PMT: Polizeilicher Macht-Traum auf Abwegen

PMT: Polizeilicher Macht-Traum auf Abwegen
(Photo by Chris Yang on Unsplash)

Eigentlich tönt es ja gut, das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT). Wer möchte schon nicht den Terrorismus bekämpfen? Wer sich jedoch die vagen Definitionen und die damit verbundenen Machtverschiebungen und Tabubrüche im geplanten Gesetz anschaut, wird kaum dafür stimmen können.

Von Helmuth Fuchs

Die Schweiz hat in der “Fichenaffäre“, die durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) 1989 zufällig aufgedeckt wurde (Ziel der PUK war eigentlich ein Telefongespräch der Bundesrätin Elisabeth Kopp mit ihrem Ehemann), unliebsame Erfahrungen mit der Sammelwut von Daten unbescholtener BürgerInnen durch misstrauische und übergriffige Behörden gemacht. Der PUK-Bericht zeigte auf, dass Fichen von über 900‘000 Menschen angelegt wurden.

Fichen auf digitalen Sterioden
Wer glaubt, dass die Fichenaffäre zu einer anhaltenden Läuterung der Behörden geführt habe, täuscht sich. Gerade die Digitalisierung führt zu einer Unmenge an potentiell interessanter Daten, die sich auch relativ einfach verknüpfen und auswerten lassen. Seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 lassen sich unter dem Stichwort „Terrorabwehr“ fast alle gesetzlichen Massnahmen ausweiten und Menschenrechte einschränken. So sind in Quantanamo 20 Jahre nach den Anschlägen immer noch 40 Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert.

Auch in der Schweiz ermöglicht das BÜPF (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) eine gezielte Überwachung der Kommunikation mit weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten. Gerade weil mit Software-Programmen die Auswertung von Daten und Metadaten viel effizienter ist, werden auch die Netzwerke bei der Suche grobmaschiger und öfters ausgeworfen, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass schon irgend etwas hängen bleiben wird. Die Zahlen des Überwachungsdienstes Post und Fernmeldeverkehr (ÜPF) zeigen 2020 eine Verdoppelung der einfachen Anfragen gegenüber 2019 auf über 250’000.

Überall, wo Anbieter zum Schutz der Benutzer zum Beispiel eine Verschlüsselung einsetzen, haben staatliche Behörden schon Gegenmassnahmen getroffen (Staatstrojaner, Government Software) und fordern für sich spezielle Zugänge von den Softwareherstellern. Was das für kleine Schweizer Anbieter von Messenger-Diensten bedeutet, hat Adrienne Fichter in der Rebublik beschrieben («Fischzüge des Überwachungs­staats«, 26. Mai 2021).

Die Befürworter des neuen Gesetzes argumentieren, dass selbstverständlich grösste Sorgfalt und Zurückhaltung bei den Massnahmen zur Anwendung komme. Zumindest die aktuelle Praxis der Datensammlung des Nachrichtendienstes des Bundes lässt Zweifel aufkommen, zumal natürlich praktisch alles geheim und kaum überprüfbar ist, wenn es um die Auswertung, Speicherung und Weiterverwendung der Daten geht. Dies moniert auch die Aufsichtsbehörde in ihrem Bericht vom 31.03.2020.

Verdacht statt Fakten
In diesem Umfeld ist schwer zu verstehen, weshalb mit dem neuen Bundesgesetz der Polizei mehr Macht gegeben werden soll, nur schon auf Verdacht hin (ohne Beweise), alleine (ohne richterlichen Beschluss) weit gehende Massnahmen gegen Personen zu beschliessen und durchzuführen. Keine Kontrolle mehr, keine Gewaltenteilung, nur die äusserste Massnahme, der Hausarrest, braucht noch einen richterlichen Beschluss.

«Die Massnahmen greifen in verschiedene in der Bundesverfassung und durch das Völkerrecht garantierte Grund- und Menschenrechte ein.» Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung

Die Schweiz war bis anhin bekannt dafür, besonders für Freiheit und Grundrechte einzustehen. Mit dem geplanten Gesetz werden höchst nebulöse Definitionen von «GefährderInnen» und «terroristischen Aktivitäten» definiert, zu denen eine Beweislast-Umkehr eingeführt wird (ein Beschuldigter muss beweisen, dass er in Zukunft keine Straftaten begehen wird, um von den Massnahmen befreit zu werden). Die Bundespolizei (Fedpol) kann nach Gutdünken, ohne Beweislast oder aussenstehende Kontrolle für Kinder, respektive Jugendliche ab 12 Jahren (Hausarrest ab 15 Jahren) Massnahmen wie elektronische Überwachung, Kontaktverbot, Gebietsbeschränkung, Ausreiseverbot, bis zu 12 Monate (Hausarrest bis 9 Monate) ergreifen. Wer die angeordneten Massnahmen bekämpfen will, muss neu beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichen. Unschuldsvermutung? Fehlanzeige.

«Als terroristische Gefährderin oder terroristischer Gefährder gilt eine Person, wenn aufgrund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie oder er eine terroristische Aktivität ausüben wird.»

«Als terroristische Aktivität gelten Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.»
Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT)

Klare Verletzung der Menschenrechtskonvention, unklare Anwendungsbereiche
Der Hausarrest verletzt zudem die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wie das Gutachten vom Umbrecht Rechtsanwälte im Auftrag der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Fedpol) klar aufzeigt (Ziffer 127).

Wer verstehen möchte, wie schnell Andersdenkende, oder KritikerInnen von Massnahmen, als Staatsgefährder eingestuft werden können, wie schnell die Wahrnehmung von teilweise willkürlich ausgesetzter Grundrechte als Straftat deklariert und geahndet wird, hat in der Pandemie erste Hinweise bekommen. Ein weiteres beunruhigendes Beispiel liefert der unverhältnismässige Polizei-Einsatz gegen Klimaaktivisten wegen Verdachts zur Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten (so viel zum Thema, die Polizei könne heute nicht schon bei Verdachtsmomenten eingreifen).

Die Einschätzung der Bedrohung basiert alleine auf den Bedrohungsszenarien derjenigen, welche die Massnahmen beschliessen, kontrollieren und deren Weiterführung beurteilen. Alles aus einer Hand. Dazu noch eine weitgehend intransparente Datenbeschaffung, -Speicherung und Weiterverwertung, die ebenfalls ohne Kontroll- oder Einsichtsmöglichkeit stattfindet (Art. 18: «Es können alle ein- und ausgehenden Meldungen erfasst werden, insbesondere Telefonmitschnitte und -mitschriften, E-Mails, Briefe und Faxmitteilungen. Die Systeme können besonders schützenswerte Personendaten und Persönlichkeitsprofile enthalten.»)

Aus unerfreulicher Erfahrung werden üblicherweise Gesetze so klar wie möglich formuliert, um die Abhängigkeit von wohlwollenden Interpretationsgremien zu verhindern. Hier geschieht genau das Gegenteil: Grösstmögliche Vagheit und Interpretationsmöglichkeit mit minimalster Transparenz und fast keinen praxistauglichen Mitteln für die Betroffenen, sich zu wehren.

«Ad personam»-Gesetz für eine mehrfach der Lügen überführte Bundesrätin?
Bundesrätin Karin Keller-Sutter garantiert gerne bei ihren Auftritten, dass sie persönlich dafür einstehe, dass kein Missbrauch stattfinden könne und das Gesetz nur gegen „echte Terroristen“ (in den Beispielen immer islamistisch motivierte Terroristen) Anwendung fände. Gesetze werden aber nicht ad personam einer aktuellen Bundesrätin gemacht, sondern müssen auch dann anwendbar sein, wenn zum Beispiel ein Bundesrat oder eine Bundesrätin mit ganz anderen politischen Vorstellungen das Amt ausübt, oder sich die Bedrohungslage verschiebt.

Zudem ist Frau Keller-Sutter schon der Lüge überführt worden im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungs-Initiative (KVI). Auch jetzt nimmt es die Justizministerin nicht sehr genau mit der Wahrheit, wie die Staats- und Völkerrechts-Expertin Sanija Ameti im Blick-Interview vom 24. Mai 2021 ausführt. Karin Keller-Sutter argumentiert, dass die Polizei heute keine Mittel habe, nur auf einen Verdacht hin gegen Terroristen vorzugehen. Das ist nachweislich falsch. Wer die Gewalt des IS befürworten, entsprechende Videos verbreitet oder besitzt, einen Terrorakt plant oder damit droht, kommt heute schon ins Visier von Polizei und Bundesanwaltschaft. Hier gibt es keine Lücke, die geschlossen werden müsste, wie Nadja Capus, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Neuenburg, in ihrem Kommentar in der NZZ vom 1. Juni 2021 festhält.

Angesehene Juristen gehen vor Bundesgericht wegen irreführenden Aussagen des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein
Gegen das Gesetz haben angesehene Juristen wie der ehemalige Bundesrichter Niccolò Raselli, der frühere Ständerat Dick Marty und Nationalrat Christian Dandrès Beschwerde eingereicht. Dass die Polizei erst eingreifen könne, wenn bereits ein Delikt begangen wurde, wie dies der Bundesrat behaupte, sei eine krasse Lüge. Der Bundesrat spiegle im Abstimmungsbüchlein zudem vor, das Gesetz verstosse nicht gegen die Grundrechte und die Bundesverfassung, was sechzig Rechtsprofessoren widerlegt hätten. Die Beschwerdeführer fordern einen Verzicht auf die Abstimmung oder die Streichung des Resultat. Nach der erfolglosen Beschwerde beim Tessiner Regierungsrat gehen sie nun vor Bundesgericht.

Gedankenkontrolle: Mittel von Terror-Regimes für unsere Vorbild-Demokratie?
Das neue Gesetz würde es der Polizei erlauben nur schon auf den Verdacht eines Verdachts hin aktiv zu werden. Es geht darum, dass jemand eventuell in Zukunft ein Gefährder werden könnte. Wer die «Veränderung der staatlichen Ordnung mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken begünstigt» kann schon von der Polizei mit Massnahmen belegt werden. Da träfe zum Beispiel bei jeder Abstimmung auf die jeweilige Gegenpartei zu, die mit Untergangsszenarien die staatliche Ordnung gemäss ihrem Credo beeinflussen möchte.

Steven Spielberg hat ziemlich genau das dem Gesetz zugrunde liegende Szenario vor fast zwanzig Jahren, 2002 in seinem Film «Minority Report» vorweggenommen. John Anderton (Tom Cruise) leitet im Washington des Jahres 2054 eine Abteilung, die auf die Festnahme zukünftiger Mörder spezialisiert ist. Auf Grund der Visionen der sogenannten Precogs ist es möglich, Verbrecher zu erwischen, bevor sie ihr Verbrechen begehen können. Spoiler Alert: Es hat damals genau so wenig funktioniert, wie es das heute würde. In eine ähnliche Richtung geht auch die in der IT-Szene angesiedelte Novelle «The Circle» von Dave Eggers. Aufgabe sämtliche Freiheiten zugunsten totaler Sicherheit. Klar, auch hier scheitern die gut gemeinten Bemühungen.

Im Kern möchten sich die Befürworter gerne genau der Mittel von Terror-Regimes bedienen, die zu bekämpfen sie vorgeben. Aus den Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung: «Jeder kann, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, bis zu neun Monate unter Hausarrest gestellt werden. Wer gegen ein willkürlich erlassenes Kontaktverbot verstösst, muss mit bis zu drei Jahren Haft rechnen. Wehren können sich Betroffene nur, indem sie beweisen, dass sie in Zukunft nie ein Verbrechen begehen. Das ist schlicht unmöglich.»

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT)

Komitee «Nein zum Willkürparagrphen»


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