Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wenn der erste Eindruck täuscht

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wenn der erste Eindruck täuscht
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Nach der überraschenden Aufhebung des EUR-Mindestkurses im Januar 2015 haben einige Schweizer Banken und Forschungsinstitute sehr schnell und medienwirksam Rezessionsprognosen herausgegeben. Wir waren vorsichtiger, im Wissen darum, dass die Folgen des Frankenschocks so schnell nicht einmal in Konturen abschätzbar sein würden. Schlussendlich resultierte für das Gesamtjahr 2015 dann doch ein positives Schweizer BIP-Wachstum von 0.8%. Lediglich im ersten Quartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung und legte dann wieder zu, was die erwähnten Institute dazu veranlasste, ihre Prognosen wieder schlagartig nach oben zu revidieren. Für das Jahr 2016 dann waren die immer wieder wechselnden Prognosen im Allgemeinen eher zu hoch.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) vermeldete Ende letzte Woche ein BIP-Wachstum von 1.3%, was erfreulicherweise fast ganz genau dem Wert entspricht (1.4%), den wir seit einem Jahr unverändert prognostizierten. Das ist aus der Sicht des Prognostikers zwar erfreulich, aber nicht unbedingt für die Schweizer Wirtschaft. Fakt ist zwar: Die Konjunkturerholung hat sich 2016 insgesamt fortgesetzt, auch wenn ihr zu Jahresende hin etwas die Luft ausging. Im Q4 legt das BIP bloss noch um 0.1% (im Quartalsvergleich) zu statt der vom Marktkonsens erwarteten 0.4%. Bei einzelnen Wirtschaftsdaten zeigen sich aber einige Besonderheiten, die die Erholung nach dem Frankenschock relativieren. Vor allem der Privatkonsum hat im besagten Quartal sehr stark zugelegt (0.9% qoq) und erwies sich damit einmal mehr als zuverlässige Stütze der Schweizer Wirtschaft. In den Quartalen zuvor zeigten sich die Konsumenten vergleichsweise zurückhaltend und diese aufgestaute Kauflaune hat sich nun offenbar im Weihnachtsgeschäft entladen.

Klumpenrisiko Pharma
Alle anderen bedeutenden Verwendungskomponenten des Bruttoinlandprodukts entwickelten sich zum Jahresende hingegen schwach. Das gilt für die Bau- und Ausrüstungsinvestitionen insbesondere aber auch für den Aussenhandel, von dem über das ganze Jahr gesehen eigentlich positive Impulse ausgingen. Nur stammten diese Impulse im Export vornehmlich aus einer einzigen Branche, nämlich der Pharmaindustrie. In praktisch allen anderen Branchen dominierten hingegen rote Wachstumsraten oder es herrschte faktisch Stagnation, was aber über das ganze Jahr betrachtet vom Exporterfolg der Pharmaunternehmen verschleiert wird. Wie stark dieses Klumpenrisiko die aggregierten Exportzahlen beeinträchtigt, zeigte sich nun beim Rückgang der Pharmaexporte. Das Geschäft mit Medikamenten ist zwar relativ krisenresistent aber bei weitem kein Selbstläufer mit immerwährend hohen Wachstumsraten. Eine weitere Abschwächung auf tiefere Wachstumsraten käme nicht überraschend und würde die Schweizer Wirtschaft umso mehr negativ beeinflussen. Mit Präsident Trumps Bestrebungen, die Kosten im amerikanischen Gesundheitswesen einzudämmen, könnte im für Schweizer Pharmaunternehmen extrem wichtigen US-Markt in Zukunft etwas Gegenwind aufkommen.

Auch die BIP-Zahlen gemäss Produktionsansatz offenbarten Schwächen, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. So legte die Wertschöpfung im Gesundheits- und Sozialwesen stark zu und verhinderte im vierten Quartal somit einen BIP-Rückgang. Für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft nicht unbedingt ein Qualitätssiegel. Und apropos Wettbewerbsfähigkeit: Grösster Negativfaktor zum Jahresende hin war die Industrie. Sie belastete das BIP-Wachstum so stark wie seit dem 1. Quartal 2015 nicht mehr. Obwohl zum Teil der Eindruck entsteht,  z.B. laut Unternehmensumfragen, die Erholung gehe zügig voran und sei weit vorangeschritten, kann keine Rede davon sein, dass der Frankenschock überwunden ist, auch wenn viele nicht müde werden, den zu relativieren. Einmal mehr sei gesagt: Es braucht Zeit, bis ein exogener Schock dieser Dimension wirklich verarbeitet ist. Vor allem aber ist der Franken weiterhin stark überbewertet. Die Nationalbank hat zuletzt wieder bei einem Eurokurs von 1.06 massiv interveniert. Dieser Wert scheint für die SNB die Grenze des Zumutbaren, für die Industrie ist er aber jenseits der Schmerzgrenze.

SNB-Panik kostet viel und bringt wenig
Wir halten an unserer Prognose für 2017 fest und erwarten unverändert ein ähnliches BIP-Wachstum wie im Vorjahr konkret von 1.3%. Keine Beschleunigung also, aber auch nicht wirklich einen Taucher. Ähnlich wie in den letzten Jahren wird die SNB Unsummen investieren müssen, um das Wachstum gerade noch halten zu können, besonders jetzt wo in Europa richtungsweisende Wahlen anstehen und die Nervosität an den Märkten sprunghaft ist und tendenziell wieder steigt. Ein teurer Preis, und da ist es nur ein schwacher Trost, dass die SNB diese Woche einen etwas grösseren Jahresgewinn (neu sind es 24.5 Milliarden Franken) melden konnte, als noch im Januar in Aussicht gestellt. Auch die Gewinnausschüttung an die Kantone wurde leicht erhöht. Diese erhalten nun insgesamt 1.15 Mrd. CHF. Ein höchst willkommener Geldsegen, der Kanton Schwyz beispielsweise erhält 21.4 Millionen Franken und kann damit wohl ein Defizit verhindern. Von den kantonalen Finanzdirektoren gibt es daher auch kaum einmal kritische Stimmen zur Geldpolitik der Nationalbank. Das erstaunt, denn war der Jahresgewinn früher sehr stabil, kommt es nun aufgrund des riesigen Bestandes an Devisenreserven regelmässig zu massiven Schwankungen. In 2015 wurde z.B. ein Jahresverlust von 23.3 Milliarden Franken ausgewiesen. In guten Zeiten werden für die Auszahlung an Bund und Kantone daher Rückstellungen gebildet, die sogenannte Ausschüttungsreserve. Diese Rückstellungen können jedoch auch negativ werden, wie dies 2013 der Fall war, weshalb dazumal vorübergehend keine Gewinne ausgeschüttet wurden. Der Eindruck täuscht also, die SNB ist kein Goldesel. Und wenn es bei den baldigen Präsidentschaftswahlen in Frankreich tatsächlich eine Überraschung gibt und die Eurokrise wieder aufflackert, droht der Schweiz viel mehr Ungemach als nur ein paar Jahre ohne SNB-Zuschüsse. (Raiffeisen/mc/ps)

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