Frankreich: In Stein gehauene, begehbare Geschichte

Frankreich: In Stein gehauene, begehbare Geschichte
Auxerre (Bild: Helmuth Fuchs)

Bauen ist im besten Fall ein Diskurs mit Ewigkeitswert. Ein Gespräch mit Gott, den Auftraggebern, der Bevölkerung, den inneren Dämonen des Architekten, seinen tiefsten Sehnsüchten, seinen Träumen. In Stein gemeisselte, in Holz geschnitzte, in Metall gegossene Visionen. In seltenen Glücksfällen erstrecken sich diese Zeugnisse unbeschadet über Jahrtausende, ein begehbares Geschichtsbuch. So wie in Auxerre.

Von Helmuth Fuchs

Auxerre, der Hauptort des Départements Yonne in Burgund, war eigentlich nie auf unserer Liste besonderer Orte, rutschte nur in den Fokus, weil es günstig liegt auf unserem Weg nach Südengland. In der Antike als Autessiodurum bekannt, wurde es im späten 3. Jahrhundert Bischofssitz, im Mittelalter zuerst Teil des merowingischen, danach karolingischen Reiches. Im Hundertjährigen Krieg von den Engländern geplündert, wurde es 1477 endgültig Teil Frankreichs. Die französische Revolution und die Weltkriege überlebten zumindest die Gebäude ziemlich unbeschadet, was die Stadt zu einer einmaligen Zeitzeugin macht. 

Die Silhouette der Stadt vom gegenüberliegenden Ufer der Yonne betrachtet, wird geprägt von den mächtigen Kirchen (Kathedrale St. Etienne, Abtei Saint-Germain d’Auxerre und Église Saint-Pierre d’Auxerre) und den Alleen entlang des Ufers. 

Im 5. Jahrhundert gründete der Bischof Germanus das heute als Abtei St. Germain d‘Auxerre bekannte Kloster. Zahlreiche Aus- und Umbauten im 6., 9. (karolingische Krypten), 12. (romanische Doppelturmfassade) und 13.–14. Jahrhundert (gotischer Neubau) gaben der Abtei ihr heutiges Aussehen. Bemerkenswert ist vor allem die karolingische Krypta mit Fresken, die auf das Jahr 858 datiert wurden und damit die ältesten erhaltenen Wandmalereien in Sakralgebäuden Frankreichs sind. Die Fresken lassen sich nur im Rahmen von Führungen bewundern. 

Einfacher zugänglich ist das Hauptwerk der burgundischen Gotik, die Kathedrale St. Etienne. Die romanische Krypta stammt aus dem 11. Jahrhundert, 1215 wurde mit dem Bau der gotischen Kathedrale begonnen, deren Vollendung bis ins 16. Jahrhundert dauerte und dennoch den Südturm unvollendet zurückliess. Beim Betreten der Kathedrale wird die Grundidee der Gotik auf den ersten Blick sofort und unmissverständlich klar: Das Streben nach oben, nach Höhe, nach Licht, nach Gott. Die Kirche wird geflutet von Licht und zieht die Blicke, das ganze Empfinden im Raum unwiderstehlich nach oben. Die Seele empfindet eine beschwingte Leichtigkeit beim Betreten des Raumes, das Irdische, Belastende wird in den Lichtspielen der grazilen, filigranen Bogengeflechte aufgelöst. In Stein gebaute Metaphysik, welche die menschliche Existenz in einen harmonischen Kosmos, in die Schöpfung Gottes, einbettet.

Renaissance und vor allem Barockelement prägen die Fassade der Église Saint-Pierre d’Auxerre, des dritten Baus, der die „Skyline“ von Auxerre prägt. Der Transzendenz der Gotik stellt der Barock das Bewusstsein der im Irdischen kaum überwindbaren Gegensätze dar: Diesseits und Jenseits, Tugend und Wollust, Sinneslust und Askese, Schein und Sein, kirchliche und weltliche Macht. 


Den Menschen wird ihre Sterblichkeit mehr oder weniger subtil immer wieder bewusst gemacht (memento mori). Auch wenn die Ursprünge des Tour de l’Horloge (Uhrturm) in die gallo-römische Zeit zurückreichen, passt der Spruch perfekt zur barocken Idee: DVM MORIOR MORIMINI SED MORIENDO RENASCOR HORA SIC COELO NASCERE DVM TERRAE MORERIS. Frei übersetzt: Während ich (die Zeit) vergehe, vergeht auch jede Stunde, doch in meinem Vergehen werde ich stets neu geboren. So steigt auch Deine Seele zum Himmel auf, während Du auf Erden stirbst.


Die romanischen, gotischen und barocken Zeitzeugen prägen viele der Stationen auf unserer Reise. Der nächste Halt bietet nebst der baulichen Grossartigkeit noch etwas sehr Spezielles: Eine unglaubliche Sammlung von bestens erhaltenem Mobiliar und Inneneinrichtungen. Das Schloss Fontainbleau. 

Zuvor geniessen wir eine ausgiebige Fahrradrunde im Gebiet des Chablis, zwischen Auxerre und Fointainbleau. Im kleinen Ort Collan finden wir eine ruhige idyllische Oase zum Übernachten.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert