SBB braucht Geld für Schienen – Bund will vorerst nicht bezahlen
(Foto: SBB / Alain D. Boillat)
Bern – Die SBB braucht mehr Geld für ihre Schienen. Neue Tests haben gezeigt, dass diese in einem schlechteren Zustand sind als bisher angenommen. Im August hat die Führungsriege daher beim Bund für Geld angefragt. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) war erstaunt und will zuerst weitere Informationen.
«Wir waren überrascht, da im aktuellen Netzzustandsbericht, den uns die SBB im April zustellte, noch keine Hinweise zu finden waren, dass im Unterhalt der Fahrbahn gravierende Probleme bestünden», sagt BAV-Sprecher Gregor Saladin. Der Netzzustandsbericht dient dem BAV als verbindliches Dokument für die Beurteilung des Anlagezustands.
In einem Brief an SBB-Chef Andreas Meyer, welcher der Nachrichtenagentur sda vorliegt, hält das BAV daher fest, dass die SBB zuerst darüber informieren müsse, welche Aussagen im Netzzustandsbericht 2012 inhaltlich nicht mehr richtig seien. Der Brief von Anfang August wurde zuerst im Fachmagazin «Schweizer Eisenbahn-Revue» und am Mittwoch auszugsweise in der «Aargauer Zeitung» publiziert.
Ursachen für Schäden noch zu wenig klar
In dem Brief schreibt das BAV weiter, dass die Ursache der Schäden noch zu wenig klar seien. Gleiches gelte für die zu ergreifenden Massnahmen und allfällige finanzielle Folgen. Über mögliche Finanzierungsoptionen könne diskutiert werden, sobald die Geschäftsleitung der SBB eine neue Unterhaltsstrategie für die Infrastruktur verabschiedet habe und gefestigte Analysen zu den Ursachen der Schäden vorlägen.
SBB-Sprecher Christian Ginsig wollte sich zum Inhalt des Briefes nicht äussern. Hingegen erklärte er den zusätzlichen Finanzbedarf: Die SBB habe zwar schon seit längerem vermutet, dass das Schienennetz in einem schlechteren Zustand sei als bisher angenommen. Definitive Klarheit habe man aber erst nach Herausgabe des letzten Netzzustandsberichts gehabt.
Neues Messgerät zeigte bisher unbekannte Schäden
Tests mit einem neuen Ultraschall-Messfahrzeug hatten Mängel aufgezeigt. Mit dem Messzug können auch Risse und Verhärtungen im Innern der Schiene entdeckt werden, was mit früheren Diagnosegeräten nicht möglich war. «Da die Züge heute schneller beschleunigen, wird ein höherer Druck vom Rad auf die Schiene ausgeübt, was zu kleinen Rissen oder grösseren Abnützungen der Schiene führen kann», sagt Ginsig.
Starke Netzbelastung
Zusätzlich spiele die starke Netzbelastung eine Rolle. Auch sie fördere die Abnutzung der Geleise. Der Chefredaktor der «Schweizer Eisenbahn-Revue», Walter von Andrian, nennt noch einen weiteren Grund für den schlechten Zustand der Infrastruktur: «Um Geld zu sparen, hat die SBB in den letzten 15 Jahren die Investitionen in die Infrastruktur vernachlässigt. Das rächt sich nun.»
Schon im ersten Halbjahr hatte die SBB ihre Infrastruktur intensiv warten müssen, was zu Kosten in Höhe von 70 Millionen Franken führte und das Halbjahresergebnis schwer belastete. Um welchen Betrag die SBB-Führungsriege das BAV gebeten hat, ist nicht in Erfahrung zu bringen: Weder das BAV noch die SBB wollten hierzu Stellung nehmen.
Unkosten sollen über Deckungsbeitrag finanziert werden
BAV-Sprecher Saladin zufolge ist es jedoch wahrscheinlich, dass der Bund im nächsten Jahr keine zusätzlichen Gelder sprechen wird. Im Brief an SBB-Chef Meyer zieht das Bundesamt stattdessen in Erwägung, den Deckungsbeitrag im Fernverkehr um 1 bis 2 Prozentpunkte zu erhöhen.
«Die Einnahmen aus dem Deckungsbeitrag sind eine Geldquelle für die Finanzierung der SBB-Infrastruktur», erklärt Saladin. Den Deckungsbeitrag müssen die Infrastrukturbenutzer entrichten, sofern es ihre Ertragskraft erlaubt. Der Güterverkehr und der subventionierte Regionalverkehr müssen beispielsweise keinen Deckungsbeitrag entrichten. «Der SBB-Fernverkehr ist dagegen hoch profitabel», sagt Saladin. Von daher sei es eine Überlegung wert, die fehlenden Mittel in der Infrastruktur über höhere Abgaben beim Fernverkehr zu decken.
Politischer Entscheid
Dass der SBB-Fernverkehr zusätzliche Abgaben über eine Erhöhung der Billettpreise auf die Kunden abwälzen könnte, erkennt Saladin zwar. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Entscheidung darüber, wie viel Gewinn der SBB-Fernverkehr machen dürfe, eine politische sei. Die Höhe des Gewinns werde vom Bundesrat in den strategischen Zielen für die SBB definiert. Ausserdem könne die SBB ihre Preise nicht selbst festlegen, diese würden mit dem Verband öffentlicher Verkehr (VÖV) ausgehandelt. «Es ist auf jeden Fall nicht unsere Absicht, dass es zu höheren Billettpreisen kommt», sagt Saladin.
Auch SBB-Sprecher Ginsig bekräftigt auf Nachfrage frühere Aussagen, wonach es für das nächste Jahr nicht zu einer Erhöhung der Billettpreise kommen werde. Ob längerfristig der Bund, die SBB oder doch die Fahrgäste für die höheren Kosten aufkommen müssen, ist hingegen noch ungewiss. (awp/mc/pg)