Selbstbestimmungsinitiative der SVP wuchtig verworfen

Selbstbestimmungsinitiative der SVP wuchtig verworfen

Bern – Das Stimmvolk hat die Selbstbestimmungsinitiative der SVP wuchtig abgelehnt. 66,3 Prozent der Stimmenden und sämtliche Stände sagten Nein. Am Verhältnis zwischen Landes- und Völkerrecht ändert sich somit nichts.

Insgesamt rund 1’713’000 Personen lehnten die Initiative ab, 872’800 Personen nahmen sie an. In der Romandie hatte die Initiative noch weniger Chancen als in der Deutschschweiz. Am deutlichsten verworfen wurde sie im Kanton Neuenburg mit 77,4 Prozent, gefolgt von den Kantonen Waadt mit 76,6, Jura mit 75,5, Genf mit 75,3 und Freiburg mit 72,6 Prozent.

Das knappste Resultat verzeichnete der Kanton Schwyz mit einem Nein-Stimmenanteil von 52,9 Prozent, gefolgt von den Kantonen Appenzell Innerrhoden mit 53, Tessin mit 53,9 und Glarus mit 55,5 Prozent.

Das Resultat ist deutlicher als die Umfragen erwarten liessen: Anfang November sprachen sich in der SRG-Umfrage 61 Prozent gegen die Initiative aus, in der Tamedia-Umfrage 58 Prozent. Auch im Vergleich zu anderen abgelehnten SVP-Initiativen schnitt die Selbstbestimmungsinitiative schlecht ab. Die Durchsetzungsinitiative zum Beispiel wurde mit 59 Prozent verworfen.

Keine starre Regel
Mit dem Nein bleibt alles beim Alten: Kommt es zu einem Konflikt zwischen einer Verfassungsbestimmung und einem internationalen Vertrag, sind weiterhin verschiedene Lösungen möglich. Bei einem Ja wäre eine starre Regel festgelegt worden.

Die Bundesverfassung hätte immer Vorrang vor dem Völkerrecht gehabt, mit Ausnahme zwingender Bestimmungen. Im Konfliktfall hätte die Schweiz den internationalen Vertrag nicht mehr anwenden dürfen, sofern dieser nicht dem Referendum unterstand. Sie hätte ihn neu verhandeln und nötigenfalls kündigen müssen.

Entscheid über Grundsatzfrage
Die SVP versuchte, die Abstimmung zum Votum für oder gegen die direkte Demokratie zu stilisieren. Nur mit einem Ja sei diese zu retten, verkündete die Partei. In Kontrast zur Botschaft kamen die Plakate betont moderat daher. Kurz vor der Abstimmung erschienen doch noch provokative Inserate.

Trotz des grossen Aufwands gelang es den Initianten aber nicht, über das eigene Lager hinaus zu überzeugen. Der Ja-Stimmenanteil liegt nur leicht über dem Wähleranteil der SVP. Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern sprach am Sonntag von einer Schlappe.

Serie von Niederlagen
Für die SVP setzt sich eine Serie von Niederlagen fort: Die von ihr unterstützte No-Billag-Initiative scheiterte ebenso wie die Referenden gegen das Energiegesetz, die erleichterte Einbürgerung oder das Asylgesetz. 2016 war die SVP mit der Durchsetzungsinitiative gescheitert.

Mit der Selbstbestimmungsinitiative stand eine Art übergeordnete Durchsetzungsinitiative zur Diskussion: Die SVP wollte erreichen, dass angenommene Volksinitiativen wortgetreu umgesetzt werden müssen – auch dann, wenn sie völkerrechtliche Bestimmungen verletzen. Auslöser war ein Bundesgerichtsurteil von 2012 in einem Ausschaffungsfall, das der SVP missfiel.

Nervöse Gegner
Die Ausschaffungsinitiative hatten Volk und Stände 2010 angenommen. 2014 folgte das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative. Auch damals war die SVP allein gegen alle anderen angetreten. Die Selbstbestimmungsinitiative löste deshalb unter den Gegnerinnen und Gegnern Nervosität aus. Bereits am Tag der Lancierung luden sie zur Medienkonferenz.

Die Warnungen der Gegner vor einem Ja klangen nicht weniger dramatisch als jene der Initianten vor einem Nein: Die Menschen in der Schweiz verlören den Schutz durch die Menschenrechte, das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat gerate aus den Fugen, es drohe eine Willkürherrschaft der Mehrheit, hiess es.

Schweiz als Vertragsbrecherin
Die Gegner machten aber auch praktische Gründe geltend. Die Schweiz würde sich mit einem Ja zur Initiative vorbehalten, Verträge nicht einzuhalten, wann immer sie möchte, argumentierten sie. Damit würde sie zu einem höchst unverlässlichen Partner.

Die Wirtschaft warnte vor Rechtsunsicherheit. Justizministerin Simonetta Sommaruga betonte, die Schweiz entscheide bereits heute selber, welche Verträge sie abschliesse und welche nicht. Zu reden gaben auch Unklarheiten. Der Initiativtext liess offen, wann ein Widerspruch zur Verfassung vorliegen würde, wann ein Vertrag gekündigt werden müsste und wer darüber entscheiden würde.

Rahmenvertrag mit der EU
Dass das Thema abstrakt und komplex ist, machte es für die Initianten nicht einfacher. Die SVP versuchte zwar, die Initiative als Mittel gegen alles Mögliche darzustellen – beispielsweise gegen den Uno-Migrationspakt und gegen ein Rahmenabkommen mit der EU.

Beim Uno-Migrationspakt zeigte der Widerstand Wirkung: Die Schweiz wird vorläufig nicht zustimmen. Über ein Rahmenabkommen mit der EU könnte das Stimmvolk ohnehin entscheiden.

Zur EU hat die SVP bereits eine weitere Volksinitiative eingereicht: die Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» (Begrenzungsinitiative), die eine Kündigung der Personenfreizügigkeit verlangt. Dazu dürfte es ebenfalls hitzige Debatten geben, aber weniger Verwirrung. (awp/mc/pg)

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