BlackRock Marktausblick: Gruselstimmung an den Märkten

BlackRock Marktausblick: Gruselstimmung an den Märkten
Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock. (Bild: BlackRock)

Von Ann-Katrin Petersen, Senior Investment Strategist bei BlackRock

Halloween wirft an den Kapitalmärkten seine Schatten voraus. Im Bann von emporkletternden Langfristzinsen einerseits und der komplexen, bestürzenden Gemengelage im Nahen Osten andererseits war die vergangene Handelswoche von Kursrücksetzern und hoher Volatilität geprägt. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen markierte jüngst ein neues 16-Jahres-Hoch von knapp über 5% und schickte die US-Börsen in die Nähe ihrer Tiefstände vom September. Der gleichgewichtete S&P 500 liegt seit Jahresbeginn im Minus. Auch hierzulande lasten die straffen Finanzierungsbedingungen auf den Börsen in der Breite – Euro STOXX und DAX notieren auf den tiefsten Niveaus seit März. Die folgenschweren geopolitischen Entwicklungen stellen einen weiteren Belastungsfaktor dar, der bislang im Rahmen der Erwartungen nicht nur den Ölpreis bewegt hat, sondern mit einem „Risk-off“ einhergegangen ist: Gold und US-Dollar gestützt, Aktien im Korrekturmodus. Doch stehen auch die globalen Anleihemärkte weiter unter Druck, was eine aus Anlegersicht unerquickliche positive Korrelation von Renten- und Aktienmärkten mit sich bringt, wie wir sie vor allem aus dem Jahr 2022 noch in schlechter Erinnerung haben.

Renditeaufwärtsdruck ungeachtet geopolitischer Risiken
Staatsanleihen werden somit derzeit ihrer traditionell zugeschriebenen Rolle als „sichere Häfen“ nicht gerecht. Die Neubewertung der geldpolitischen Erwartungen an den Rentenmärkten spielt eine massgebliche Rolle. Der Fokus hat sich von der Frage der Höhe der Leitzinsen hin zur Frage verschoben, wie lange diese auf restriktiven Niveaus verharren. Unsere Einschätzung: Auf den Leitzinsgipfel dürfte ein Zinsplateau folgen, kein baldiges Zurückrutschen ins Tal der Niedrigzinsen. Ein Tafelberg, kein Matterhorn. Ganz in diesem Sinne hatte US-Notenbankchef Jerome Powell in einer vielbeachteten Rede letzte Woche die Aussicht auf eine länger anhaltend straffe Zinspolitik bekräftigt. Während die US-Notenbank Fed in der Vergangenheit nach Erreichen des Leitzinsgipfels zügig die Zinsen senkte – im historischen Durchschnitt um rund 300 Basispunkte innerhalb von drei Jahren – spiegeln die Anleihemärkte aktuell Zinssenkungserwartungen von lediglich etwa 100 Basispunkten in den kommenden drei Jahren wider. Darüber hinaus ist der kräftige Renditeanstieg bei längeren Laufzeiten auch als Reaktion auf fiskalische Risiken in den USA zu interpretieren. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass an den Devisenmärkten der US-Dollar nur unterproportional von der sich ausweitenden Renditedifferenz gegenüber anderen Währungsräumen profitierte.

Am Donnerstag richtet sich das Augenmerk auf die von der Fed bevorzugte Inflationskennzahl „PCE“, den Preisindex für persönliche Konsumausgaben. Dass die Kerninflationswerte im Sommer aus dem aufwärtsgerichteten Muster der letzten zwei Jahre ausgebrochen sind, stellt einen echten Fortschritt dar und zeigt, dass der pandemiebedingte Schock bei den Konsumausgaben für Waren und Dienstleistungen nachlässt. Zweifelsohne hat die Abschwächung des Inflationsdrucks in den vergangenen Monaten für Erleichterung gesorgt, wenngleich die 2%-Preisstabilitätsmarke der Fed noch nicht erreicht ist. Gleichzeitig rechnen wir mit einem schwankungsreichen US-amerikanischen Inflationspfad, was wiederum zu erratischen Zinserwartungen beitragen könnte und die Laufzeitenprämie – die Kompensation, die Anleiheinvestoren für das Risiko des Haltens langfristiger Anleihen fordern – weiter aufblasen könnte. Denn während ein Schock nachlässt, scheint ein zweiter – die alternde Erwerbsbevölkerung – bereit, das Zepter schrittweise zu übernehmen. Dies wiederum könnte die Inflation auf eine Achterbahnfahrt schicken.

Während sich die Neubewertung der erwarteten US-Geldpolitik – vom Zinsgipfel zum Zinsplateau, Stichwort „Tafelberg“ – bereits weitgehend vollzogen hat, beträgt die sog. Laufzeitprämie in den USA nur einen Bruchteil unserer Erwartungen. Wir gehen unverändert davon aus, dass die Laufzeitprämien noch weiter steigen könnten und behalten daher unser strategisches Untergewicht bei. Während die zu niedrige Laufzeitprämie zur Vorsicht mahnt – beim Eingehen von Durations-Risiken in der mittleren Frist – haben wir gleichzeitig unser taktisches Untergewicht bei US-Staatsanleihen geschlossen, da die geldpolitischen Erwartungen inzwischen adäquater gepreist sind.

EZB-Sitzung: Zinsseitig die Reiseflughöhe erreicht
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat zinsseitig aller Voraussicht nach ihre Reiseflughöhe erreicht und dürfte erstmals seit dem letzten Sommer eine Zinspause einlegen. Seit Juli 2022 haben die Währungshüter die Leitzinsen im Kampf gegen Inflationsrisiken zehnmal um insgesamt 450 Basispunkte angehoben, auf einen Einlagenzins von 4,0%. Der Inflationsdruck im Euroraum hat zuletzt spürbar nachgelassen, während die aussergewöhnlich scharfe geldpolitische Straffung – auf seit Gründung des Euroraums 1999 nie gesehene Leitzinsniveaus – zunehmend Bremsspuren in der Realwirtschaft hinterlässt. So dürften die am heutigen Dienstag anstehenden Einkaufsmanagerindizes für den Euroraum der Hoffnung auf eine baldige konjunkturelle Belebung erneut einen Dämpfer verpassen. Die Frage ist vielmehr, ob und inwiefern der Pessimismus abnimmt. Sowohl im verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor dürften sich die Stimmungsbarometer kaum verbessern und damit mit Werten von deutlich unter 50 weiter vor einer Rezession warnen. Für den deutschen ifo-Geschäftsklimaindex (Mittwoch) wird vom Konsens der Analysten ein Rückgang von 85,7 auf 85,5 Zähler erwartet. Damit würde sich die Stimmungseintrübung auf deutschen Chefetagen seit Mai fortsetzen. Von besonderem Interesse ist wie immer, ob dies gleichermassen für die Geschäftslage und die Erwartungskomponente gilt. Im Grossen und Ganzen haben die Wachstumsrisiken seit der EZB-Sitzung im September angesichts möglicher neuer Angebotsschocks eher noch zugenommen, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Mitte Oktober auf der Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds in Marrakesch gewarnt. Mit einem Fragezeichen behaftet bleibt etwa die Ölpreisentwicklung.

Unseres Erachtens dürfte die EZB erst weit ins Jahr 2024 Zinssenkungen wagen. Der unterliegende Inflationsdruck fällt auf absehbare Zeit weiterhin hartnäckig hoch aus, angesichts eines engen Arbeitsmarkts und gedämpfter Produktivität. Besonderes Augenmerk dürften die Märkte den Kommentaren von Präsidentin Lagarde während der Pressekonferenz widmen, um daraus Erkenntnisse für den zukünftigen Kurs in der Bilanzpolitik (quantitative Straffung) und eine mögliche Erhöhung der Mindestreservepflicht für Geschäftsbanken abzuleiten. Für beides scheint es in naher Zukunft unter den EZB-Notenbankern keine Mehrheit zu geben. Ein früheres Ende der Reinvestitionen auslaufender Anleihen im Rahmen des Pandemieprogramms (PEPP) würde insbesondere Staatsanleihen der Peripherie zusätzlich unter Druck setzen. Und das in einem Umfeld, in dem auf EU-Ebene die avisierte Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts trotz Bemühungen der spanischen EU-Ratspräsidentschaft noch nicht in trockenen Tüchern ist. Nur eines steht für die Finanzminister fest: Ab 2024 gelten wieder die EU-Fiskalregeln – ob in flexiblerer Auslegung oder nicht – und lassen nach fast vier Ausnahmejahren moderaten fiskalpolitischen Gegenwind erwarten.

Unter den G4-Zentralbanken scheint derweil einzig in Japan, wo die Bank of Japan (BoJ) an Halloween über die Ausrichtung ihrer Geldpolitik entscheidet, die Frage „Tafelberg“ oder „Matterhorn“ noch längst nicht in Sicht zu sein. Vielmehr stemmt sich die BoJ durch fortgesetzte, milliardenschwere Anleihekäufe gegen einen zügigeren Renditeanstieg japanischer zehnjähriger Staatsanleihen. Allmählich nähern sich aber auch in Japan die Zeiten einer ultra-lockeren Geldpolitik dem Ende. So steht im Raum, dass die BoJ Ende Oktober ihre Inflationsprognosen für das im März 2024 endende Geschäftsjahr auf rund 3% und für das Folgejahr auf über 2% erhöhen könnte.

Gewinnberichtssaison kämpft um Aufmerksamkeit
Angesichts von Zinsanstieg und geopolitischen Risiken kämpft die Gewinnberichtssaison zum dritten Quartal um Aufmerksamkeit. Die Hürde für positive Überraschungen bei den vorgelegten Zahlenwerken erscheint in Europa niedriger zu sein als in den USA. Für den alten Kontinent erwarten Analysten im Durchschnitt eine Eintrübung und ein kräftiges Minus im zweistelligen Bereich gegenüber dem Vorjahr, in der US-Berichtssaison eine Belebung bzw. einen leichten Anstieg der Unternehmensgewinne. Ein Blick in den Rückspiegel zeigt, dass in den vergangenen Quartalen das Gewinnwachstum in den USA de facto ins Stocken geraten war, die Aktienmarktperformance entsprechend primär von Bewertungsexpansion getrieben worden ist. Insbesondere der Technologiesektor hat in diesem Jahr zu verbesserten Gewinnmargen beigetragen, während die recht stattlichen gehaltenen Barmittel der Unternehmen den Gegenwind durch höhere Zinsaufwendungen abgemildert haben. Für die kommenden zwölf Monate geht der Konsens von einer weiteren Belebung aus (Gewinnwachstum des S&P 500 von etwa 10%, wobei etwa die Hälfte des erwarteten Gewinnwachstums an Mega-Caps gebunden ist). Verschleiern die Hoffnungen auf eine lang erwartete Erholung einen immer noch relativ stagnierenden Wachstumstrend?

Es bleibt dabei: Bei risikoreicheren Anlageklassen mag das schwankungsreichere Umfeld, geprägt von geopolitischer Unsicherheit, hohen Zinsen, abgebremstem Wirtschaftswachstum in Europa und den USA und hartnäckigem Inflationsdruck den Anschein haben, nur wenige Renditechancen zu bieten. Dennoch sehen wir zahlreiche, auch in einem Umfeld weniger rosig daherkommender gesamtwirtschaftlicher Perspektiven. Fingerspitzengefühl bleibt gefragt. Innerhalb des Aktienuniversums der Industrieländer stehen wir beispielsweise dem japanischen Aktienmarkt konstruktiv gegenüber dank eines spürbar aktionärsfreundlicheren Ansatzes japanischer Unternehmen. Zum anderen bieten „Megaforces“ aus unserer Sicht spannende regionen- und sektorenübergreifende Anlagechancen. (BlackRock/mc/ps)

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