ETH-Forscher Stark und Grass gewinnen Europäischen Erfinderpreis für ihren DNA-Datenspeicher

ETH-Forscher Stark und Grass gewinnen Europäischen Erfinderpreis für ihren DNA-Datenspeicher
Professor Wendelin Jan Stark (l.) und Professor Robert N. Grass. (Foto: ETH/Twitter)

München – Das Europäische Patentamt (EPA) hat den Schweizer Forscher Wendelin Stark und seinen österreichischen Kollegen Robert N. Grass, die gemeinsam an der ETH Zürich arbeiten, mit dem Europäischen Erfinderpreis 2021 in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichnet. Ihre Verkapselungstechnologie, mit der in DNA-Codes verwandelte Daten in winzigen Glaskugeln eingeschlossen werden, bietet eine neuartige Methode der Informationsspeicherung und liefert einen fälschungssicheren DNA-Barcode für die Nachverfolgung von Lieferketten.

Die Erfindung von Grass und Stark ebnet damit den Weg für eine Langzeitdatenspeicherung auf kleinstem Raum, welche die begrenzte Haltbarkeit digitaler Medien überwindet, indem sie die DNA-Speicherfähigkeiten von Fossilien nachahmt. In einer winzigen Menge von wenigen Gramm synthetischer DNA lassen sich so 400‘000 Terrabyte Daten speichern, das entspricht allen momentan auf YouTube verfügbaren Filmen.

„Die bemerkenswerte interdisziplinäre Forschung von Grass und Stark hat zu einer Erfindung geführt, die das Potenzial hat, die langfristige Datenspeicherung ganz neu zu gestalten“, sagt EPA-Präsident António Campinos. „Da die Digitalisierung fast jeden Aspekt der Gesellschaft verändert, ist diese Innovation ein echter Fortschritt, um die von uns produzierten Informationen haltbarer zu machen. Sie verspricht zudem Anwendungen in einer Vielzahl von Produkten.“

Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas und wird jährlich vom EPA verliehen, um herausragende Erfinder aus Europa und der ganzen Welt auszuzeichnen, die einen aussergewöhnlichen Beitrag zu gesellschaftlicher Entwicklung, technologischem Fortschritt und Wirtschaftswachstum geleistet haben. Die Finalisten und die Gewinner in fünf Kategorien (Industrie, Forschung, KMU, Nicht-EPO-Staaten und Lebenswerk) wurden von einer unabhängigen internationalen Jury ausgewählt.

Inspiriert von der Natur: Langzeitdatenspeicherung mit versiegelter DNA
Robert Grass und Wendelin Stark, die am Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich zusammenarbeiten, haben vor allem eines gemeinsam: Sie wollen Technologien mit medizinischem oder biologischem Schwerpunkt in praktische Erfindungen umsetzen. Besonders faszinierte die Idee, dass DNA – neben der Speicherung der genetischen Informationen jedes Lebewesens – auch genutzt werden kann, um andere Formen von Daten zu speichern. Eine zentrale Herausforderung war jedoch, dass ungeschützte DNAStränge nach Kontakt mit Wasser, Luft oder Hitze schnell chemisch zersetzt werden. Zur Lösung dieses Problems liessen sich die beiden Forscher von Fossilien inspirieren, in denen die DNA über Hunderttausende von Jahren konserviert ist. Unter Starks Leitung gelang es dem Team von Grass mithilfe einer Synthesetechnik des ETH-Kollegen Reinhard Heckel, synthetische DNA in winzige Glaspartikel einzuschliessen, die bis zu 10 000 Mal dünner sind als ein Blatt Papier.

Diese nicht-porösen „Glasfossilien“ schützen die DNA vor ätzenden Substanzen und Temperaturschäden. Die DNA kann später leicht wiedergewonnen werden, indem die Partikel mit einer Fluoridlösung behandelt werden, die das Glas auflöst, ohne dabei die Informationen zu beschädigen. Die ETH Zürich meldete die Erfindung von Grass und Stark zum europäischen Patent an, das 2018 erteilt wurde. Mit Hilfe ihrer Patente haben Grass und Stark die Technologie inzwischen über das ETH Spin-Off-Unternehmen Haelixa kommerzialisiert. Das Unternehmen ist eines von mehreren Spin-Offs der Universität, die von den Forschern mitgegründet wurden.

Die gläsernen „Fossilien“ des Unternehmens haben sich auch als robuster Barcode für Nachverfolgungszwecke bewährt: Die winzigen DNA-haltigen Partikel können auf ein Produkt oder eine Substanz aufgebracht und später zur Verifizierung abgerufen werden. Die Technik wurde bereits eingesetzt, um unterirdische Wasserflüsse zu verfolgen und Produkte in Lieferketten zu verifizieren. Auch das Datenspeicherungspotenzial der Erfindung rückt zunehmend in den Vordergrund. 2018 wurde das 15 MB grosse Album „Mezzanine“ der Gruppe Massive Attack in Stränge synthetischer DNA kodiert und im DNA-Format in einer Sprühdose mit rund einer Million DNA-Kügelchen wiederveröffentlicht.

„Wir stellen uns in nicht allzu ferner Zukunft eine Welt vor, in der das Lesen von DNA eine Alltagsanwendung ist“, sagt Grass. „In dem Umfeld, in dem wir arbeiten, ist das Lesen und Schreiben von DNA so, als würde man einen Stift und Papier nutzen – ein ganz alltäglichesMedium.“ Stark weist besonders auf die Inspiration für ihre Technologie hin: „Die Natur ist etwas Wunderbares und wir sind immer wieder fasziniert von ihrer Genialität.“

Informationen zu den Erfindern
Professor Robert N. Grass
wurde am 5. Dezember 1979 in Bregenz, Österreich, geboren. Er studierte ab 1999 Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich und promovierte dort 2007 mit einer Arbeit zum Thema Nanopulversynthese und -anwendung. Danach gründete Grass die ETH Spin-Off-Unternehmen TurboBeads LLC und hemotune AG. Die von seinem Team seit 2012 entwickelte glasverkapselte DNA-Speichermethode wird von zwei seiner ehemaligen Doktoranden mit dem ETH Spin-Off Haelixa AG, das er 2016 mitgründete, kommerzialisiert. Seit 2017 ist er Titularprofessor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften und forscht in dieser Position weiterhin an der ETH Zürich. Sein h-Index von 47 (Google Scholar) kennzeichnet eine sehr hohe Publikationsproduktivität und -wirkung.

Professor Wendelin Jan Stark wurde am 2. Juni 1976 in Zürich geboren. Er studierte an der ETH Zürich, wo er 2000 sein Chemiestudium abschloss. Darauf folgte 2002 eine Promotion in Maschinenbau und Verfahrenstechnik. 2003 wurde Stark zum Assistenzprofessor am Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften gewählt und 2009 zum ausserordentlichen Professor befördert. 2014 wurde er ordentlicher Professor und Leiter des Lehrstuhls für Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Während seiner Zeit an der ETH Zürich war Stark Mitbegründer von zehn Unternehmen, wie Haelixa AG und TurboBeads LLC. Zudem ist er Autor von mehr als 300 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und wurde in den wissenschaftlichen Beirat der Vereinten Nationen für den Global Environmental Outlook gewählt (2014-19). Sein h-Index liegt bei 76 (Google Scholar), was ihn mit einer sehr hohen Publikationsproduktivität und -wirkung als einen der meistzitierten Wissenschaftler in seinem Fachgebiet kennzeichnet.

Stark ist in 24 europäischen Patenten genannt, und Grass in 13. Sie sind im 2018 erteilten EP2831268 als Co-Erfinder genannt, für das sie für den Europäischen Erfinderpreis nominiert sind. (mc/pg)

Europäisches Patentamt
ETH

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert