Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unspektakulär, dafür stabil

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unspektakulär, dafür stabil
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

Die Schweizer Wirtschaft hat im ersten Quartal 2021 nochmal einen kleinen Rückschlag erlitten. Der war zwar angesichts der Corona-Massnahmen erwartet worden und hat auch in seinem Ausmass nicht überrascht. Ein Rückgang um 0.5 % gegenüber dem Vorquartal ist durchaus verkraftbar, aber der Weg nach oben ist nach wie vor holprig und noch immer stehen einige Branchen nahe am Abgrund. Allen voran das vom Lockdown am stärksten betroffene Gastgewerbe mit einem Rückgang um 30.4 %.

In den USA legte die Wirtschaft im ersten Quartal dagegen um sage und schreibe 6.4 % zu (aufs Jahr hochgerechnet). Schon jetzt steht fest: Die Corona-Rezession war eine der kürzesten in den Annalen der US-Wirtschaftsgeschichte, wenn auch eine der heftigsten. Einem Crash der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 31.4 % aufs Jahr hochgerechnet folgte ein Rebound im Sommer 2020 um 33.4 %. Zum Ergebnis zur Dauer der Rezession gelangt wohl in den nächsten Wochen ein Expertenteam des National Bureau of Economic Research (NBER). Da bisher lediglich der Startpunkt der Rezession – die Zeit nach dem Februar 2020 – fixiert ist, aber noch nicht deren Ende, ist auch deren genaue Dauer noch nicht ganz fix, aber spätestens Ende Mai 2020 dürfte sie wohl beendet gewesen sein. Der bislang kürzeste Taucher der US-Wirtschaft geht auf Anfang 1980 zurück und dauerte sechs Monate.

Das NBER definiert Rezession nicht «traditionell» als einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, sondern als einen mehrere Monate dauernden substanziellen Rückfall ökonomischer Aktivität. Egal wie man Rezession letztlich definiert und ob sie nun einen Monat länger oder kürzer dauerte, hat sich in den USA in 12 Monaten doch Erstaunliches getan. Zwar wurden aus Tellerwäschern innert Jahresfrist keine Millionäre, dieser Mythos gehört längst der Vergangenheit an, aber das genauso beherzte wie hemmungslose Eingreifen der Wirtschaftspolitik um jeden Preis lässt zumindest die Bilanz der letzten 12 Monate blendend aussehen. Dafür gesorgt haben Republikaner und Demokraten mit einer Art «Helikoptergeld», Schecks für mehr oder weniger alle Haushalte in den USA.

Aber mal Hand aufs Herz: Lieber über Nacht ein Drittel weniger Einkommen erzielen und das drei, vielleicht vier Monate lang, und danach raketenhaft wieder auf den Level vor dem Einbruch zurückkehren? Oder doch lieber etwas moderatere Rückgänge, wie es auch im letzten Jahr in der Schweiz der Fall war – «unser» Einbruch war im vergangenen Jahr viermal schwächer als der in den USA – und dann eine ähnlich rasche Rückkehr zum Ursprungsniveau? Kein Jobverlust über Nacht, dafür aber Kurzarbeit oder Härtefallentschädigung?

Wer jetzt den tollen Rebound der US-Wirtschaft als Überlegenheit des amerikanischen Wirtschaftens über das europäische Hadern und Zaudern stellt, blendet aus, dass es hierzulande, aber auch in vielen Staaten Rest(west)-Europas bessere Absicherungsmechanismen für soziale Härten gibt als im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und im Vergleich zu dort hier nur wenige durch das vielerorts breit gespannte Auffangnetz fallen. Schon 2009/2010 gelang den USA ein kleines Wirtschaftswunder, indem sie als erste grosse Volkswirtschaft die Rezession im Nachgang zur Subprime-Krise überwanden. Doch auch dem war ein wahres Blutbad vorangegangen. Abermillionen Arbeitslose fanden dann zwar allmählich wieder einen Job und die unzähligen Obdachlosen konnten sich sukzessive wieder eine Wohnung leisten. Davor hatten sie aber in den Vorstädten und Agglomerationen der grossen Wirtschaftsmetropolen in Zeltstädten gehaust, nachdem sie Hals über Kopf aus ihren eigenen vier Wänden hatten ausziehen müssen.

In der Schweiz ist mir aus dieser düsteren Periode nur eine kleine Zeltstadt in Erinnerung geblieben. Auf dem Zürcher Paradeplatz, später dann auf dem Lindenhof, «campierten» eine Handvoll Vertreter der Bewegung Occupy Paradeplatz. Freiwillig, notabene, im Vergleich zu vielen US-Amerikanern dazumal. Die amerikanische Wirtschaftspolitik mag Spektakel erzeugen, wenn es um kurzfristige unglaublich teure Rettungseinsätze geht, aber unser System braucht solche eben gar nicht erst, weil es viel besser gegen Krisen vorbereitet ist als das der USA. Da verzichte ich gern auf ein Spektakel, zumal jedes einzelne Spektakel zukünftigen Generationen nur noch grössere Lasten auferlegt.

Spektakulär ist etwa die Betrachtung der Nettostaatsschuldenquote, die nicht nur die Schulden, sondern auch die Forderungen der Staaten an Dritte mit einberechnet. Da haben die USA Plätze gut gemacht und liegen nun weltweit auf Platz 8. Deutlich vor z. B. Sambia, Kolumbien, Albanien oder Fidschi. Die Schweiz liegt abgeschlagen auf Rang 70 (von 88)!

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert