Schweizer zweifeln Unbestechlichkeit der Ärzte an

Schweizer zweifeln Unbestechlichkeit der Ärzte an
(Foto: 18percentgrey - Fotolia.com)

Zürich – Gesundheit ist das höchste Gut, so sollte man zumindest meinen. Als eigener Gesundheitsmanager, welcher selbstverständlich seine Behandlung oder Medikation hinterfragt, versteht sich jeder vierte Schweizer jedoch nicht. Dieses Ergebnis ist umso verwunderlicher, als dass ein Grossteil der Bevölkerung glaubt, dass Ärzte ihnen Medikamente unter rein wirtschaftlichen Aspekten verschreiben.

Wer zum Arzt geht, wägt sich – oft in der Ohnmacht der Erkrankung – in sicheren Händen. Der Arzt weiss genau, was er tut – das hoffen die Patienten. Dass aber der Patient nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, seinen Behandlungsplan, die Medikation und die Wahl von Spitälern und Operateuren kritisch zu hinterfragen, ist noch immer eine Seltenheit. Dies zeigt eine repräsentative Befragung, die das Institut Innofact im Auftrag des führenden Internetvergleichsdiensts comparis.ch durchgeführt hat. Jede vierte Person gab demnach an, eine vom Arzt vorgeschlagene Behandlung nicht zu hinterfragen. Bei den 15-29-Jährigen ist es sogar jeder Dritte. Im Alter wird man dann zunehmend kritischer: So gaben 74.5 Prozent der 60-74-Jährigen an, die vorgeschlagene Behandlung auch mal kritisch in Frage zu stellen. «Schon nur die Frage, ob eine Behandlung zum jetzigen Zeitpunkt auch wirklich nötig wäre, kann vielleicht lohnende Alternativen aufzeigen», so der Gesundheits-Experte Felix Schneuwly von comparis.ch.

Pharmaunternehmen profitieren scheinbar
36 Prozent der Schweizer haben noch nie nachgefragt, warum sich ihr Arzt für ein bestimmtes Medikament entschieden hat. Gäbe es vielleicht ein günstigeres Präparat? Wer diese Frage nicht stellt, wird nie umfassend informiert aus der Praxis gehen, sondern viel eher mit einer vollgepackten Einkaufstüte aus der Apotheke. Im Tessin stellt gar nur jeder zweite die Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Medikamentenwahl.

Trotzdem glauben knapp 40 Prozent der Schweizer, dass ihr Arzt ihnen schon mal ein Medikament verschrieben hat, welches primär ihm einen Nutzen brachte. Ein Vorwurf, welcher gerade bei der jüngeren Generation von fast jeder zweiten Person geäussert wurde. Am argwöhnischsten sind die Bewohner aus dem Bündner Oberland, wo sich nicht weniger als 69 Prozent aller Befragten vorstellen können, dass Medikamente nach wirtschaftlichen Aspekten für den Arzt verschrieben werden. Was dies vor allem aufzeigt, ist, dass viele Schweizer zwar dem System misstrauen, trotzdem aber nicht selber aktiv werden.

Ärzte zeigen noch zu oft keine Optionen auf
Auf die Frage, ob der behandelnde Arzt mit den Patienten jeweils die Behandlung als auch deren Alternativen besprochen habe, zeigt sich ein weiterer Missstand im Schweizer Gesundheitssystem: Noch immer gibt jeder fünfte unter den Befragten an, dass der behandelnde Arzt keine Alternativen zur Behandlung besprochen habe. Oftmals wird schon über die Behandlung nur mangelnd informiert, geschweige denn auch noch auf andere Behandlungsmethoden eingegangen. Auch bei dieser Frage schwingen die Tessiner oben aus – mehr als jeder Dritte gab an, nicht über alternative Behandlungsmethoden informiert worden zu sein.

«Wunschlisten-Problem» bei Medikamenten
Nur die Patienten mehr in die Pflicht zu nehmen, ist sicherlich auch falsch. Die Befragung zeigt, dass auch Ärzte nicht immer genügend in die Tiefe gehen. Wünscht nämlich ein Patient ein bestimmtes Medikament, gilt es auf der Seite der Ärzte, diesen Wunsch ebenfalls zu hinterfragen und bei besseren Alternativen auch entschieden abzuraten. «So verlangt es mindestens das ärztliche Berufsethos», sagt Felix Schneuwly. Bei über der Hälfte aller Befragten war dies jedoch noch nie der Fall. Die Ärzte haben die jeweilige «Wunschliste» nicht in Frage gestellt, sondern einfach ein entsprechendes Rezept ausgestellt.

«Der tragische Fall der 16-jährigen Céline zeigt klar, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn die Medikamentenverschreibung schiefgeht. Seit dem Schicksalsschlag von Céline, die 2008 nach zweimonatiger Einnahme der Anti-Baby-Pille Yasmin eine Thrombose erlitten hatte und seither schwerstbehindert ist, steht das Verhütungsmittel des Pharmakonzerns Bayer in der Kritik. Trotzdem wird die Pille rege weiterverkauft, wenn es auch genügend Alternativen gäbe. Hier sind klar die Ärzte und Apotheker in der Pflicht, ihre Patienten auf mögliche Risiken aufmerksam zu machen und eine andere Pille zu empfehlen», so Schneuwly zum Fall Yasmin und deren Verschreibungspolitik. (comparis.ch/mc/ps)

Über die Erhebung
Die repräsentative Befragung wurde im Juli 2016 durch das Marktforschungsinstitut Innofact AG im Auftrag von comparis.ch bei 1031 Personen in allen Regionen der Schweiz durchgeführt.

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