Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Von Gierigen und Zockern

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Von Gierigen und Zockern
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

Letzten Freitag rief mich ein Studienkollege an, den ich längst aus den Augen verloren hatte und der nach kurzem Neujahrswunsch rasch zur Sache kam und euphorisch sowie in allen Details darüber berichtete, dass er innert einer Woche mit Bitcoins ansehnlich Geld verdient hätte. Bei 33’000 Dollar pro Bitcoin sei er eingestiegen und jetzt sei der Kurs deutlich über 40’000, das sei einfach nur noch der Hammer. «In fünf Tagen» posaunte er.

Und er hätte es ja immer gesagt. Er liess mich das natürlich auch wissen, weil er weiss was ich beruflich tue. Und wohl hatte er schon das eine oder andere kritische Statement meinerseits zum Kryptowährungsmarkt gehört oder gelesen. Wahrscheinlich wollte er durchschimmern lassen, dass ich von Bitcoin und Co. wohl nicht sehr viel verstehe, er aber schon. Einer mehr, der befriedigte Gier mit Verstand verwechselt, dachte ich mir. Ich kann nur hoffen, dass er wenigstens etwas Gewinn mitgenommen hat, was schon eine Leistung wäre, bei einem Einstiegspreis der vor einer Woche noch historisches Höchst bedeutete. Oder dass der irrationale Überschwang sich noch fortsetzt und nicht gerade einen zweiten Tiefschlag versetzt kriegt.

Der Hype um Kryptowährungen ist jedenfalls wieder zurückgekommen, noch hemmungsloser und extremer als in der ersten Welle, die Ende 2018 ein abruptes Ende erfuhr. Auch damals fielen massenhaft Hobbyspekulanten und Kleinanleger unter das Schafott frei fallender Kurse. Nach dem Blutbad der Kurse übers Wochenende und am Montag ist die Kapitalisierung von Bitcoin allein mit über 600 Milliarden USD noch immer höher als die des gesamten Kryptomarktes vor dem ersten Absturz Anfang 2019. Das heisst im Klartext: es können einige Spekulanten und wenige Glückspilze noch ganz gehörig Geld verdienen zu Lasten vieler, die sich von ihrer Gier verleiten liessen.

Kursschwankungen – sprich Volatilität – in solchen Grössenordnungen deuten darauf hin, dass diese Märkte hochgradig intransparent und nicht etwa hochkomplex sind, wie «Kryptofreaks und Technerds» immer wieder behaupten. Es würde mich nicht wundern, wenn lediglich Algorithmen die Kurse lenken und nicht etwa Knappheit, Werthaltigkeit und Überschussnachfrage. Und wer weiss schon, ob es sich dabei nicht um Schneeballsysteme handelt oder gar Geldwäscherei im grossen Stil betrieben wird. Als Zahlungsmittel genutzt werden Kryptowährungen schliesslich hauptsächlich im Darknet. Ob und wie gut sie sich auch im Alltag als Zahlungsmittel eignen, wird uns die Steuerverwaltung im Kanton Zug in einigen Jahren berichten können. Allerdings erhält diese die Schulden von Steuerpflichtigen, die in Kryptowährungen zahlen wollen, letztlich immer in CHF. Ein liquides und weit anerkanntes, gesetzliches Zahlungsmittel funktioniert aber direkt. Es benötigt keine Parallelwährung.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser
Letztlich ist jedes Investment, wenn es nicht rein spekulativ ausgerichtet ist, eine Frage des Vertrauens. Es gibt ökonomische Untersuchungen der u.a. der niederländischen Notenbank, die darauf hindeuten, dass Menschen, welche glauben, man könne anderen vertrauen, mit höherer Wahrscheinlichkeit Aktien besitzen. Ihre Aktienquote liegt zudem um durchschnittlich 3,4 Prozentpunkte höher. Spannend daran ist, dass dieser Vertrauenseffekt mit zunehmender Bildung sinkt. Man könnte es krass so ausdrücken. Weniger gebildete Bevölkerungskreise mit hohem Vertrauen in die Mitmenschen lassen sich auch eher von «Experten» über den Tisch ziehen. Gebildetere Kreise hingegen vertrauen dagegen nicht «blind» und im Zweifelsfall eher dem eigenen Verstand.

Mittlerweile wimmelt es in der Welt nur noch von Experten. Dank Internet und sozialen Medien können auch selbsternannte Experten ihren Unsinn an die breite Masse weiterleiten und den einen oder anderen verführen. Nicht selten auch finanziell. Es ist aber weniger die kriminelle Energie, welche hier den Saatboden legt, sondern die Gier vieler, in kurzer Zeit mit Geld noch mehr Geld zu verdienen. In der exzessiven Variante führt dies zu blindem Vertrauen und absolutem Kontrollverlust.

Mär der Effizienz, Mär der Technologie
Im Studium habe ich gelernt, dass die Finanzmärkte ausserordentlich effiziente Märkte seien. Jegliche verfügbare Informationen würden demnach unmittelbar in die Kursnotierungen eingearbeitet. Der Chicagoer Ökonom Eugene Fama sieht dies allerdings anders, was ihm einige Berühmtheit einbrachte. Das Heer von Investoren, das auf der Jagd nach Rendite ist, hilft seiner Meinung nach lediglich einigen wenigen, über ein normales Ausmass hinausgehende Gewinne zu realisieren. Wer an die Effizienz der Finanzmärkte glaubt, kann nicht gleichzeitig einem Experten, der beispielsweise eine Aktie als teuer oder günstig klassifiziert, glauben. Die Effizienz der Märkte ist damit eine unbrauchbare Theorie, die nicht besser wird, je mehr sie wiederholt wird. Sie wird damit nur noch mehr zur Mär.

Genauso wenig wie es den homo oeconomicus gibt, existiert auch kein völlig rational kalkulierender Investor. Denn wie in der Realwirtschaft agieren an den Finanzmärkten auch Menschen, mit all ihren Stärken und Schwächen, mit Angst oder Gier, mit Neid und Missgunst. Wäre der Markt wirklich effizient, dann könnten die Anleger eigentlich gar nichts falsch machen. Jedes Wertpapier wäre dann zu jeder Zeit adäquat bewertet. Und auch wenn dies so wäre, weiss ich noch lange nicht, wo dessen Preis morgen liegt. Der Preis morgen wiederum kann auch durch nicht fundamentale Faktoren zustande kommen, wie Kursmanipulation oder Marktmacht. Etwa wenn ein Händler sogenannte Kurspflege betreibt. Oder wenn ein grosses Wertpapierhaus Titel neu «ratet», also Empfehlungen abgibt, zu kaufen, zu halten oder zu verkaufen, dann beeinflusst dies die Kurse oft nicht unwesentlich. Man muss davon ausgehen, dass im Kryptomarkt gerade solche Phänomene wegen der tiefen Transparenz und der vermeintlich hohen Komplexität der Technologie noch einiges ausgeprägter sind. Dann doch lieber gleich ins Casino. Denn dort wird weder manipuliert – ausser in alten Mafiafilmen – noch im Expertenlatein belehrt, ob schwarz oder rot. Und dies bei gleichen oder noch höheren Verdienstchancen, ähnlich extrem hohem Risiko aber dafür netterem Ambiente. (Raiffeisen/mc)

Martin Neff – Chefökonom Raiffeisen

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