Meret Schneider: Empörung für den guten Zweck?
Es liest sich wie die Chronologie eines kompletten Systemversagens: Der Tierschutzfall in Ramiswil. Bei einer Kontrolle im Solothurner Ramiswil wurden auf einem Hof gravierende Tierschutzmängel festgestellt. Dutzende Pferde mussten beschlagnahmt werden, rund 120 Hunde wurden direkt eingeschläfert. Die Solothurner Kantonstierärztin meinte zu diesem Entscheid: “Leider bestand keine andere Möglichkeit. Ich habe die Hunde selbst gesehen. Sie waren in einem derart schlechten Zustand, dass sie nicht mehr gesund gepflegt werden konnten.”
Das ist ein hartes Urteil, zumal ein solcher Entscheid in derart kurzer Zeit und ohne Untersuchung der einzelnen Tiere eigentlich nicht fundiert zu treffen ist. Um einen Hund tatsächlich nicht retten zu können, muss er in wirklich katastrophalem Zustand sein oder an einer heftigen Krankheit leiden, reine Unterernährung und Vernachlässigung reicht da nicht. Es liegt die Vermutung nahe, dass hier der Weg der Euthanasierung schlicht jener des geringsten Widerstandes – beziehungsweise der geringsten Kosten – war. Da die Halterin keinesfalls für die Tierarztkosten hätte aufkommen können, wäre hier vermutlich die Gemeinde zur Kasse gebeten worden. Entsprechend hoch gingen die Wogen folglich auch in der Bevölkerung, denn es scheint nicht die einzige mutmassliche Fehlentscheidung der zuständigen Kantonstierärztin gewesen zu sein.
Es stellt sich die Frage, wie in einer Gemeinde auf einem Hof 120 Hunde und über 40 Pferde in so katastrophalem Zustand gehalten werden konnten, ohne dass das Veterinäramt davon Kenntnis erhielt. Der Schweizer Tierschutz STS beispielsweise vermeldet, er habe bereits letztes Jahr mehrere Meldungen zum Hof an das Veterinäramt weitergeleitet und auch andere Tierschutzorganisationen meldeten die Missstände. Die zuständige Kantonstierärztin meinte dazu, der Veterinärdienst habe mehrfach Kontrollen durchgeführt und die verfügten Massnahmen seien bei der letzten Kontrolle im Mai eingehalten worden. Der genaue Hergang der Ereignisse und der getroffenen Massnahmen werden derzeit im Rahmen einer externen Untersuchung geklärt. Inzwischen gab es aus der Bevölkerung bereits eine Gedenkfeier für die eingeschläferten Hunde und eine Petition, die eine Suspendierung der Kantonstierärztin fordert. In den Sozialen Medien überschlagen sich derweil die Emotionen und die Empörung: Die Kantonstierärztin und die Halterin wurden als Monster bezeichnet, es wurde mit den schlimmsten Wünschen um sich geworfen und die selbstgerechte, moralische Überlegenheit, die im Subtext mittransportiert wurde, bewog mich dazu, diesen Text zu schreiben.
Klar, der Tathergang ist furchtbar und ich verstehe den Schmerz über die 120 Hunde von Herzen. Auch ob die Kantonstierärztin, insbesondere mit dem Entscheid, die Hunde nach so kurzer Zeit einfach einzuschläfern, ev. ihren Beruf verfehlt hat, ist eine Frage, die man durchaus stellen darf. Doch weder eine Hetzjagd auf Einzelpersonen noch der empörteste Social Media Post wird uns in diesem oder irgendeinem künftigen Fall weiterhelfen. Es handelt sich bei diesem Fall schlicht um ein desaströses Systemversagen, das nur durch absolutes Desinteresse, kombiniert mit Bequemlichkeit von Seiten der Politik zustande kommen konnte. Veterinärämter in den Kantonen erhalten notorisch zu wenig Ressourcen, es mangelt überall an Geld und Personal und künftig sollen vom Bund sogar zusätzlich Kontrollen gestrichen werden. Klar, weder Personalmangel noch wenig Ressourcen rechtfertigen unsorgfältige Kontrollen – es geht hier nicht darum, zu entschuldigen, sondern zu erklären und mögliche Lösungen aufzuzeigen. Das Systemversagen zog sich nämlich direkt weiter: Nach der Beschlagnahmung der Pferde durch den Veterinärdienst Solothurn wurden diese im Rahmen einer Auktion versteigert. Dabei wurden aller Wahrscheinlichkeit nach zahlreiche Pferde zu nicht handelsüblichen Spottpreisen an professionelle Pferdehändler verkauft, bei denen der schnelle Profit durch Weiterverkauf oder Veräusserung an Schlachthöfe vor dem langfristigen Tierwohl steht. Dies geschah, obwohl der Schweizer Tierschutz konkrete Hilfe angeboten und bereits Plätze für gut 20 Pferde organisiert hatte. Warum die Behörden sowohl bei Meldungen zu den Missständen auf dem Hof, als auch bei der Unterbringung der Pferde jegliche Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen abgelehnt hatten, ist schwer zu verstehen. Es scheint hier schlicht das Ziel gewesen zu sein, die Sache schnell, günstig und ressourcensparend unter den Tisch zu kehren – was nun glücklicherweise das Gegenteil zur Folge hat: Der Fall wird umfassend aufgearbeitet.
Klar ist in meinen Augen vor allem Folgendes: Weder die Veterinärämter noch Kantonstierärzte haben Interesse an Tierquälerei oder sind in irgendeiner Weise böse Menschen. Klar ist auch: Sie haben offensichtlich nicht ansatzweise die Ressourcen, die sie für sorgfältige Kontrollen und Fälle der Tierquälerei einsetzen müssten und es wäre in deren Verantwortung, dies zu melden und zu beanstanden. Und klar ist als Letztes, und das ist das Bittere: Die Interessen der Tiere geniessen in der Politik die geringste Priorität. Es werden genau so viele Ressourcen bereitgestellt, dass es für Veterinärdienste, die nur ein Minimum des Notwendigen leisten können und höchstens als Feigenblatt dienen, reicht. Wie oft bin ich mit meinen Vorstössen im Bereich Tierschutz gescheitert, weil die Massnahmen zu teuer seien. Und selbstverständlich werde ich noch in dieser Wintersession einen Vorstoss zum Fall Ramiswil einreichen, der Konsequenzen und vom Bund mehr Ressourcen, den Ausbau von Meldestellen und die Förderung von Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Tierschutzorganisationen und allen Akteuren vor Ort fordert. Vermutlich wird er scheitern, doch das Thema auf die politische Agenda zu setzen, ist dennoch wichtig und hier kommen die Online-Empörten ins Spiel: Ob die Interessen der Tiere in der Politik mehr Gewicht erhalten, liegt einzig bei der Stimmbevölkerung. Wählt tierfreundliche Politiker*innen in eure Kantons- und Gemeinderäte, macht Tierschutz zu einem Thema, das politisch genauso als Kategorie gewürdigt wird, wie Wirtschaftsfreundlichkeit, Klima oder Asylpolitik. Es soll sich kein*e Politiker*in mehr leisten können, dazu keine fundierte Position zu beziehen – nur so können wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass der Fall in Ramiswil nicht einer von diversen weiteren sein wird.
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