BlackRock Marktausblick: 2024 ante portas – die Hoffnung stirbt zuletzt

BlackRock Marktausblick: 2024 ante portas – die Hoffnung stirbt zuletzt
Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock. (Foto: zvg)

Von Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock

Der November 2023 wird als ein besonders guter Kapitalmarktmonat in die Geschichtsbücher eingehen. Hintergrund war eine günstige Kombination aus Wachstums- und Inflationsdaten. Ausgehend von den USA vermittelten die Makrodaten das Bild einer sanften Landung bei gleichzeitig stark rückläufiger Inflation, geradezu eine Kombination also, die Marktbeobachter in Anlehnung an das englische Märchen ‚Goldlöckchen und die drei Bären‘ gern als ‚Goldilocks‘ bezeichnen.

Und während nach unserer Einschätzung die Frage einer weichen oder etwas härteren Landung der US-Wirtschaft nicht die entscheidende ist (wir finden den Blick auf die mehrjährige Perspektive und den Fokus auf das neue Investmentregime nach dem Ende der ‚Great Moderation‘ – dt. „Grosse Mässigung – wichtiger), ist allein die Tatsache, dass viele Marktteilnehmer die eher kurzfristige Orientierung im Auge haben, bedeutsam. Denn sie wirkt sozusagen als selbsterfüllende Prophezeiung. Das Verhalten grosser Gruppen von Marktteilnehmern ist per se relevant. Und so gewinnt die Feststellung, dass der S&P 500 im Jahr mit einem Kurszuwachs von knapp 9% (Quelle: Refinitiv, 1.12.2023) seinen fünftbesten November seit 1928 verzeichnete, ebenso berechtigte Aufmerksamkeit wie der erstaunte Blick auf die 4,6% Zuwachs (Quelle: ebenfalls Refinitiv, 1.12.2023) beim Bloomberg Aggregate, dem Referenzmass für globale Anleihen. Letzterer Datenpunkt, ein Ergebnis der stärker als erwartet schrumpfenden Inflation, ist ebenso rekordverdächtig wie die Novemberdaten von den Aktienmärkten. Für globale Anleihen war gemäss Daten von Bloomberg (1.12.2023) der November 2023 der beste Monat seit Mai 1985, und der achtbeste seit dem Beginn der Datenaufzeichnungen Mitte der 70er Jahre (wobei die anderen sieben alle in den späten 70ern und frühen 80ern lagen). Historische Zeiten also, kein Wunder bei einem Rückgang der Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen seit dem Höchststand bei rund 5%, der Mitte Oktober erreicht wurde.

Der Rückgang der Inflation, welcher neben beruhigenden Wachstumszahlen für die starke Novemberperformance verantwortlich war, vollzog sich im Parallelflug in Europa und den USA. In Europa fiel der harmonisierte Gesamtindex für die Verbraucherpreise von 2,9% auf 2,4%, die Kernrate von 4,2% auf 3,6%, während in Amerika der von der Fed favorisierte Deflator für persönliche Konsumausgaben (core PCE) sich von 3,7% auf 3,5% ermässigte (Datenquelle: Refinitiv, 1.12.2023). Damit rücken die Inflationszahlen in Europa wie von uns erwartet zügig in die Nähe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank EZB. Auch für die Kerninflationsrate, die in Europa anders als in den USA eher verzögert auf Energiepreisschwankungen reagiert und weniger auf robuste Lohndynamik zurückgeht, ist unserer Meinung nach ein weiterer Rückgang zu erwarten.

Möglich also, dass die EZB sogar noch vor der US-Notenbank Fed mit den ersten Zinssenkungen beginnt. Noch entscheidender für 2024 dürfte aber sein, ob sich strukturelle Inflationstreiber wie demografischer Wandel, Klimatransformation oder Fragmentierung geopolitischer Beziehungen schon kurz- oder erst mittelfristig in den Daten niederschlagen. Führen nämlich diese strukturellen, vom Konjunkturzyklus abgekoppelten und eher angebotsseitigen Faktoren schon Richtung Mitte 2024 dazu, dass die Kerninflationsraten gar nicht in die Nähe der 2%-Marke kommen, könnten unseres Erachtens die grossen Notenbanken die Idee von Zinssenkungen vorerst zurückstellen. Gut möglich also, dass der Markt, der zurzeit eine erste Zinssenkung der Fed schon im Frühjahr mit rund 70% Wahrscheinlichkeit einpreist, hier seine optimistischen Erwartungen relativieren muss. Es wäre eine interessante Parallele zum Beginn dieses Jahres.

Etwas weniger verwirrend erscheint die Perspektive beim Wachstum. Denn hier dürfte mit Blick auf 2024 ein eher maues Jahr anstehen. Nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) dürfte sich das BIP-Wachstum (BIP = Bruttoinlandsprodukt) in den entwickelten Volkswirtschaften von 2,6% im Jahr 2022 und 1,5% in diesem Jahr auf nur noch 1,4% verlangsamen. In den Schwellenländern schätzt der IWF unveränderte Expansion mit einer Rate von 4,0% in 2023 und 2024, wobei die für asiatische Schwellenländer in 2024 erwartete Verlangsamung von 5,2% auf 4,8% ins Auge fällt. Denn letztere Region stellt neben den USA, für die der IWF ebenfalls eine Abschwächung von 2,1% auf 1,5% prognostiziert, den volumenstärksten nichteuropäischen Handelspartner der DACH-Region dar. Folgerichtig rechnet der IWF auch für das deutsche BIP-Wachstum im nächsten Jahr nur mit einem Zuwachs von 0,9% (Quelle für alle Schätzungen: IWF Global Economic Outlook, 10.10.2023). Ich halte, vor allem angesichts des geringen fiskalpolitischen Spielraums nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, selbst diese verhaltene Schätzung für rund einen Prozentpunkt zu hoch.

Politische Börsen haben gelegentlich sehr lange Beine

Unsere Einschätzung: Während die Wachstumserwartungen den Rahmen abstecken, in dem Unternehmen ihre Gewinne entwickeln können, und die daher den Hintergrund für die potenzielle Aktienperformance liefern, stehen für die andere grosse Assetklasse der meisten Depots, nämlich Anleihen, Inflation und Zinsen im Fokus. Und wie dann die Bewertung einzelner Investments und die Gewichtung der Anlageklassen zueinander gestaltet wird, hängt von der Risikoneigung der Marktteilnehmer ab. Im Jahr 2024 dürfte hier eine Rolle spielen, dass in vielen Ländern Wahlen anstehen, von Taiwan bis Österreich, von den USA bis Russland. Und während eine Binsenweisheit besagt, dass politische Börsen kurze Beine haben (gemeint sind hier Kursreaktionen unmittelbar im Umfeld des Wahltermins), sei daran erinnert, dass einige der anstehenden Wahlen sehr wohl das Potenzial haben, die Welt langfristig zu verändern. Zumindest wenn es blöd läuft – was jeder nach eigenem Gusto bewerten möge. Und dies hätte dann selbstredend auch Auswirkungen auf die Börsen ebendieser Welt. Neben Wachstum und Inflation dürften also vor allem die Entwicklungen im (geo-)politischen Raum Risiken und Chancen des Kapitalmarktjahres 2024 prägen. (BlackRock/mc/ps)

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