Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Merkel nur zweite Wahl

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Merkel nur zweite Wahl
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

In Deutschland, der grössten Volkswirtschaft in Europa, finden am kommenden Sonntag Bundestagswahlen statt. Spannung versprechen diese Wahlen keine. Es gilt inzwischen als ausgemacht, dass die 62-jährige Angela Merkel nach der Bundestagswahl vom neuen Bundestag als Kanzlerin wieder gewählt und damit ihre vierte Amtszeit antreten wird. Der umtriebige Allesversprecher Martin Schulz wird keine Chance haben und seine SPD wahrscheinlich nicht einmal ein Viertel der Stimmen erhalten.

Für Europa sind das gute Neuigkeiten, denn letztendlich ist Verlass auf Merkel. Sie wird die EU weiter finanzieren, denn unter dem Strich – oberflächlich betrachtet versteht sich – ist das ein lukratives Geschäft für Deutschland. Merkel reagiert unspektakulär und knickt zwar regelmässig ein, wenn es darum geht, ein Übel an der Wurzel zu packen. Aber vielen Deutschen ist das nicht so wichtig, schliesslich geht es ihnen gut. Merkels Erfolgsrezept: sie hat einen ausgeprägten Machtinstinkt, kann Krisen beharrlich aussitzen und macht lieber überhaupt nichts, als etwas, was ihrer Klientel wehtun könnte. Und so wird Griechenland zwar getadelt, erhält aber im Jahresrhythmus frisches Geld. Die Türkei wird als EU-Aspirant fast schon geächtet, schafft ihr aber die Flüchtlinge vom Hals. Was für Merkel noch vor kurzem opportun erschien, muss halt jetzt Italien schaffen. Denn der Wind hat gedreht und sie hat ihren Landsleuten doch etwas zu viel zugetraut, von wegen «wir schaffen das». Und das jüngste Beispiel liefert Deutschlands liebstes Kind – das Auto. Das Automobilkartell wird vielleicht getadelt, sonst aber mit Samtpfoten behandelt, ja gar gehätschelt vor der Wahl. Ganz die «Mutti»; die hat auch stets Nachsehen mit einem unartigen Spross.

Glück, Glück und gar Glück im Unglück
Ihre Bilanz kann sich aus wirtschaftlicher Perspektive zwar sehen lassen, wenn man die anhand des Wachstums misst. Da ging es seit ihrem Amtsantritt steil bergauf. Auch den Rückschlag nach der Finanzkrise hat Deutschland rascher verkraftet als jedes andere europäische Land, so heftig er auch in Deutschland selbst gewesen sein mag. Und so paradox es klingen mag: Deutschland war eigentlich Profiteur der Europäischen Schuldenkrise. «Dank» dieser öffnete Mario Draghi immer hemmungsloser die Geldschleusen, nachdem er zusehen musste, dass die europäische Exekutive und mit ihr auch Merkel nicht in der Lage sein würden, das Schuldenproblem nachhaltig zu bereinigen, ohne eine Wiederwahl aufs Spiel zu setzen. Draghi schwächte aber nicht nur den Euro, sondern beflügelte auch die deutschen Exporte, obwohl Deutschlands massiver Ertragsbilanzüberschuss eigentlich für eine viel härtere Währung sprechen würde. Pures Glück also.

Schon bei ihrem Amtsantritt Ende 2005 hatte Merkel das Glück auf ihrer Seite. Denn die globale Wirtschaft kam nach dem 9/11 und Dotcom-Debakel wieder auf Touren, ein Basiseffekt ohne ihr Zutun. Und dann war da ja auch noch die Agenda 2010, welche von SPD, Bündnis 90 und den Grünen zwischen 2003 und 2005 aufgegleist wurde. Gerhard Schröder bewies Mut und Geschick, indem es ihm gelang, das deutsche Sozialsystem und den verkrusteten Arbeitsmarkt einer wegweisenden Reform zu unterziehen. Strukturreformen greifen aber bekanntlich nicht sofort. Nochmals Glück für Angela Merkel, die die Lorbeeren dieser Reform ernten konnte. Sie selbst hat in Reformfragen wenig Neues beigetragen, z.B. wenn es darum geht die Eurozone auf ein solideres Fundament zu stellen und das wird wohl auch in ihrer vierten Amtszeit so bleiben.

Sattes Land
Ihren Machtinstinkt hat sie wohl schon in der damaligen DDR gelernt, den Rest lernte sie bei Helmut Kohl. Mit wem sie regiert, scheint ihr jeweils gar nicht so wichtig so lange sie die Kanzlerin ist. Ob grosse Koalition wie nach den Wahlen von 2005 und 2013 oder schwarz-gelbe Koalition wie 2009, Angela Merkel gibt stets den Takt vor und das wird auch nach der Wahl am Sonntag so sein. Ungewiss ist lediglich, wer dieses Mal den Juniorpartner spielen darf und dazu auch bereit ist. Am Ende läuft es auf eine grosse Koalition hinaus, den Weg des geringsten Widerstands. Die würde schliesslich die komfortabelste Mehrheit im Bundestag erreichen.

Eine Jamaikakoalition könnte gemäss Prognose ebenso die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten auf sich vereinen. Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün wäre hingegen eher eine Überraschung, wenn auch nicht ganz auszuschliessen ist, dass beide vielleicht doch eine schwache Mehrheit zusammen bringen. Vieles hängt dann an der FDP, die wieder in den Bundestag einziehen dürfte, sich aber wahrscheinlich lieber in der Opposition profilieren möchte. Eine Ampelkoalition oder Rot-Rot-Grün sind hingegen unrealistisch, weil nicht mehrheitsfähig. Wenig Überraschungsmoment auch hier. Spannend wird es lediglich im Rennen um die viertstärkste Kraft im Lande. FDP, Linke und die AfD liegen in den Umfragen etwa gleichauf, je nach Institut. Die viertstärkste Partei? Ja sie haben richtig gehört. Denn die prozentual stärkste Gruppierung in Deutschland könnten wie schon an den Wahlen 2009 die Nichtwähler sein. Das sagt auch einiges über die Lage der Nation: Der Verdruss vor lauter Überfluss macht Alternativen obsolet.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Raiffeisen

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