Fortsetzung des ruinösen Drucks auf die Generikapreise untergräbt jedoch die Sonderstellung der Schweiz im internationalen Kontext und gefährdet die Lage besonders kleinerer Hersteller existentiell. Statt die Preise für die patentabgelaufenen Medikamente immer weiter zu drücken, sollte die Politik der heimischen Industrie vielmehr attraktive Rahmenbedingungen sowie Planungssicherheit bieten.  

Welches sind die Projekte, die Sie in der nächsten Zukunft am meisten beschäftigen?

Einerseits widersetzen wir uns wie gesagt dem genannten Preisdumping. Während Generika und Biosimilars im Rahmen des bestehenden Systems seit Jahren nachweislich einen nachhaltigen und signifikanten Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen leisten und ein breit abgestützter Vorschlag zur weiteren Senkung der Medikamentenkosten vorliegt, verzögert das EDI/BAG über den Verordnungsweg dessen Einführung mit einem Gegenvorschlag, der die Versorgungssicherheit aufs Spiel setzt und potentiell zu Mehrausgaben führen würde. Sowohl National- als auch Ständerat hingegen haben diesen Vorschlag jüngst zurückgewiesen und das EDI/BAG gebeten, mit den Marktteilnehmern eine realistische Lösung auszuarbeiten. Die Politik des EDI/BAG gefährdet die heute schon  prekäre Versorgungslage nur noch weiter.

«Wir haben die Ambitionen, als der weltweite Referenzmarkt wahrgenommen zu werden, der stabil ist und sich durch wenige einfache und pragmatische Regularien sowie eine beständige Planungssicherheit auszeichnet.»

Zum anderen wollen wir auf der anfangs erwähnten hohen Akzeptanz von Generika und Biosimilars in der Bevölkerung aufbauen und über Kommunikation mit den Konsumenten und Patienten die aktive Nachfrage nach Generika und Biosimilars aktiv fördern. Statt „bei den Generika sparen“ muss die Devise vielmehr lauten „mit Generika sparen“.

Die digitale Transformation und technologische Entwicklungen wie Chatbots ermöglichen gerade kleineren Unternehmen neue Wege, sich Gehör zu verschaffen. Wo sehen Sie Möglichkeiten, diese Mittel zu Ihrem Zweck einzusetzen, wie wollen Sie Intergenerika zukunftsfähig machen?

Da wir ja ein Verband und kein profitorientiertes Unternehmen mit Endkunden sind, haben solche technologischen Entwicklungen und Künstliche Intelligenz noch keine grosse Relevanz. In den Beziehungen zu unseren zentralen Anspruchsgruppen und -Personen steht der persönliche Kontakt klar im Vordergrund.

Aber selbstverständlich gewinnen auch bei uns Effizienz und Effektivität in der Kommunikation und Beziehungen mit unseren Stakeholdern mehr und mehr an Bedeutung mit einer differenzierten, bedürfnisgerechten Ansprache diverser Zielgruppen – beispielsweise über soziale Medien oder Kampagnen. Zudem werden wir den Dialog, die Zusammenarbeit und den Wissens- und Erfahrungsaustausch mit internationalen Verbänden und Stakeholdern weiterausbauen. Wir haben die Ambitionen, als der weltweite Referenzmarkt wahrgenommen zu werden, der stabil ist und sich durch wenige einfache und pragmatische Regularien sowie eine beständige Planungssicherheit auszeichnet.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Unter meiner Leitung setzt sich Intergenerika für gesunde Rahmenbedingungen ein, die es unseren Mitgliedern erlauben, die langfristige Versorgung des Schweizer Gesundheitsmarktes mit qualitativ hochstehenden Generika und Biosimilars zu akzeptablen Preisen sicherzustellen und dabei einen wesentlichen Beitrag zur Kostendämpfung zu leisten.

Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir einerseits, dass die Mitglieder des Verbands den Mehrnutzen unserer Arbeit schätzen und wir weiterhin auch attraktiv für neue Mitglieder aus der Generika- und Biosimilars-Industrie bleiben. Zudem wünsche ich mir gute, dauerhaft solide Partnerschaften mit verschiedenen Akteuren im Schweizer Gesundheitswesen, welche für die Sache einstehen und lösungsorientiert zusammenarbeiten.


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