BlackRock Marktausblick: «Ein Drahtseilakt»

BlackRock Marktausblick: «Ein Drahtseilakt»
Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock. (Bild: BlackRock)

Von Ann-Katrin Petersen, CFA, BlackRock Senior-Kapitalmarktstrategin

Eine intensive, geradezu geschichtsträchtige Woche an den Finanzmärkten liegt hinter uns. Mit einem Paukenschlag sind Finanzstabilitätsrisiken in die Wahrnehmung von Investoren zurückgekehrt. Sorgen um die Stabilität mehrerer US-Regionalbanken, in deren Folge auch Europas Bankensektor in den Fokus rückte, sorgten für klassische „Risk-off“ Bewegungen – schickten Aktienkurse auf Talfahrt und lösten eine Flucht in vermeintlich „sichere Häfen“ wie Gold und Staatsanleihen aus, verbunden mit kräftigen Kursschwankungen vor allem bei Anleihen. Investoren zweifelten, ob die Notenbanken in diesem Umfeld noch zu nennenswerten Leitzinsanhebungen in der Lage sind. Die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen fiel zwischenzeitlich um rund 100 Basispunkte – eine solch ruckartige Neubewertung hat es seit mehr als 40 Jahren nicht gegeben. Die erneut hohen US-Inflationszahlen und die Leitzinserhöhung einer unbeugsamen Europäischen Zentralbank (EZB) rückten dabei schon fast in den Hintergrund.

Drahtseilakt: Zentralbanken navigieren Inflations- und Finanzstabilitätsrisiken
Es war eine Woche, in der sich die Dilemmata, vor denen gerade die Notenbankwelt aktuell steht, in aller Härte offenbart haben.

Denn erstmals seit Jahrzehnten müssen die US-Notenbank Fed, die EZB, Bank of England (BoE) und ihre Schwesterinstitute nicht nur einen Drahtseilakt meistern zwischen der Eindämmung von Inflationsrisiken einerseits – denn der Kampf gegen eine hartnäckig hohe Inflation ist noch nicht gewonnen – und der Inkaufnahme von Rezessionsrisiken andererseits. Sondern zunehmend auch einen Seiltanz zwischen der Gewährleistung von Inflationsglaubwürdigkeit und Finanzstabilität. All dies hat die Unsicherheit über den künftigen Kurs der Geldpolitik erhöht und sich in erratischen Zinserwartungen niedergeschlagen.

Zwar sind die Bankturbulenzen, die die Märkte in den vergangenen Tagen in Aufruhr versetzen, sehr unterschiedlicher Natur. Allerdings haben sie gemeinsam, dass Investoren die (hausgemachten) Schwachstellen einzelner Institute, etwa Schulden- und anderweitige Risikopositionen, nun angesichts hoher Zinssätze genauer unter die Lupe nehmen. Sie sind jüngste Anzeichen dafür, dass sich die Bremsspuren der in Umfang und Geschwindigkeit massiven Leitzinserhöhungen in verschiedenen Teilen der Wirtschaft mehren.

Gerade das Bankgeschäft hängt in hohem Masse vom Vertrauen ab, der Banken untereinander und der Bankkunden darauf, dass ihre Einlagen gesichert sind. Um eine breiter gefächerte Vertrauenskrise abzuwenden und ungerechtfertigte Ansteckungseffekte zu vermeiden, war in den vergangenen Tagen zu beobachten, wie alle relevanten Akteure von Washington bis Zürich aktive Vertrauensförderung betrieben. Dank der zügigen und konsequenten Reaktion von Politik, Notenbanken, Aufsichtsbehörden und Wirtschaft – inklusive der am Sonntagabend angekündigten Übernahme der Schweizer Credit Suisse durch die UBS – konnten potenzielle Dominoeffekte bislang im Zaum gehalten werden.

Zwar erwarten wir, dass die Zentralbanken alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente wie etwa Liquiditätshilfen nutzen werden, um das Bankensystem zu stützen– aber angesichts der anhaltenden Inflation die Leitzinsen nicht senken werden. Ergo: Die Anzeichen, dass sich eine Rezession nähert, verdichten sich. Die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen dürften dazu führen, dass Banken ihre Kreditvergabe einschränken.

Fed-Zinsschritt noch nicht vom Tisch – drei Fragestellungen im Blick

Marktteilnehmer dürften in den kommenden Tagen insbesondere drei Fragestellungen im Blick behalten:

  1. Kommt es zu einer Beruhigung der Marktspannungen? Es gibt Chancen für ein sukzessives Abebben der Verwerfungen, aber die Unsicherheit bleibt erhöht. Anleger dürften mit Argusaugen beobachten, ob nach den jüngsten Vorfällen in den USA und in Europa das Vertrauen in das Bankensystem nachhaltig wiederhergestellt werden kann oder womöglich bald das nächste Institut ins Wanken gerät.
  2. Bleibt die Fed auf Kurs? Am Mittwochabend richten sich alle Augen auf die Ergebnisse der US-Notenbanksitzung. Nachdem die Fed infolge robuster Arbeitsmarktdaten noch vor Kurzem eine erneute Beschleunigung des Zinsanhebungstempos auf 50 Basispunkte ins Spiel gebracht hatte, spiegelt der Geldmarkt nun kaum noch Zinserhöhungserwartungen wider, verbunden mit erneut handfesten Zinssenkungsfantasien für die zweite Jahreshälfte von etwa 150 Basispunkten. Wir teilen diese Ansicht nicht. Die Fed dürfte ihren Zinserhöhungsprozess fortsetzen und ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf einen Zielkorridor von 4,75 bis 5,0 Prozent anheben. Auch die Bank of England dürfte am Donnerstag einen weiteren Zinsschritt wagen. Um ihre Inflationsglaubwürdigkeit zu wahren, könnte die Fed ähnlich wie die unbeugsame EZB einen „zweigleisigen“ Ansatz verfolgen, der geldpolitische von marktstabilisierenden Massnahmen unterscheidet. Dennoch dürfte auch die Fed, ebenso wie die EZB, verstärkt auf Sicht fahren und ihre Geldpolitik auf den Sitzungen im Mai und Juni „datenabhängig“ ausrichten. Mit einem Fragezeichen behaftet bleibt in diesem volatilen Umfeld zudem, ob die US-Notenbanker im Rahmen der Veröffentlichung des „Dot Plot“, der aktualisierten Median-Projektionen, das Signal eines noch aggressiveren Zinspfades geben wollen.

    3.Welche Hinweise geben klassische Konjunkturindikatoren auf die Wirtschaftsperspektiven im zweiten Quartal? Verschiedene Barometer für den zinssensitiven US-Häusermarkt, der sich bereits seit längerer Zeit abkühlt, und die Einkaufsmanagerindizes für die USA, den Euroraum und Grossbritannien sollten das Bild einer auseinanderklaffenden Konjunktur untermauern. Einem schrumpfenden Verarbeitenden Gewerbe steht moderates Wachstum im Dienstleistungssektor gegenüber, nicht zuletzt angesichts der festen Arbeitsmärkte in den Industrieländern. Freundlicher als erwartete Konjunktursignale könnten die Aufmerksamkeit wieder in Richtung des hartnäckig hohen Inflationsdrucks lenken.

Was bedeutet all das für die Anlageallokation?

Wir ziehen drei Schlussfolgerungen für unsere taktische Positionierung in einem Umfeld, in dem Fingerspitzengefühl gefragt bleibt:

  • Erstens preisen Risikoanlagen die aus unserer Sicht „vorprogrammierte“ Rezession nicht vollständig ein. Aus diesem Grund behalten wir trotz der Kursrücksetzer unsere vorsichtigere Grundhaltung bei und halten an unserem taktischen Untergewicht bei Aktien der Industrieländer mit Blick auf die kommenden sechs bis zwölf Monate fest. Darüber hinaus haben wir unser moderates Übergewicht bei Investment Grade-Unternehmensanleihen gegenüber der Benchmark geschlossen („neutral“) und gewichten Hochzinsanleihen nun unter. Die antizipierte Rezession wird voraussichtlich zu einer weiteren Kreditverknappung führen. Zur Erinnerung: Im Februar hatten wir bei bonitätsstarken Unternehmensanleihen bereits Gewinne vereinnahmt.
  • Zweitens bevorzugen wir nach wie vor kurzfristige Staatsanleihen. Denn die Notenbanken werden unserer Einschätzung nach nicht versuchen, die Konjunktur durch Zinssenkungen wiederzubeleben. Der Grund: anhaltende Inflation. Daher könnten wir eine Umkehrung des jüngsten starken Rückgangs der Renditen von zweijährigen und anderen kurzfristigen Staatsanleihen erleben. Infolgedessen bevorzugen wir in dieser Anlageklasse jetzt noch kürzere Laufzeiten für die Einkommensgenerierung. Wir bleiben bei langfristigen Staatsanleihen untergewichtet und haben unsere Präferenz für inflationsgeschützte Titel ausgebaut, da die Inflation unseres Erachtens deutlich über den aktuellen Markteinschätzungen verharren wird.
  • Drittens behalten wir unsere relative Präferenz für Aktien aus Schwellenländern (Emerging Markets) bei. Die Märkte haben sich auf die Verwerfungen dies- und jenseits des Atlantiks konzentriert. Unter dem Radar bestätigt sich, dass der wirtschaftliche Neustart in Ostasien durch die aufgehobenen Covid-Beschränkungen an Fahrt gewinnt. Davon dürften unserer Ansicht nach Emerging Markets-Anlagen profitieren. Im Anleihebereich bevorzugen wir Schwellenlandanleihen in Landeswährung, da sich die Zentralbanken dem Ende ihrer Zinserhöhungszyklen nähern und möglicherweise die Zinsen senken.

(BlackRock/mc/ps)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert