Bernhard Schneider, Senior Manager und FinTech-Spezialist EY Schweiz, im Interview

Bernhard Schneider, Senior Manager und FinTech-Spezialist EY Schweiz, im Interview
Bernhard Schneider, Senior Manager und FinTech-Experte bei EY Schweiz. (Foto: EY)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: EY hat für den FinTech Adoption Index die Nutzung der neuen digitalen Technologien für Finanz- und Versicherungsdienstleistungen in 20 Ländern untersucht. Welche Anwendungen wurden in die Untersuchung einbezogen?

Bernhard Schneider: Der Sammelbegriff «FinTech» steht für moderne, zumeist digitale Technologien im Finanzdienstleistungsbereich, die wir meist über das Smartphone oder den Computer verwenden. Wir haben fünf Arten von FinTech-Anwendungen aktiv abgefragt und dabei immer auch konkrete Beispiele genannt, damit die Befragten klare Antworten geben konnten. Geldtransfer und Bezahlen, Versicherungsdienstleistungen oder Prämienvergleiche, Onlinedienste zur Budgetplanung, Tools zum Sparen und Investieren wie Crowdfunding oder Aktienkauf sowie Peer-to-Peer-Lending.

Welchen FinTech-Produkten stehen Schweizerinnen und Schweizer am offensten gegenüber?

Schweizer User verwenden Geldtransfer und dem Bezahlen mithilfe von FinTech-Produkten am häufigsten. 52% der befragten Personen, die auch regelmässig das Internet nutzen, haben entsprechende Dienste bereits heruntergeladen und wenden diese auch an. Hier hat es in der Schweiz vor kurzem eine Marktbereinigung gegeben und es machen bereits viele relevante Verkaufsstellen mit. Das hat zu einer Popularisierung geführt. Weiter haben 28% der Befragten bereits Versicherungsdienstleistungen in Anspruch genommen oder geben Gesundheitsdaten an ihre Krankenkasse weiter.

Sehr zurückhaltend sind die Befragten aus der Schweiz dagegen bei Onlinediensten zur Budgetplanung, beim Einsatz von Tools zum Sparen und Investieren wie Crowdfunding oder Aktienkauf. Beinahe nie genutzt werden in der Schweiz Onlineangebote für das Peer-to-Peer-Lending.

«Die Bankkunden sind bei uns älter und weniger internetaffin als in den Schwellenländern.»
Bernhard Schneider, Senior Manager und FinTech-Spezialist EY Schweiz

Zwar hat sich die Zahl der aktiven Anwender weltweit binnen 18 Monaten fast verdoppelt, die Schweizer legen aber nach wie vor eine – sagen wir mal – kritische Distanz an den Tag. Nur 30 % der Internetnutzer verwenden regelmässig FinTech-Produkte. Wo sehen Sie die Gründe?

12 % der Schweizer Onlinenutzer wissen nichts von entsprechenden Angeboten und 13% haben kein Bedürfnis danach. Das ist aber sicher nicht alles: Wir haben in der Schweiz nach wie vor ein vergleichsweise dichtes und funktionierendes Filialnetz. Die Bankkunden sind bei uns auch älter und weniger internetaffin als in den Schwellenländern. Bei den Versicherungsdienstleistungen werden Onlineangebote noch oft bei der Suche eines Lösungsangebots genutzt. Der Abschluss selbst erfolgt jedoch immer noch überwiegend über den persönlichen Kontakt mit dem Berater. Hier scheint das Vertrauen der Verbraucher in FinTech-Lösungen noch nicht ausgeprägt zu sein. Dies haben auch Untersuchungen gezeigt, die wir für den Schweizer Markt zusammen mit der Universität St.Gallen durchgeführt haben.

Welches sind denn hierzulande die am häufigsten genannten Gründe für die Nutzung von FinTech-Anwendungen?

Die Ergebnisse der Studie zeigen generell ein stark gewachsenes Interesse der Nutzenden an neuen und innovativen Finanzprodukten. Dank neuer technologischer Lösungen und stark auf die Kunden ausgerichteter Angebote legt die Nutzungsrate laufend zu. Die leichte und intuitive Bedienung sowie die Möglichkeit, überall und jederzeit auf die FinTech-Anwendungen Zugang zu haben und Geldgeschäfte zu tätigen, sind sehr wichtige Gründe für die Anwendung.

Gibt es den typischen Schweizer FinTech-Anwender?

In der Schweiz werden FinTech-Anwendungen stärker als im internationalen Vergleich quer durch alle Bevölkerungsschichten hindurch genutzt, erst bei Personen über 75 Jahre und bei einem Einkommen von über 150‘000 Schweizer Franken fällt der Nutzungsanteil klar ab. Wir können jedoch sagen, dass der typische Fintech-Anwender in der Schweiz ein zwischen 18 bis 34 Jahre alter Mann ist, der in der Stadt wohnt.

Welche Rückschlüsse lassen die Resultate für die Schweizer Finanzinstitute zu?

Convenience is King! Die etablierten Finanzinstitute in der Schweiz müssen künftig noch mehr Anstrengungen darauf verwenden, ihre Kunden mit einfach zugänglichen und zeitsparenden FinTech-Lösungen an sich zu binden. Unternehmen, die bereits mit entsprechenden Angeboten auf dem Markt sind und ihre Geschäftsmodelle kontinuierlich infrage stellen, haben klare Wettbewerbsvorteile. FinTechs suchen inzwischen vermehrt die Zusammenarbeit mit den grossen Banken und Versicherungen, hier gilt es sich rasch zu positionieren. Zudem zeigt unsere Erfahrung, dass der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Bank bzw. Versicherung auch weiterhin als ein wesentliches Element der Vertrauensbildung verankert bleiben muss.

«Die etablierten Finanzinstitute in der Schweiz müssen künftig noch mehr Anstrengungen darauf verwenden, ihre Kunden mit einfach zugänglichen und zeitsparenden FinTech-Lösungen an sich zu binden. «

Welche Anwendungen halten Sie aus heutiger Sicht für die erfolgversprechendsten?

FinTech-Anwendungen, die einfach zu bedienen sind und die Kundschaft mit einem breiten und leicht zugänglichen Angebot abholen. Für den heutigen Internetnutzer muss alles schnell, unkompliziert aber auch sicher ablaufen. Auch Anwendungen, die vorhandene Daten geschickt nutzen und personalisierte digitale Zugänge mit persönlichen Kontakten verknüpfen, werden zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Auch in Europa werden bald klassische Kommunikations-Apps mit Bezahlfunktionen ergänzt; in China ist dies zum Beispiel schon sehr verbreitet.

Bei der ersten Welle von FinTechs war schon vom Ende der traditionellen Finanzdienstleister die Rede. Das hat sich wohl erledigt. Welche FinTechs sind denn heute erfolgreich?

Es gibt heute eine grosse Anzahl an neuen Ideen, mit denen sowohl im Banken- als auch im Versicherungsbereich die traditionellen Anbieter unter Druck gesetzt werden. Wir wissen jedoch, dass ca. 95% der Start-up die ersten Jahre nicht überstehen. Es ist daher schwer zu sagen, wie man Erfolg in diesem Zusammenhang definiert. Dies kann einerseits eine Partnerschaft mit einem etablierten Finanzdienstleister sein, der Verkauf des Unternehmens aber auch das organische Wachstum im Markt selbst sein.

Ein Beispiel für erfolgreiche Positionierung im Versicherungsmarkt ist aus meiner Sicht Anivo, die es geschafft haben sich mit einer geschickten Kombination aus digitalem und persönlichem Zugang im Schweizer Versicherungsmarkt zu etablieren.

Sie haben vorher China erwähnt. Dort wie auch in Indien ist die Nutzung von FinTech-Anwendungen mit Abstand am höchsten. Wie erklären Sie sich das?

Der Hauptgrund ist das rasche Heranwachsen einer Mittelschicht mit steigendem Einkommen. In diesen Ländern kommen neueste Technologien zum Einsatz, ohne dass dabei auf einer bestehenden Infrastruktur aufgebaut werden muss. Innerhalb vieler Schwellen- oder Entwicklungsländer haben weite Gebiete noch keinen direkten Zugang zu wichtiger Infrastruktur. Digitale Lösungen ermöglichen daher für eine grosse Anzahl Menschen überhaupt erst den Zugang zu Finanzdienstleistungen. Dies fördert die Entwicklung von innovativen und kundenzentrierten Angeboten von Grund auf.

Zudem ist die Bevölkerung in den Schwellenländern jung und internetaffin und kann durch Onlineangebote einfach als Kundengruppe erschlossen werden. Immer günstiger werdende Smartphones und einfachere Internetzugänge fördern die Nutzung weiter.

Welche Chancen eröffnen sich für FinTech-Startups, auch aus der Schweiz?

Der Markt in den Schwellenländern wächst schnell und die Chancen sind dort riesig. Auch Schweizer FinTechs können diese attraktiven Märkte bearbeiten, das braucht aber skalierbare Geschäftsmodelle und Investoren, die in das Wachstum investieren. In der Schweiz sehe ich in den kommenden Jahren mehr Potenzial im Versicherungsbereich. Ich bin ich überzeugt davon, dass sich die „digitale Beratung“ mit den neuen technologischen Möglichkeiten immer mehr durchsetzen wird. Allerdings müssen sich die Unternehmen das Vertrauen der Kunden erste erarbeiten, damit digitale Elemente sich als feste Bestandteile im gesamten Kundenprozess etablieren können.

«Der Markt in den Schwellenländern wächst schnell und die Chancen sind dort riesig.»

Denken Sie, dass sich durch FinTech-Anwendungen und Digitalisierung ein anderer Umgang mit Geld ergibt?

Da die Nutzung weiter ansteigt und Fintech-Anwendungen breitere Verwendung finden, wird dies auch einen Einfluss auf das Verhalten der Kunden haben. Generell wird der Umgang mit Geld einfacher. Mit der Verbreitung der Kreditkarten mussten die Menschen mehr darauf achten, wie viel Geld sie ausgaben. Mit kundenfreundlichen FinTech-Apps wird es aber wieder einfacher, sein Budget im Griff zu haben. Daher glaube ich nicht, dass die Menschen ihr Geld künftig leichtsinniger ausgeben werden, sondern eher bewusster.

Es werden auch genauere Auswertungen möglich sein, für was das Geld ausgegeben wird. Dazu müssen die Menschen aber den Umgang mit den neuen Technologien lernen. Wenn die Schulen heute den Kindern den Umgang mit Geld beibringen, gehört meiner Ansicht nach auch der Umgang mit den neuen Bezahlmöglichkeiten dazu.

Herr Schneider, herzlichen Dank für das Interview.

Zur Person:
Bernhard Schneider ist Senior Manager und Head Insurance Strategy & Customer bei EY Schweiz und berät Kunden vor allem aus der Versicherungsbranche zu Themen der strategischen Ausrichtung und Kundenzentrierung.

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