Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Boeing hat ein Rad ab… und schon länger ein paar Schrauben locker

Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Boeing hat ein Rad ab… und schon länger ein paar Schrauben locker
Bei Boeing fallen nicht nur die Räder vom Himmel (Foto: Eine 747 «Dreamlifter» verliert im Oktober 2022 beim Start über dem süditalienischen Taranto ein Rad), sondern kürzlich musste das Unternehmen bei der FAA den Ausnahmeantrag für die vorzeitige Zertifizierung der Triebwerks-Enteisung beim künftigen Modell 737 MAX 7 zurückziehen. Das Teil scheint nicht richtig zu funktionieren.

Von Robert Jakob

Die neuste Pannenserie beim US-amerikanischen Hersteller legt nicht nur grundlegende Mängel im Engineering, sondern auch bei der Qualitätskontrolle offen. Jetzt verlor eine Boeing 757 in Kolumbien am 20. Januar sogar kurz vorm Start ein Rad. Aber besser zu früh als zu spät.

Nachdem 2018 und 2019 zwei Boeing 737 Max 8 wegen Problemen mit dem Autokorrektursystem MCAS vom Himmel fielen, wobei zusammen 346 Menschen ihr Leben lassen mussten, passen die neusten Skandale wie die Faust aufs Auge. Nach zweijährigen Grounding war die besonders unglückliche Produktlinie 737 Max mit einem revidierten Autokorrektur- und Sensorsystem wieder am Durchstarten. Dafür hatte die Sales Abteilung durch Rabatte bei den Airlines gesorgt. Seit 2021 werden von Boeing wieder jährlich fleissig Maschinen der 737er Reihe gebaut. Aber nur rund halb so viele wie vor den tödlichen Flugkatastrophen.

Bis dahin hatte Boeing wegen Betrugs- und Verschwörungsvorwürfen im Zusammenhang mit der 737 Max Strafzahlungen von mehr als 2,5 Milliarden Dollar zur Beilegung strafrechtlicher Verfahren zugestimmt. Das neue Management versprach umgehend Besserung. Der Wille war da, doch bei der Durchsetzung hapert es. Aviatik-Experten verorten ein Kulturproblem bei dem einst in Seattle beheimateten Industriegiganten. Die Entwicklungsabteilung betreibt statt klugem Engineering Gefummel. Aus dem MCAS-Debakel hätte man lernen müssen, dass ein einzelner Ausfallpunkt, eine singuläre Schwachstelle, in technisch lebenswichtigen Systemen nicht existieren darf. Nun begeht man denselben Fehler in der Qualitätskontrolle.

Im Risikomanagement der Lieferketten scheint es zu harzen
Ab 190 Sitzplätzen ist bei der 737er-Reihe ein zusätzlicher Notausgang im hinteren Rumpfbereich vorgeschrieben. Bei weniger Sitzen kann die standardmässig in allen Modellen vorhandene Rumpföffnung wahlweise statt des Notausgangs mit einem Blinddeckel verschlossen werden, was eine bessere Raumnutzung verspricht. Produktionstechnisch wird der Rumpf des Flugzeugs bei einem Zulieferer (Spirit AeroSystems, ein Boeing Spin-off) montiert. Er geht dann quer durch die USA zu Boeing, wo er Flügel bekommt, und wo die Feinarbeit im Flugzeuginneren beendet wird.

Am 5. Januar 2024 musste eine 737 Max 9 notlanden, nachdem sie im Steigflug den Blinddeckel und mit dazu gleich auch noch einen Teil des Rumpfes verloren hatte. Die auf die Verkleidung wirkenden Kräfte waren zu stark. Zum Glück wurde niemand auf halbem Weg zur Stratosphäre in 16000 Fuss Höhe ins Freie gesaugt.

Allerdings dürften nun viele Airlines mit 737 Max in der Flotte nun für eine ganze Weile Mühe haben, an den verschlossenen Notausgängen Fensterplätze zu besetzen… Ausser vielleicht Ryanair, denn die werden sie billig abgeben (ich verkneife mir das Wort raushauen).

Das Portal «The Air Current» schreibt, bei der betroffenen Alaska Airlines-Maschine mit Flugnr. 1282 hätten Boeing-Mitarbeiter die Befestigung der identischen Tür-Abdichtung auf der gegenüberliegenden Seite nach der Lieferung nachgezogen. Bolzen und Scharniere auf der anderen Seite waren nach dem Unfall nicht mehr vorhanden und Führungsbeschläge gebrochen. Warum dies nur an einer Seite geschah und nicht auf der nachfixierten Gegenseite ist den Untersuchungsbehörden schleierhaft. Boeing hatte die linke Seite auch kontrolliert, aber etwas weiter vom verschlossenen Notausgang entfernt lockere Nieten gefunden. Da für all das Ungemach der Produzent in der Verantwortung steht, musste der das auch reparieren und zwar nicht im Werk von Spirit AeroSystems in Wichita, Kansas, sondern auf dem Gelände von Boeing in Renton, Washington, durch Leiharbeiter. Diese Form der Delegationskaskade ist sicherlich fehleranfällig.

Die Probleme mit dem Notausgang waren nicht die einzigen Qualitätsprobleme, die Boeing mit seinem Rumpf-Lieferanten hatte. Eine 737 Max 8 musste bereits früher wegen gravierender Probleme mit dem mechanischen Heck-Druckausgleichsystem (hinteres Druckschott) in Revision. Eine mögliche Ursache der abgerissenen Nottür bei Flug 1282 von Alaska Airlines könnte ein hoher Kabinendruck in Zusammenspiel mit losen Teilen im Notausgang samt seiner behelfsmässigen Abdeckung sein, die von Boeing nicht bemerkt wurden oder sogar ein fehlerhafter Verschluss nach der Kontrolle.

In weiteren, nachträglich kontrollierten und bereits ausgelieferten Maschinen des Typs 737 Max 9 bei Alaska und bei United Airlines wurden ebenfalls lose Teile am Notausgang gefunden. Schrauben und Bolzen waren nicht richtig angezogen. Das wirft ein denkbar schlechtes Licht auf Produktionskette des Flugzeugbauer und seine «Fehlerkultur». Zumal den Fliegern von Boeing seit Neustem auch noch Räder fehlen…


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