Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Stabil, fragil, labil, unberechenbar

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Stabil, fragil, labil, unberechenbar
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Erinnern wir uns: 2009, als die Weltkonjunktur nach dem Subprime-Crash am Boden lag, war es vor allem BRIC (Brasilien, Russland, Indien und China) sowie anderen Schwellenländern und natürlich dem vielen Geld, das die reifen Industrienationen zur Ankurbelung des Wachstums in die Wirtschaft pumpten, zu verdanken, dass es nicht zu einer Wiederholung einer riesigen Weltwirtschaftskrise kam. BRIC war damals in aller Munde und es schien für einen Moment, als würde diese nun das Zepter übernehmen und zur dauerhaften Konjunkturlokomotive für die Weltwirtschaft avancieren. Und so für Stabilität sorgen. Dies erwies sich allerdings bald einmal als Trugschluss. Brasilien und Indien wurden zu den «Fragilen Fünf» gezählt. Ukrainekrise und Ölpreisverfall erwiesen sich als Partyschreck und Chinas Börsencrash zeigte bald darauf, dass, was als fragil angesehen wurde, in Wahrheit äusserst fragil war.  

Von wegen stabil und breit abgestützt
Jüngst keimten wieder die alten Hoffnungen auf. Anfang Jahr sah es ganz danach aus, dass das globale Wachstum wieder breiter abgestützt ist, als die Jahre zuvor, die vor allem dank dem US-Konjunkturzug nicht völlig missglückten. Russland schien das Konjunkturtief zu überwinden, trotz vieler Fragezeichen, die noch immer hinter der Politik Putins und der russischen Wirtschaft stehen. China hatte sich mittlerweile auf tieferer aber relativ stabiler Wachstumsdynamik aufgefangen und Brasilien schien endlich die Rezession hinter sich zu lassen. Nur Indien machte wenig Schlagzeilen, aber wenigstens auch keine allzu negativen. Doch bereits gerät die breite Abstützung wieder in Gefahr, vor allem weil sich die Hoffnungen auf Stabilität in Brasilien bereits wieder in Luft auflösten.

Labil und fragil
Im Gegenteil: die Labilität ist zurück in Brasilien. Die scheint dort eher ein Dauerzustand, was wohl auch daher rührt, dass seine politischen Exponenten zu der neigen, sobald Geld winkt. Der Hoffnungsträger der grössten lateinamerikanischen Volkswirtschaft Präsident Michel Temer, welcher die frühere brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, die über den Petrobrasskandal stolperte, ablöste, steht nun selbst unter Anklage. Es geht erneut um Schmiergeldzahlungen, dieses Mal aus dem Lager des weltgrössten Fleischkonzerns JBS, denen Temer höchstwahrscheinlich zugestimmt hat. Empfänger der Zahlung(en) soll der inhaftierte ehemalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha gewesen sein, den man so zum Schweigen bringen wollte, weil der vielleicht zu viel wusste über den Petrobrasskandal. Cunha sitzt hinter schwedischen Gardinen, weil er selbst Schmiergeld von Petrobras erhalten haben soll. Es tauchten Filmaufnahmen auf, die einen Abgeordneten von Temers Partei bei der Entgegennahme eines Geldkoffers mit umgerechnet etwa 130’000 Franken zeigen, welche dieser an Cunha übergeben sollte. Angeblich Geld von Joesley Batista, dem Eigentümer von JBS. Temer schiesst zwar gegen Cunha zurück und bezichtigt ihn des Insiderhandels, weil sich dessen Firma am Real-Sturz eine goldene Nase verdient habe und vor dem Kurssturz seiner Firma eigene Aktien verkauft haben soll. Aber der Vorwurf gegen Temer selbst steht nach wie vor im Raum oder wohl besser gesagt im Dickicht des brasilianischen Korruptionssumpfes. Und egal, was letztlich wahr ist oder erfunden. Brasilien steckt offensichtlich auch unter dem Nachfolger Rousseffs in besagtem Sumpf, von wegen Stabilität.

Labil und fragil
Stabilität erhoffte man sich auch in Europa, das mittlerweile wieder auf den Wachstumspfad zurückgefunden hat. Zwar ist der Expansionskurs der europäischen Wirtschaft derzeit relativ stabil, man hat sich das ja auch einiges kosten lassen, Nullzinspolitik und Überschreitung der öffentlichen Defizite als Stichworte, aber im Südosten herrscht weiter die Fragilität. Das griechische Drama wird zurzeit um ein weiteres Kapitel reicher, man könnte auch sagen um eine weitere Staatspleite. Das wird gern unter den Tisch gekehrt, aber Griechenland erweist sich mehr und mehr als Fass ohne Boden, in dem Hilfsgelder schneller versiegen, als sie gesprochen werden (können). Für das Wachstum in Europa ist das zwar wenig relevant, dazu bring die griechische Wirtschaft zu wenig Gewicht auf die Waage, aber Fortschritte Richtung Stabilisierung sind in weitere Ferne gerückt denn je, zumal sich Griechenland sehr eigenmächtig über die meisten mit den Hilfszahlungen und Krediterleichterungen verbundenen Auflagen hinwegsetzt. Europa spendet dennoch weiter Milliarden und demonstriert gegen aussen eine fragile Einheit von Gläubigern und Politik.

Stabil ist nur Trump
Zum Glück gibt es da noch Donald Trump; auf den US-Präsidenten ist immerhin Verlass, denn er vermittelt Stabilität. Stabil sind seine Fragilität und seine Unberechenbarkeit, wovon er die Welt wöchentlich, ja fast täglich überzeugt. Niemand weiss wirklich wie Trump tickt, aber Stabilität strahlt der als letztes aus. Eben erst hoffierte er förmlich am saudi-arabischen Hof und unlängst später auch in Israel, wobei nicht ganz klar ist, ob er das tat, um seinem Vorgänger im Amt eins auszuwischen oder ob er tatsächlich an einer Stabilisierung der Beziehungen interessiert ist. Für ihn ist ja alles  ein grosser Deal, so fragil er auch sein mag. Um von seinen massiven innenpolitischen Misserfolgen und Problemen – Stichwort: nicht mehr auszuschliessendes Amtsenthebungsverfahren – abzulenken, sucht er nun sein Heil auf der internationalen Tribüne der Diplomatie. Dass er mit seinen wohlwollenden Äusserungen gegenüber den Saudis den Iran brüskiert, scheint ihm entweder nicht bewusst oder schlicht egal zu seien. Aber das Timing könnte schlechter nicht sein, nachdem just am Wochenende mit der Wiederwahl des gemässigten Hassan Rohani im Iran ein Prozess der gemächlichen Öffnung bestätigt wurde. Äusserungen Trumps gegenüber seinen saudischen Gastgebern lassen den Schluss zu, dass er die Hauptverantwortlichen des weltweiten Terrorismus eher im «bösartigen» Iran ausmacht als in Saudi Arabien. Seine Wahlkampfhetze gegen Muslime wich in Saudi-Arabien dem, was der selbsternannte Dealmaker am liebsten tut, Geschäfte machen eben. Gemäss Aussenminister Rex Tillerson sollen Verträge zwischen saudischen und amerikanischen Firmen in Höhe von 350 Milliarden Dollar abgeschlossen worden sein, Chemie, Öl und vor allem natürlich Waffen. Das finden die Amerikaner sicher toll, aber das Damoklesschwert eines Senatshearings des gefeuerten FBI-Direktors James Comey ist noch nicht vom Tisch und könnte Trump schneller einholen, als ihm recht ist. Und dann ist vielleicht selbst die fragile Stabilität, die Trump bisher verkörpert Geschichte. Aber was ist heute überhaupt noch sehr fest gefügt und dadurch Beanspruchungen aushaltend und so beständig, dass Störungen oder Gefährdungen nicht leicht möglich sind? Höchstens die Definition von «stabil» im Duden.  (Raiffeisen/mc/ps)

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