«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Wieso tut man so was, und wie geht man es an?

«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Wieso tut man so was, und wie geht man es an?
Val Lumnezia (Bild: Helmuth Fuchs)

Oft sind sich ändernde Lebenssituationen, von aussen angestossen, im Innern verarbeitet, eine gute Motivation, sein Leben nochmals grundlegend zu verändern. In unserem Falle war es nach dem Auszug der drei Kinder, das für uns eigentlich zu grosse Haus und die Erkenntnis, dass man mit 60 Jahren noch genügend Energie hat, sich radikal zu entwurzeln und in einer völlig neuen Umgebung nochmals Fuss zu fassen.

Von Helmuth Fuchs

Es wäre bequem gewesen, im Haus, das wir 1992 im Planungsstadium gekauft und 1994 bezogen hatten, zu bleiben, die Erinnerungen, den Garten und den Baumbestand zu pflegen, täglich die Sicht auf den See, im Sommer den Badeplatz zu geniessen, am Netz mit all den lieb gewonnen Nachbarn, Bekannten und Freunden sachte weiter zu spinnen. Alt zu werden im Bekannten, Vertrauten, im Wissen, dass wir getragen werden und aufgehoben sind.

Doch aus unserer Sicht war das wundervolle Haus direkt am Sihlsee mit nur uns beiden «unterbewohnt», sozial und ökologisch eine zu schlecht genutzte Ressource. Wer so viel Freude an diesem Ort erleben durfte wie wir, ist verpflichtet, dies auch anderen zu ermöglichen. Unsere drei mittlerweile erwachsenen Kinder sind zwar alle in Beziehungen, aber noch ohne eigene Kinder, also wäre es auch keine bessere Lösung gewesen, das Haus einem der Kinder zu übergeben. So entschlossen wir uns, das Haus an eine Familie zu vermieten und fanden nach einem intensiven Auswahlverfahren eine Familie, die jetzt mit zwei Kindern und einem Hund die «Arche Noah» und das familiäre Quartier am Sihlsee in vollen Zügen geniessen kann.

Zu Beginn wollten wir eigentlich im Hochtal um den Sihlsee einfach etwas Kleineres suchen oder bauen. Die Gegend ist uns ins Herz gewachsen, hat uns mit ihren Ausblicken, Klängen, Gerüchen, ihren Mythen und Geschichten durchdrungen. In den letzten 40 Jahren hat sich das Klosterdorf und seine Umgebung aber auch unwiderruflich verändert. Die Menschen wurden mehr, der Platz und die Freiheiten weniger, die Möglichkeiten, nochmals eine bezahlbare Wohngelegenheit an einer solch fantastischen Lage zu finden nahezu null. Ins Klosterdorf selbst zog es uns auch nicht mehr. Wir wohnten vor dreissig Jahren für einige Zeit direkt am Klosterplatz und hatten daran beste Erinnerungen. Leider fand sich aber kein geeignetes Objekt, das diese Erinnerungen zu überstrahlen vermochte und schöne Erinnerungen durch schlechtere zu ersetzen kann nicht der Sinn des Lebens sein.

Also haben wir den Blick und den Suchhorizont erweitert mit einem wachsenden Kriterienkatalog. Das Wallis fiel schnell weg wegen der zu grossen Distanz zu unseren erwachsenen Kindern und der eher schlechten Erreichbarkeit aus der «Üsserschwiiz» und nach zahlreichen Nächten mit Google Maps, Streetview, einer Webseite zur Berechnung der Sonnenscheindauer an den kürzesten und längsten Tagen, schälte sich das Bündnerland allmählich als Sehnsuchts-Gegend heraus.

Schmerzhafte Trennung nicht für die Katz

Dinge zurück- und loszulassen war für uns kein Problem, es hatte im Gegenteil, etwas sehr Befreiendes. Wir waren zuvor schon nie die Sammler gewesen und beschränkten uns auf Essentielles bei Mobiliar und anderen Dingen (ausser bei Büchern, aber das sind ja auch eher Familienmitglieder im erweiterten Sinne). Für uns war es wichtiger, auch im Innern möglichst viel Freiraum zu haben, die Räume nicht zu verstellen. Alles was wir nicht auch am neuen Ort wollten fand über Facebook und Online-Marktplätze neue Besitzerinnen und Besitzer.

Die mit Abstand schwerste Entscheidung betraf Luna, unsere Katze. Unser ältester Sohn brachte sie 2013 als kleines Bauernhof-Kätzchen zu uns und von da an war sie aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie fand nach Jahren der Kämpfe ihren Platz in der gut bevölkerten Katzenhierarchie des Quartiers, ging selbstbewusst bei den Nachbarn ein und aus und entwickelte sich zur Seelenverwandten meiner täglichen kurzen Ruhepausen zur Mittagszeit und am Abend. In der bekannten Katzenart schob sie sich auf leisen Pfoten ins Zentrum der Familie und ins Herz aller Familienmitglieder.

Nach langem Überlegen entschieden wir uns, sie nicht aus ihrer perfekten Umgebung herauszureissen, vor allem, da unsere Nachbarsfamilie, die Luna jeweils in unserer Ferienabwesenheit liebevoll verwöhnte, anerbot, ihr ein neues Zuhause zu geben. Für Luna hiess das einfach, die Streicheleinheiten, Aufmerksamkeit, Zuneigung und das Futter einige Meter nebenan zu finden.

Die Suche nach dem eigentlich Unmöglichen

Hier die wichtigsten Kriterien, die wir für die Bestimmung unseres neuen Lebensmittelpunktes definierten:

  • Aussicht: Der direkte Blick auf den See und in die umliegenden Hügel hat uns für alle Zeiten verdorben. Wir müssen einen weiten Blick in eine einmalige Landschaft haben. Wenn kein See oder Meer, dann unbedingt Berge. Diese aber nicht zu nah, zu erdrückend, sondern beeindruckend, mit einem Gefühl der Weite.
  • Höhenlage: In Einsiedeln wohnten wir auf 900 Metern über Meer. Da wir gerne Skitouren machen und skifahren, wollten wir etwas höher hinauf, um der sich nach oben bewegenden Schneegrenze ein wenig entgegenzukommen. Der neue Wohnort sollte auf mindestens 1’200 Metern liegen.
  • Sonnenscheindauer: Wir sind Kinder des Lichts, Sonne lässt sich durch nichts ersetzen. So haben wir für jeden möglichen Standort jeweils den kürzesten und den längsten Tag bezüglich der Sonnenscheindauer geprüft.
  • Erreichbarkeit und Qualität der nächsten Langlaufloipe: Dies für das Lebensgefühl der besten aller Ehefrauen, deren grosse Leidenschaft nebst Velofahren der Langlauf ist.
  • Nächste grössere Stadt: Zeitliche Entfernung mit öffentlichem Verkehr (ÖV) und einem Auto (MIV). Wenn möglich in ca. 1 Stunde erreichbar.
  • Generelle Ausrichtung des Wohnobjektes / des Grundstückes: Da kam für uns eigentlich nur eine Ausrichtung nach Süden mit einer zusätzlich möglichst guten Westausrichtung für die Abendsonne in Frage. Dies vor allem auch deswegen, weil wir die Sonne möglichst gut zur direkten Aufheizung des Gebäudes und für eine gewünschte Solaranlage nutzen wollten.
  • Steilheit und Erschliessbarkeit des Grundstückes (falls wir selbst bauen müssten): Da wir nicht jünger werden und wir eine Gegend mit möglicherweise signifikanten Schneefällen im Winter suchten (da wussten wir noch nichts vom schneearmen Winter 22/23), war die Erschliessbarkeit ein wichtiger Aspekt. Ist das Grundstück zu steil, benötigt es ein betonintensives Fundament und eine Unterkellerung. Beides wollten wir vermeiden, da wir auch möglichst CO2-reduziert bauen wollten. An diesem Kriterium scheiterte schlussendlich eines der schönsten Grundstücke, das wir in Alvaneu ins Herz geschlossen hatten.
  • Soziale Infrastruktur: Einkaufsmöglichkeit für die wichtigsten Güter, Post, nächste ÖV-Haltestelle, Schule, der nächste Arzt, ein oder zwei gute Restaurants. Dies wieder im Hinblick auf unser zunehmendes Alter, verbunden mit einer möglicherweise abnehmenden Mobilität.
  • Kosten: Preis pro Quadratmeter, Gesamtpreis des Grundstückes, Erschliessungskosten.

Diese Kriterien erwiesen sich für dutzende von Objekten, Projekten und Grundstücken als zu hohe Hürde und so bevölkerte anfänglich viel Versprechendes in Rekordzeit den Haufen von Verworfenem.

In die engere Wahl kamen neun Grundstücke, die wir dann nach den obigen und weiteren Kriterien beurteilten.

Wir hätten auch gerne ein schon fertig gestelltes Objekt (Haus oder Eigentumswohnung) übernommen, es gab aber schlicht nichts, das unsere Anforderungen erfüllen konnte. Die meisten Objekte waren für uns zu gross (zu viel Wohnfläche), oder befanden sich an unvorteilhaften Lagen. So war der klare Sieger ein 674 m2 grosses Grundstück in Vignogn, im Val Lumnezia. Wir fanden das Grundstück online, waren noch nie zuvor im Val Lumnezia und haben uns sofort in die Lage, die Aussicht, das Dorf und das Tal verliebt. Was uns vom Grundstück überzeugte:

  • Perfekte Südausrichtung.
  • Unverbaubare Aussicht nach Süden und Osten, im Norden und Westen genügend Abstand zu den nächsten Bauten und keine weitere Möglichkeit von zusätzlichen Bauten.
  • Leicht erhöhte Lage über dem Dorf mit fantastischer Aussicht ins Tal und in die Berge.
  • Nur leicht abfallendes Gelände: Keine Unterkellerung nötig, ein schmales und wenig hohes Riemenfundament reicht, um darauf ein Gebäude zu erstellen.
  • Gute Erschliessung durch umliegende Infrastruktur (Strom, Wasser, Telekommunikation)
  • Der Dorfladen und die Bushaltestelle in drei Minuten Gehdistanz.

Was wir bei der ersten Besichtigung, bei der für uns schon klar war, dass wir das Grundstück erwerben wollten, noch nicht wissen konnten war, dass wir auch diesmal wieder unglaublich nette und hilfsbereite Nachbarn haben würden. Das Glück, das wir schon in Einsiedeln mit den Nachbarn hatten, setzte sich in Vignogn nahtlos fort.

Der Blick nach Osten, über das Dorf und das Val Lumnezia, der uns für den fehlenden See mehr als entschädigt.

Die Aussicht nach Süden ist ebenso unverbaubar wie alle anderen Aussichten vom Grundstück in die Umgebung.

Nachdem wir im Januar 2021 wussten, wo unser nächstes Zuhause stehen würde, konnten wir uns intensiv damit beschäftigen, wie dieses Zuhause aussehen sollte, welchen räumlichen Bedürfnissen es entsprechen, welche Abläufe es ermöglichen und erleichtern sollte. Nicht ganz so einfach, wie es tönt. Davon dann mehr im nächsten Beitrag.

2 thoughts on “«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Wieso tut man so was, und wie geht man es an?

  1. Helmi
    Was für eine wunderbare Geschichte. Ich bewundere eure Initiave, euren Mut und eure Neugierde auf Veränderung.
    Ein absolutes Traumheim in einer stimulierenden Gegend.
    Herzliche Gratulation dazu und auf ein wunderbares Leben
    Markus

  2. Hoi Markus,
    Herzlichen Dank für Deine lieben Worte. Wir hoffen, dass wir Dich mal bei uns begrüssen dürfen, wenn es Dich in diese Gegend der Schweiz verschlägt. Melde Dich einfach, wir würden uns freuen. Liebe Grüsse / Helmi

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