«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Vom Haus zum Zuhause, keine Architektenfrage

«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Vom Haus zum Zuhause, keine Architektenfrage
Hausbau Vignogn (Bild: Helmuth Fuchs)

Nachdem wir den Ort für unseren neuen Lebensmittelpunkt gefunden hatten, Vignogn im Val Lumnezia, konnten wir uns an die Gestaltung des Hauses machen. Im Tal, das an vielen Orten die Handschrift grossartiger Architekten wie Gion A. Caminada oder Peter Zumthor trägt, entschieden wir uns, das Haus ohne Architekten, dafür mit aussergewöhnlichen Handwerkern und Planern zu bauen.

Von Helmuth Fuchs

Den Ausschlag dafür gaben weder ein Anflug von Grössenwahn (heute weit verbreitet in dem Sinne, dass jeder bessere Bauzeichner oder jede Designerin sich berufen fühlt, als Architekt oder Architektin aufzutreten), noch eine Abneigung gegen Architekten (das Gegenteil ist der Fall, wir sind grosse Bewunderer der Werke oben genannter und weiterer Architekten). Selbstverständlich hätte eine Architektin Einiges anders gemacht, hätte visuell elegantere, raffiniertere, rücksichtsvollere Lösungen eingebracht, hätte ein Architekt mit seiner eigenen Handschrift dem Bau ein unverkennbares, die Zeit überdauerndes Gesicht gegeben.

Die Entscheidung wurde uns jedoch schlicht durch den Prozess abgenommen, da sich das Haus wie von selbst zu gestalten begann durch die Beantwortung aller Fragen, die wir uns und die sich uns stellten. Am Schluss stand es einfach da, als Produkt der Tradition des Tales und der Erfüllung all unserer Ansprüche und Vorstellungen und liess eigentlich keinen Raum mehr für eine Architektin oder einen Architekten.

Folgende Kriterien dienten für unser Projekt als unverzichtbare Leitlinien, im Wissen, dass wir die seltene Gelegenheit haben würden, einen Lebensraum für uns und eventuell weitere Menschen nach uns zu gestalten:

  • Funktion und Abläufe bestimmen Form und Volumen (form follows function). Wir hatten sehr klare Vorstellungen, wie Räume unsere täglichen Abläufe optimal unterstützen können. Dazu Offenheit, viel Licht und Fensterfläche, um die einmalige Umgebung auch ins Haus zu holen. Im Alter sollte das Wohnen auf einem Geschoss ohne Qualitätseinbusse möglich sein.
  • Dimension: Wir wollten so wenig Raum wie möglich, so viel nötig umbauen. Dabei sollte bei einer Optimierung des Lebensraumes für zwei Personen eine spätere Verwendung für eine Familie als Option bestehen bleiben.
  • Die Bautradition des Tales: Wenn in einem Alpental, das klimatisch herausfordernde Bedingungen an Bauten stellt, sich Gebäudetypen über hunderte von Jahren entwickeln und behaupten, findet man wertvolle Hinweise bezüglich Material, Gestaltung, Ausrichtung oder Raumnutzung.
  • Ökologie: Da wir kein bestehendes Gebäude übernehmen konnten, wollten wir den ökologischen Fussabdruck des neuen Gebäudes so tief wie möglich halten. Das hiess für uns: Einsatz von möglichst wenig Beton, Verwendung von möglichst viel Holz, Versorgung mit nachhaltiger Energie.
  • Autarkie: Mit der Annahme, dass Energie und Wasser Ressourcen sind, die in Zukunft zunehmend schwieriger zu beschaffen sein werden, planten wir einen möglichst schonenden Umgang damit und eine möglichst grosse Unabhängigkeit von externen Quellen.
  • Kosten: Für das gesamte Projekt, also Landkauf, Bau, Ausbau und die gesamte Einrichtung hatten wir uns ein Budget von 920’000 CHF gesetzt.

Fertighaus, Tiny House, Elementbau oder doch ganz traditionell vor Ort bauen?

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien war der Ansatz von Tiny Houses aus unserer Sicht sehr attraktiv, zumal in Savognin die Uffer AG mit QUADRIN Bauten aus Bündner Massivholz fabriziert, die eine hohe Flexibilität in der Gestaltung erlauben und auch im Bündnerland schon erfolgreich eingesetzt werden.

Mit ersten Skizzen, Modellierungen und Berechnungen sahen wir, dass sich der Wohnbedarf eigentlich gut abdecken liess, der Raum für Technik, Heizung, Geräte, Auto etc. aber spezielle Lösungen erforderte, welche dann die Gesamtkosten in die Höhe trieben.

Fertighäuser eignen sich vor allem dann, wenn man sie praktisch unverändert übernimmt, alle Anpassungen führen umgehend zu signifikanten Mehrkosten. Im Fall von kubischen Elementen kommt dazu, dass im Val Lumnezia die Bauvorschriften solche Elementbauten nicht zulassen. Es sind Dachformen mit Dachvorsprüngen und formale Rücksicht auf vorhandene Ortsbilder gefordert, welche diese Art von Bauten praktisch verunmöglichen.

Also blieb die Option, konventionell ein Haus zu planen und dann die Handwerker und einen Bauleiter zu engagieren, oder jemanden zu finden, der Bauen anders, innovativer verstand. Wir hatten das Glück, mit Reto Lippuner und dem Team von Mark Holzbau genau diese Partner zu finden. Wir stiessen auf dieses Unternehmen durch ein Haus in der Nähe der Lenzerheide, das uns auf der Suche nach einem Grundstück auffiel, da es sich in seiner Einfachheit, Funktionalität und Raffinesse von den andern Häusern abhob. Ein Werk von Mark Holzbau. Schon das erste Gespräch zeigte, dass unsere Ideen und unser Konzept, dass das Haus sich ganz nach den aktuellen und geplanten Abläufen zu richten habe, auch der Haltung von Reto Lippuner entsprach.

Die erste Ideenskizze von Mark Holzbau hatte schon einige gestalterische Elemente, die wir weiter verwendeten. Die genaue Ausrichtung nach Süden, die grundsätzliche Anordnung von Schlafen im westlichen Teil und dem Wohnen und Kochen im Ostteil, Garage und Technik im Nordteil.

Uns war aber das Ganze noch etwas zu kleinlich aufgeteilt und der offene Carport hätte im Winter nur wenig Schutz geboten. Wir schauten nochmals genauer auf die Bautradition der Bauern im Tal und die beste aller Ehefrauen fand, dass man unser Haus mehr als Wohnhaus mit Scheune gestalten sollte. Das führte dazu, dass wir einen zweiten Stock vorsahen, den ganzen Nordteil, der dadurch genügend Höhe auch für unser Expeditionsmobil bot, geschlossen gestalteten und das Gästezimmer in den Nordteil, aber mit fantastischer Aussicht auf das ganze Tal, versetzten.

Mit dem kostenlosen Sketchup haben wir von da an unser Haus digital so weit gebaut, dass die grundsätzlichen Masse stimmten und wir jederzeit beliebige Schnittmodelle und 3-D Darstellungen selbst anfertigen konnten. Das erleichterte im Verlauf alle Diskussionen mit den Baupartnern und Behörden enorm und hinderte uns daran, zeitraubende Fehlplanungen zu verursachen. Auch für die Farbgestaltung konnten wir so im digitalen Raum zuerst alles ausprobieren, bevor wir jeweils einige wenige Muster bestellten, um die endgültige Wahl zu treffen.

Die echte Planung mit sämtlichen Details, baurelevanten Ausgestaltungen, die Erstellung aller Eingaben an die Behörde und all die tausend Dinge, die geplant und gemacht werden müssen, damit ein Projekt erfolgreich, in der geplanten Zeit und zu den geplanten Kosten durchgeführt werden kann, wurde von Mark Holzbau vorgenommen.

Der Segen mit den Nachbarn

Sobald wir die ersten Modelle und die Grundstückpläne hatten, haben wir uns bei den direkten Nachbarn gemeldet, um ihnen diese zu zeigen und ihre Fragen und Bedenken zu adressieren. Wir nahmen ihnen die bis anhin fantastische Aussicht ins Val Lumnezia mit der Spitze des Piz Terri am Horizont und einen guten Teil der direkten Sonnenbestrahlung und konnten mitfühlen, wie einschneidend dies für sie sein musste. Wir haben zwar weder die Höhe noch das gesetzlich mögliche Volumen für dieses Baugrundstück ausgenutzt und haben das Haus in grösstmögliche Distanz zu den Nachbarn platziert, aber dennoch war klar, dass unser Haus eine substantielle Verschlechterung ihrer Lebenssituation darstellte.

Umso grösser war unsere Erleichterung, dass schon die ersten Kontakte sehr freundlich, interessiert und offen verliefen. Heute können wir sagen, dass wir, wie zuvor schon in Einsiedeln, kaum bessere Nachbarn haben könnten und wir uns in Vignogn dank ihnen und allen weiteren Begegnungen, die wir bis anhin mit den Menschen hier hatten, unglaublich wohl und willkommen fühlen.

Dieselbe Erfahrung machten wir übrigens mit den Behörden. Es gab ein echtes Interesse, die Zeit zwischen Entscheidungen kurz zu halten und uns zu unterstützen. So vergingen vom Kauf des Grundstückes bis zur endgültigen Baubewilligung inklusive Finanzierung durch die Bank nicht einmal sechs Monate.

Funktion und Dimension

Wir konnten unsere Vorstellungen von Grosszügigkeit im Raumgefühl bei möglichst kleiner Grundfläche (gut 80 m2 ohne das Gästezimmer im Nordteil) umsetzen. Im unteren Stock dominiert der Raum mit Küche (mit anschliessendem Technik-, Wasch- und Lagerraum), Ess- und Wohnbereich. Dusche und Toilette und das Schlafzimmer schliessen im Westen an den Wohraum an. Die grossen, bis zum Boden reichenden Fensterflächen wirken wie überdimensionierte Bildschirme, welche die gesamte beeindruckende Gebirgslandschaft direkt ins Zimmer laden, als sich immer verändernder Bidschirm-Schoner. Vom Schlafzimmer und vom Wohnraum gibt es einen Zugang zum Holzdeck.

Der obere Stock ist der Arbeits- und Lesebereich (oder der Bereich zum «Chillen», wie es im neudeutschen Jugendsprech heisst). Nach Westen haben wir eine gedeckte Terrasse, welche am Abend den Genuss der letzten Sonnenstrahlen im Freien erlaubt. Auf der Nordseite nach Osten liegt das Gästezimmer mit Toilette und einer Galerie mit Doppelbett, so dass vier Personen gut übernachten können.

So sind Leben und Arbeit, Eigentümer und Gäste, Morgen und Abend, Garage und Wohnen, Norden und Süden, klar getrennt und doch nahe beieinander, unserem Rhythmus bestens angepasst und für zukünftige Nutzungen flexibel anzugleichen oder zu erweitern.

Bautradition und Ökologie

Der bäuerlichen Bautradition sind wir bei der Form und der Materialwahl gefolgt. Das Haus hat einen Scheunencharakter, mit dem bis auf das Fenster des Gästezimmers fensterlosen Nordteil. Statt üblicher Garagentore bilden zwei Schiebetore einen vollständig sich öffnenden Zugang. Auch der «Hauseingang» auf der Nordseite ist ein Schiebetor, ganz in der Tradition der bäuerlichen Zweckbauten. Die gesamte Aussenhülle und die Böden sind aus heimischem Lärchenholz, während Wände und Decken aus Fichtenholz sind. Das Haus wurde in Elementbauweise erstellt. Das heisst, alle Element konnten über den Winter in der Fertigungshalle von Mark Holzbau in Scharans gefertigt und mit drei Tiefladern im Frühling nach Vignogn transportiert werden. Die Montage erfolgte in zwei Tagen vor Ort auf ein schmales Streifenfundament, das mit sehr wenig Beton erstellt wurde (lokales Kies, Betonherstellung mit einem Anteil Solarenergie). Der restliche Bau ist, bis auf die Elektro- und Wasserrohre, fast ausschliesslich aus Holz, inklusive der Isolation aus Holzfasern.

Modernste Fertigungstechniken (CAD-Planung und Zeichnungen, CNC-Frästische) gepaart mit grossem handwerklichen Können der Zimmerleute und Schreiner erlauben einen sorgsamen Umgang mit den vorhandenen Materialien, kleinste Abfall- und Ausschussproduktion, was wiederum dem ökologischen Fussabdruck zugute kommt.

Die Architektenfrage

Im Val Lumnezia und im benachbarten Valsertal finden sich überall Zeugen für das Schaffen der weltweit bewunderten Architekten Gion A. Caminada und Peter Zumthor. Aber auch in der Öffentlichkeit weniger bekannte Architekten wie Roman Hörler und Ulrike Hörler-Körner interpretieren das Bauen im alpinen Raum auf spektakuläre Weise neu und bereichern das Val Lumnezia.

Wir waren zuerst unschlüssig, ob wir nicht ebenfalls eine Architektin oder einen Architekten beiziehen sollten. Nach den ersten Diskussionen mit den Mitarbeitenden von Mark Holzbau wurde uns aber klar, dass wir hier einen Partner gefunden hatten, der dasselbe unprätentiöse Herangehen an das Bauen pflegte, wie wir. Wir wussten schnell, was wir wollten, welche Funktionen das Gebäude erfüllen musste, woraus sich wiederum die Form ergab. Wir hatten eine klare Vorstellung davon, dass grosse Fenster für den direkten Einbezug der Umgebung in den Lebensraum sorgen sollten. Die Materialien waren durch den lokalen Bezug ebenfalls schnell gewählt. Für den Rest der Gestaltung und Ausprägung von Ideen vertrauten wir auf das handwerkliche Können und die spürbare Freude am Projekt der Schreiner, Planer und Zimmerleute von Mark Holzbau.

Das heisst, der Raum für eigene Ideen und die eigene Handschrift eines Architekten wären zum Vornherein limitiert und kompromittiert gewesen. Wer einen Architekten verpflichtet, verpflichtet sich auch dazu, dem Architekten den Freiraum zu lassen, damit dieser das von ihm erwartete unverwechselbare Werk gestalten kann. Hier mussten wir einen persönlichen Realitätscheck vornehmen und uns eingestehen, dass wir zu wenig Freiraum für eine Architekten oder Architekten bieten konnte, um ihr oder ihm gerecht zu werden.

Ob sich das bewährt hat, ein Zeitraffer-Bauvideo, viele Bilder und wie es um die Autarkie und die Kosten steht, finden Sie im kommenden Artikel.


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One thought on “«Auswandern» innerhalb der Schweiz: Vom Haus zum Zuhause, keine Architektenfrage

  1. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann werden beim Elementbau schon fertige Elemente des Hauses zusammen gesetzt. Das ist eine tolle Option, da man damit schneller Bauen kann. Das ist von Vorteil, wenn ein Haus schnell stehen muss und damit schon früh bezogen werden kann.

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