Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Hoffnung ist ein schlechter Ratgeber

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Hoffnung ist ein schlechter Ratgeber
Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Die USA verhängen einen der höchsten Handelszölle gegen die Schweiz. Am Nationalfeiertag wurde bekannt, dass die USA gegen das Land, das selbst keine Industriezölle erhebt, den am Liberation Day verkündeten und irreführenderweise «reziprok» genannten Zoll von unerklärbar hohen 31% noch auf 39% erhöht hat. Und dies nachdem offensichtlich Verhandlungen zwischen der Schweiz und den USA stattgefunden hatten und zumindest eine Grundsatzvereinbarung vorlag, die jedoch vom grossen Chef noch nicht abgesegnet worden war. Nichtsdestotrotz war man auf Schweizer Seite zuversichtlich, einen der tiefsten Importzölle zu erhalten.

Gerüchteweise wurde kolportiert, dieser liege in der Nähe des vorübergehend gültigen Zollsatzes von 10%. Umso böser war das Aufwachen der Schweiz am Nationalfeiertag mit dem 39%-Zollsatz. Zwar gibt es noch eine kleine Hintertüre, da dieser Satz erst ab dem 7. August angewendet werden soll. Doch mit Blick auf das vorliegende Ergebnis dürfte eine Lösung in der Nähe der erhofften 10% in weiter Ferne liegen. Die Schweiz hat keinen Deal. Die Grundsatzvereinbarung scheint Makulatur zu sein.

Ohrfeige für den Bundesrat
Neben der schmerzhaften Höhe der Zölle ist auch die Art und Weise, wie das aktuelle Ergebnis zu Stande kam, mehr als nur ernüchternd. Der Bundesrat vertraute offensichtlich darauf, in einer regelgebundenen Welt zu leben, in welcher Anstand, Ehrlichkeit und sachliche Argumente zum Ziel führen. Doch dies ist nicht die Welt von Donald Trump. Bei ihm geht es um Macht und wer die besseren Karten in der Hand hält. Er nutzt Amerikas Grösse und Einfluss als Druckmittel, um den Welthandel auf den Kopf zu stellen. Sogar die grosse Europäische Union musste sich zähneknirschend mit einem Zollsatz von 15% zufriedengeben. Der Bundesrat dagegen glaubte sich auf gutem Weg, verabschiedete sich in die Sommerferien und wartete seelenruhig auf den Brief, der aber nie eintraf. Das Telefongespräch der Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter 11 Stunden vor Ablauf der Frist brachte dann auch nicht den erhofften Befreiungsschlag. Alarmzeichen gab es dabei genügend. Bereits in Trumps erster Amtszeit glaubte man, ein Freihandelsabkommen läge in Griffweite. Und zuletzt haben die Missverständnisse um die Kosten der bestellten F-35-Kampfjets die Schwächen der Schweizer Verhandlungsführung mit den mächtigen USA schonungslos offengelegt.

Bananenrepublik USA
Klar, die Ausgangslage ist keine einfache. Die USA mutieren in beängstigender Weise zu einem faktisch von einer Person geführten Land. Donald Trump, beflügelt von seinem Erfolg mit seinem Steuersenkungspaket, das den Namen «Big Beautiful Bill» trägt, kann derzeit schalten und walten, wie er will. Wurde er anfänglich noch von den Finanzmärkten gebremst, sieht er sich angesichts der jüngsten Rekordstände an den Börsen von diesen Fesseln befreit. Trump ging es im Zollstreit nie um Reziprozität. Die Schweiz ist dafür das beste Beispiel. Es geht ihm um die Beseitigung des Bilanzdefizits im Warenhandel und um die Erzielung von Zolleinnahmen. Das hat die Schweiz bis heute nicht begriffen. Genauso wenig, dass es sinnlos ist, mit Handelsbeamten oder Mitgliedern der Administration zu verhandeln, wenn am Schluss der Maestro alles wieder umkippt. In gewisser Weise gleichen die USA immer mehr einer Bananenrepublik, mit dem Unterschied allerdings, dass es sich um das mächtigste Land der Erde handelt.

Was heisst das für die Schweiz?
Für die Schweiz heisst das, dass sie im Umgang mit dem mächtigsten Land schleunigst eine andere Taktik zulegen muss. Cleverness ist aktuell gefragt und nicht langerprobte Spitzendiplomatie. Die Schweiz muss sich von dem Wunschdenken beziehungsweise der Hoffnung auf ein gutes und akzeptables Verhandlungsergebnis verabschieden. Sie droht sonst, zum Bauernopfer der Trump’schen Machtpolitik zu werden. An der Schweiz kann man gut ein Exempel statuieren, ohne dass Retorsionen oder spürbare Auswirkungen drohen. Der US-Importzoll für die Schweiz dürfte das amerikanische BIP nur gerade um 0,05% reduzieren. Es geht für die Schweiz daher nur noch um Schadensbegrenzung. Als kleine offene Volkswirtschaft sitzen wir am kürzeren Hebel. Wir müssen überlegen, wie man das Handelsbilanzdefizit verkleinern kann. Das geht entweder über geringere Exporte oder über höhere Importe.

Europa hat es mit seinem Versprechen, amerikanische Energiegüter im Wert von 750 Milliarden Dollar zu kaufen, vorgemacht. Experten rätseln, wie es gelingen kann, dass man von den letztjährigen europäischen Gas- und Ölimporten im Umfang von 70 Mrd. Dollar auf die in Aussicht gestellten 250 Mrd. Dollar pro Jahr kommt. Doch das ist zweitrangig. Details sind nicht die Sache von Trump. Ob derartige Versprechen buchstabengetreu eingehalten werden, ebenso wenig. Trump nimmt es mit seinen Versprechen auch nicht so genau. Es müssen daher vollmundige Ankündigungen her. Die Schweiz könnte der USA beispielsweise umfangreiche Hilfe bei der Etablierung eines dualen Bildungssystems in Aussicht stellen. Oder man könnte sich China als Beispiel nehmen, wo kurz nach Verhängung der drastischen Zölle zahlreiche Güter urplötzlich über ein Drittland und einer geringfügigen Umverpackung den Weg in die USA fanden. Zumindest beim Goldhandel besteht das Potenzial, diesen Sektor aus der Berechnung des Handelsbilanzdefizits herauszulösen. Nach Auskunft des Präsidenten der Schweizerischen Vereinigung der Edelmetallfabrikanten und Edelmetallhändler brauchen die USA das Schweizer Gold mehr als unsere Goldindustrie den amerikanischen Markt. Es gilt weitere solche Felder zu identifizieren.

Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft
Der Schock in der Schweiz sitzt tief und ein einigermassen akzeptables Ergebnis scheint kaum noch möglich. Der Schweiz droht, mit einem ungemütlich hohen US-Zollsatz Vorlieb nehmen zu müssen. Das Land muss sich daher auf ein geringeres BIP-Wachstum einstellen, zumal sich die Schweiz damit auch einen schmerzhaften Wettbewerbsnachteil gegenüber den Ländern der EU und Grossbritannien einhandelt. Nach der Verkündung der «reziproken» Zölle am 2. April haben wir unsere BIP-Prognose für die Schweiz von 1,3% auf 0,9% korrigiert. Im Wissen darum, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, haben wir uns von der zwischenzeitlichen Entspannung nicht täuschen lassen und unsere Prognose beibehalten. Diese Einschätzung war richtig und bedarf auf Grund der jüngsten Ernüchterung keiner weiteren Anpassung nach unten. Eine solche droht jedoch, sollte bei der Auferlegung von Sektorzöllen auf Pharmaprodukte eine weitere Hiobsbotschaft folgen, welche die Schweiz ebenfalls hart treffen würde.

Höheres Risiko von Negativzinsen
Der jüngste Zollhammer hat auch Auswirkungen auf die Geldpolitik. Die Schweiz steht am Rande von Negativzinsen. Die Nationalbank hat bei der letzten geldpolitischen Lagebeurteilung klar gemacht, dass die Hürden für die Einführung von Negativzinsen höher liegen. Die SNB ist sich der möglichen Nebenwirkungen von Negativzinsen bewusst. Daher dürfte sie diesen Schritt nur dann in Erwägung ziehen, wenn sich der Konjunkturausblick deutlich eintrübt, die Deflationsgefahr steigt oder der Schweizer Franken spürbar aufwertet. Mit der Aussicht auf eine einigermassen moderate Zollbelastung war der Handlungsdruck auf die Nationalbank bisher nicht akut. Mit der höchsten Zollbelastung in Europa wächst aber das Risiko, dass die Nationalbank letztlich doch nicht um Negativzinsen herumkommt. Die Konfrontation mit den USA hat nämlich auch den Spielraum für Devisenmarktinterventionen reduziert, da diese das Risiko bergen, noch mehr ins Fadenkreuz der US-Machtpolitik zu geraten.

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