Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Adam Smiths moralische Gefühle

Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Adam Smiths moralische Gefühle
Adam Smith, schottischer Moralphilosoph und Aufklärer (1723-1790).

Da hat einer ganz schön Wut aufgestaut. Wenn man sich in Otto-Peter Obermeiers kritische Ausgabe der ethischen Schriften von Adam Smith vertieft, bekommen darin vor allem die Mächtigen ihr Fett weg. Der emeritierte Philosophie-Professor hat im Verlauf eines erfolg- und arbeitsreichen Lebens mitbekommen, wie vor allem in Wirtschaft und Politik die Ethik zu einem Mäntelchen verkommt, das sich die Manipulatoren anlegen, um das gemeine Fussvolk zu verführen. Dass er die Mechanismen der Selbst- und Fremdtäuschung ausgerechnet an Adam Smiths Werk erklärt, hat gleich eine doppelte Funktion.

Es rehabilitiert den grossen britischen Denker, der zu Unrecht nur als Erfinder der primitiven „unsichtbaren Hand“ dargestellt wird, die uns ja ach so automatisch aus den Segnungen des puren Eigennutzstrebens den Warenkorb füllen hilft. Dabei hat der schottische Philosoph gar nie das Primat des Egoismus über die Moral oder gar der kalten Vorschriften und Automatismen über das Gefühl gepredigt. Der Verfasser der „Theorie der ethischen Gefühle“ war ein Menschenfreund, der sämtliche menschlichen Gefühle ernst nahm. Seine Schriften zur Ethik sind Handbuch der Fremd- und Introspektion, um darauf aufbauend ein moralisch gutes Leben zu führen, in perfekter Balance zwischen gesundem Egoismus und Altruismus.

Obermeiers Buch nimmt das Werk auseinander, um Schritt für Schritt die zahllosen individuellen und gesellschaftlichen Selbsttäuschungen zu demaskieren, und die Paradoxien klar zu benennen, auch bei Adam Smith selbst. „Moralisch fühlen, gierig handeln“, so der Titel dieser kritischen Smith-Ausgabe, ist dabei das Hauptparadox der Wirtschaftssubjekte, und Obermeier hilft auf über 500 souverän geschriebenen Seiten dieses und viele andere Paradoxa aufzulösen oder zumindest gnadenlos zu sezieren, auf dass die gerade moralisch total aus dem Ruder laufende Welt besser werde.

Einzige deutschsprachige, umfassend kritische Darstellung von Adam Smiths ethischer Theorie
Wie viel staatliche Intervention braucht der Mensch, wie viel Eigenliebe und wie viel Idealismus benötigt er? Wie viel Wohlwollen und Sendungsbewusstsein sind in einer Gesellschaft vernünftig, welche Vorteile und Nebenwirkungen hat das Karrierestreben der Menschen, und was hat das mit Finanz- und Wirtschaftskrisen zu tun? Natürlich hat die unsichtbare Hand in der letzten Finanzkrise jämmerlich versagt, und sie wird es leider wohl auch in der nächsten tun. Unendlichkeits- und Wachstumswahn passen schlecht zu unseren beschränkten Ressourcen, sowohl auf individueller als auch planetarer Ebene. Aber die unsichtbare Hand versagt nicht immer und nicht überall, und der Mensch und seine Organisationsstrukturen könnten ja lernfähig sein. Wenn sie es denn wollen. Denn Obermeier kommt zum Schluss, dass die Menschen die Märchen der Mächtigen eigentlich brauchen, und er findet diesen Gedanken sogar tröstlich.

Gerade die zeitgemässen sozial- und individualpsychologischen Analysen machen das neue Buch besonders wertvoll, denn sie sind entlarvend, und wo es darauf ankommt, nimmt Obermeier kein Blatt vor den Mund. Etwa wenn er himmelschreiendes Unrecht in verordneten Gesetzen thematisiert oder sich über die „Glattgebügelten und medial Eingeschleimten“ echauffiert. Entlarven, Analysieren, Bessermachen, das ist die hehre Aufgabe des Professors für Philosophie, der Mutter der Wissenschaften. Adam Smith wird da zum Steigbügelhalter, damit Obermeier galoppieren kann, und er tut es mit Bravour.

„Man betrachte nur die Liste der Manager des Jahres… und warte nur ein paar Jährchen, und man kann so manchen Preisträger im Knast besuchen.“

Demaskiert werden die drei grossen Illusionen: Religion, Kunst und Ethik. Aber sie werden nicht zerstört, sondern neu aufgebaut. In diesem Sinne liefert das Buch einen am Schluss sehr versöhnlichen und positiven Beitrag über die akribische Einordnung der Gedankenwelt Adam Smith’ hinaus.

Der philosophisch unbedarfte Leser braucht sich nicht zu ängstigen. Das Buch ist modular in sieben Kapitel eingeteilt: Der Autor sagt gleich zu Beginn, dass Kapitel drei und vier die wichtigsten sind, und dass der geneigte Leser nicht unbedingt alles im Detail lesen muss. Dabei helfen auch immer brav die Zusammenfassungen. Aber auch der Nachschlag von nur sechseinhalb Seiten ist meines Erachtens Pflicht. Gesamtlänge der wichtigsten Kapitel sind dann zweihundertzwölfeinhalb von insgesamt 519 Seiten. Ersparnis: 59 Prozent. Nach Ansicht des Autors kann man sich also fast zwei Drittel seines Buches durchaus sparen. Aber ich habe alles gelesen und kann sagen: es lohnt sich.

Moralisch fühlen, gierig handeln? Zur Aktualität von Adam Smiths „Theorie der moralischen Gefühle“
Ein Buch von Otto-Peter Obermeier
Hardcover, 519 Seiten 29,90 [D] / 30,80 Euro [A] /40,90 [CHF]
ISBN 978-3-933722-65-2: der blaue reiter Verlag für Philosophie.
Buchinformationen

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