Coface: Italiens Wirtschaft in anhaltender Abwärtsspirale gefangen

Coface: Italiens Wirtschaft in anhaltender Abwärtsspirale gefangen
(Foto: Michele Bitetto auf unsplash/Coface)

Der weltweit tätige Kreditversicherer beurteilt die Lage der Wirtschaft Italiens, dem viertgrössten Handelspartner der Schweiz, aufgrund von Faktoren wie niedriger Produktivität, schleppendem Wachstum und eingeschränkten fiskalischen Spielräumen kritisch. Die vergleichsweise hohe Länderrisikobewertung B widerspiegelt die Wahrscheinlichkeit von erhöhten Zahlungsausfällen bei Exportkrediten. Schweizer Unternehmen sind demnach gut beraten, sich gegenüber etwaigen Einbussen zu wappnen.

Schwaches Q2 2025
Das Nationale Statistikinstitut (Istat) bestätigte einen Rückgang des italienischen BIP im zweiten Quartal 2025 um 0,1 % – den ersten negativen Wert seit zwei Jahren. Trotz eines relativ guten Jahresauftakts mit einem Wachstum von 0,3 % im ersten Quartal ist dieser Rückgang keine Überraschung, da neben den Investitionen auch andere Wirtschaftsmotoren in letzter Zeit Schwächeanzeichen zeigten. Der Rückgang im zweiten Quartal ist auf einen starken Einbruch der Netto-Aussennachfrage infolge der ungünstigen globalen Handelsbedingungen zurückzuführen. Nach einem starken Anstieg in den Jahren 2021 und 2022 dank der Erholung nach COVID stagnierten oder gingen die italienischen Warenexporte in den letzten zwei Jahren sogar zurück. Dies ist auf die Schwäche der wichtigsten Partnerländer zurückzuführen, die von der Energiekrise und geopolitischen Unsicherheiten betroffen waren. Da die USA Italiens zweitgrösster Exportmarkt sind (11 % der gesamten Warenexporte), blieben die jüngsten Entwicklungen in der Handelspolitik bisher nicht ohne Folgen für Italien. Während die Nettoexporte im ersten Quartal 2025 dank robuster Warenexporte (1,8 % QoQ) und Dienstleistungsexporte (3,4 %) eine starke Dynamik aufwiesen, zeigten letztere im zweiten Quartal ein anderes Bild mit einem Quartalswachstum von -2,2 % bzw. 0 %. Dieser Rückgang der Warenexporte ist dem vorübergehenden Anstieg im ersten Quartal zuzuschreiben, der auf die Erwartung neuer Zölle im April durch US-Importeure zurückzuführen ist, insbesondere im Pharmabereich. Aber auch auf den starken Beitrag der Transportexporte durch die Auslieferung von Kreuzfahrtschiffen, der im zweiten Quartal ein Loch verursachte. Darüber hinaus wirken Handelsspannungen und geopolitische Unsicherheiten wie ein Dominoeffekt, da sie auch andere wichtige Partner wie Deutschland und Frankreich betreffen und die gesamte Auslandsnachfrage Italiens bremsen.

Positive Effekte durch EU-Aufbauinstrument
Während sich die Bruttoanlageinvestitionen (BAI) im Jahr 2024 verlangsamten, nachdem sie insbesondere dank des Superbonus mehr als 50 % zum Wachstum nach COVID beigetragen hatten, profitiert Italien weiterhin von der Zuweisung von NGEU(NextGenerationEU)-Mitteln zur Unterstützung öffentlicher und privater Investitionen. Mit rund 72 Milliarden Euro an Zuschüssen und 123 Milliarden Euro an Darlehen für den Zeitraum 2021–2026 (entsprechend 11 % des BIP im Jahr 2019) war Italien in absoluten Zahlen der grösste Nutzniesser des Programms. Das Land hat bisher 122 Milliarden Euro oder 63 % der gesamten zugewiesenen europäischen Mittel erhalten und liegt damit deutlich über dem EU-Durchschnitt (49 %). Im Gegensatz zum Superbonus, der die Bauinvestitionen nur vorübergehend ankurbelte, dürften diese Mittel einen stärkeren fiskalischen Multiplikatoreffekt haben, indem sie das Produktionspotenzial steigern, da sie Strukturreformen und Investitionen in langfristige strategische Bereiche wie die digitale Transformation, den grünen Wandel sowie den sozialen und ordnungspolitischen Zusammenhalt unterstützen. Bis Anfang dieses Jahres hatte Italien nur knapp die Hälfte des bereits ausgezahlten Betrags ausgegeben, was darauf hindeutet, dass wir bis zur Frist im nächsten Jahr mit einer Beschleunigung der Umsetzung rechnen können.

Stagnation bei Kaufkraft und privatem Konsum
Im Inland bestätigte der private Konsum seine seit über einem Jahr anhaltende Stagnation und liegt nur 0,8 % über dem Niveau vor der Pandemie. Diese lang erwartete Erholung ist aufgrund des anhaltend niedrigen Verbrauchervertrauens und der Stagnation der Kaufkraft der Italiener im Zuge des Ukraine-Kriegs ausgeblieben. Obwohl sich die Inflation seit fast zwei Jahren stabilisiert hat, bleibt das reale verfügbare Bruttoeinkommen der Italiener gegenüber 2019 nahezu unverändert. Während Italien im Zeitraum 2022-23 mit einer noch höheren Inflation konfrontiert war, litten italienische Arbeitnehmer unter einem langsameren Lohnwachstum als in anderen europäischen Ländern, was zu niedrigeren Reallöhnen führte. Die lange Laufzeit der nationalen Tarifverträge (in der Regel drei Jahre) und Verzögerungen bei den Verhandlungen nach deren Ablauf (die mehr als ein Jahr dauern können) verhinderten, dass die Löhne ausreichend stiegen, um dem damals herrschenden aussergewöhnlichen Inflationsdruck standzuhalten.

Historisch hohe Beschäftigungsquote eine der niedrigsten in der Eurozone
Der italienische Arbeitsmarkt bestätigt positive Trends mit einem Beschäftigungsanstieg und einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote setzt ihren Abwärtstrend seit mehr als vier Jahren fort, wenn auch langsamer, und erreichte im vergangenen Juli mit 6 % ihren niedrigsten Stand seit 2007. Die Beschäftigungsquote erreichte zuletzt mit 62,8 % ihren historischen Rekordwert. Italien liegt damit jedoch weit hinter seinen europäischen Mitbewerbern zurück und weist eine der niedrigsten Quoten in der Eurozone auf, wo der Durchschnitt bei etwa 71 % liegt. Das Beschäftigungswachstum wird vor allem durch die Zunahme von Festanstellungen, die Verbesserung der Arbeitsplatzqualität und ältere Arbeitnehmer (über 50 Jahre) getrieben, während es bei jüngeren Arbeitnehmern nachlässt. Dieser Trend lässt sich durch die demografische Alterung, öffentliche Anreize (z. B. während der Pandemie oder durch das Kohäsionsdekret, das 2024 eingeführt wurde) und die Verlangsamung der Abwanderung aus dem Arbeitsmarkt erklären, die teilweise auf frühere Reformen des Rentensystems zurückzuführen ist und zu einer Verringerung der Frühverrentung führt. Die Verbesserung des italienischen Arbeitsmarktes ging jedoch nicht mit einem Anstieg des privaten Konsums einher. Sie erfolgte zudem vor dem Hintergrund eines schwachen Wirtschaftswachstums, das zu Produktivitätsverlusten führte. Zunächst konzentrierte sich das Beschäftigungswachstum auf arbeitsintensivere Sektoren mit geringer Produktivität. So trugen beispielsweise Baugewerbe, Handel und Gastgewerbe im Jahr 2024 1 Prozentpunkt zum jährlichen Beschäftigungswachstum bei. Der Anstieg der Einstellungen wurde auch durch den Rückgang der Reallöhne nach dem Krieg in der Ukraine begünstigt, wodurch diese im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren relativ vorteilhafter wurden. Infolgedessen übertraf das Beschäftigungswachstum das Produktionswachstum, was zu einem Produktivitätsrückgang führte, der in den letzten Jahren stärker ausfiel als im Rest der Eurozone. Die Stabilisierung der Inflation, der dynamische Arbeitsmarkt und die Erneuerung zahlreicher nationaler Tarifverträge seit dem letzten Jahr unterstützen Zuwächse beim real verfügbaren Einkommen, da die Löhne nun stärker steigen als die Inflation. Dies reicht jedoch kaum aus, um die in den letzten Jahren angehäuften Verluste auszugleichen. Darüber hinaus führt die aktuelle Komplexität des globalen Umfelds zu einem umsichtigen Konsumverhalten, das die Sparquoten wie in anderen europäischen Ländern auf ein historisch hohes Niveau treibt (12 % im ersten Quartal 2025 gegenüber 11 % zwischen 2015 und 2019). Trotz der anhaltenden Kaufkraftsteigerung und der besseren Kreditbedingungen bestehen daher weiterhin Unsicherheiten hinsichtlich der Ausgabebereitschaft in den kommenden Quartalen.

Stärkung öffentlicher Finanzen und Reduktion des Haushaltsdefizits
Trotz des schleppenden Wachstums ist es Italien gelungen, seine öffentlichen Finanzen durch die kombinierte Wirkung von Ausgabenkürzungen und günstigen Einnahmen deutlich zu stärken und das Haushaltsdefizit um mehr als die Hälfte auf 3,4 % des BIP im Jahr 2024 zu senken. Neben der Stabilisierung der politischen Landschaft Italiens seit der Wahl Giorgia Melonis im Jahr 2022 hat die Haushaltsdisziplin das Marktvertrauen gestärkt. Dies führte in den letzten zwei Jahren zu einem deutlichen Rückgang der Renditen und Spreads 10-jähriger Staatsanleihen (von einem Höchststand von 5 % im Jahr 2023 auf rund 3,6 % Anfang September). Dieser Rückgang ist insbesondere auf den starken Rückgang der Ausgaben aufgrund des Auslaufens des Superbonus und der Rücknahme von Unterstützungsmassnahmen während der Pandemie und der Energiekrise zurückzuführen. Während die Deckungsrate des Superbonus bereits von 110 % auf 90 % im Jahr 2023 gesenkt worden war, führte die Erwartung einer weiteren Senkung auf 70 % ab 2024 zu einem starken Anstieg seiner Inanspruchnahme Ende 2023. Dies trug massgeblich zu dem unerwartet hohen Defizit von 7,2 % des BIP im Jahr 2023 bei, mit einem Gesamtbetrag von 76 Milliarden Euro (d. h. 3,7 % des BIP), wodurch die Krise im Jahr 2024 rasch eingedämmt werden konnte. Die Investitionsausgaben, zu denen auch der Superbonus gehört, sanken von 9,2 % des BIP im Jahr 2023 auf 5,4 % im darauffolgenden Jahr. Letzteres wurde auch durch die mit Eurostat vereinbarte Neuklassifizierung der Rechnungslegung beeinflusst. Während Steuergutschriften, die zwischen 2020 und 2023 beantragt wurden, als „zahlbare Steuergutschrift“ (d. h. als staatliche Ausgabe im Jahr ihrer Entstehung) erfasst wurden, werden diejenigen ab 2024 als „nicht zahlbare Steuergutschrift“ (die die staatlichen Steuereinnahmen zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme reduziert) verbucht, wodurch sich ihre Wirkung über die Jahre verteilen kann. Der Staat profitierte zudem von verbesserten Einkommensteuereinnahmen dank der bereits beschriebenen Konsolidierung des Arbeitsmarktes, was zu einem jährlichen Anstieg der direkten Steuern um 6,6 % beitrug. Insgesamt stieg die Steuerbelastung von 41,4 % im Jahr 2023 auf 42,6 % im Jahr 2024. Langfristig bleibt jedoch neben strukturellen Herausforderungen wie dem Bevölkerungsrückgang auch das schwache Produktivitätswachstum eine entscheidende Herausforderung für die italienische Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen.

Umfassende Absicherung des Italien-Geschäfts
Trotz dieses wirtschaftlichen Circulus vitiosus bleibt Italien mit einem Volumen von rund 50 Milliarden Franken (24 Mrd. CHF Exporte, 26 Mrd. CHF Importe) ein eminent wichtiger Handelspartner der Schweiz. So haben sich Exporte nach Italien seit 2021 fast verdoppelt und waren 2023 um einen Drittel gestiegen. Hinsichtlich Kreditrisiken und Insolvenzen ist dennoch zunehmend Vorsicht geboten. Als weltweit führender Dienstleister mit Spezialisten in der Risikoprüfung, einer globalen Reichweite und Kenntnisse lokaler Gegebenheiten bietet Coface Schweizer Unternehmen umfassende Lösungen zur Absicherung ihrer Italiengeschäfte. Das Leistungsspektrum reicht von Wirtschaftsauskünften über eine Warenkreditversicherung, der Absicherung von Projektgeschäften bis hin zu Inkasso-Dienstleistungen. Im Bereich Business Information und Intelligence kombiniert Coface die verfügbaren Geschäftsinformationen aus aller Welt mit Analysen aus seinem Kreditversicherungsgeschäft. 600 Experten reichern die Daten mit strategischen, einzigartigen und manchmal vertraulichen Informationen an. (Coface/mc/ps)

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