SGKB Investment views: Die EZB muss aufpassen, nicht in eine Sackgasse zu geraten

SGKB Investment views: Die EZB muss aufpassen, nicht in eine Sackgasse zu geraten
von Thomas Stucki, Chief Investment Officer bei der St.Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)

St. Gallen – Die Europäische Zentralbank wird ihr Anleihenkaufprogramm ab Januar auf monatlich 30 Mrd. Euro halbieren, jedoch mindestens bis Ende September 2018 fortführen. Offen ist, ob dann wirklich Schluss ist. Das bedeutet, dass die EZB die Leitzinsen in der Eurozone frühestens im Frühjahr 2019 erstmals anheben wird. Dies wirkt sich auf andere Zentralbanken wie die Schwedische Riksbank und die Schweizerische Nationalbank aus. Diese müssen nun noch länger zuwarten, bis sie ihrerseits an der Zinsschraube drehen können, ohne ihre Währung in Aufwertungsgefahr zu bringen. Wir werden in der Schweiz also durch den EZB-Entscheid noch länger mit den Negativzinsen und ihren verzerrenden Effekten leben müssen.

Das Zögern der EZB passt nicht in die geldpolitische Landschaft. In den USA ist die Fed seit zwei Jahren daran, die Zinsen graduell anzuheben und wird im Dezember wahr-scheinlich die nächste Zinserhöhung beschliessen. Die Bank of England steht kurz davor, trotz Brexit die Zinswende nach oben zu starten. Die offenen Geldschleusen passen auch nicht zur wirtschaftlichen Lage in der Eurozone. Das BIP-Wachstum ist mit 2.3% auf Jahresbasis sehr solide und verteilt sich zunehmend auf mehr Regionen. Die Arbeitslosenrate ist mit 9.1% zwar hoch, sinkt jedoch stetig. In verschiedenen Ländern, unter anderem in Deutschland, befindet sie sich schon auf einem Rekordtief.

Wo ist die «richtige» Inflationsrate?
Die Immobilienpreise steigen dank den tiefen Zinsen und der guten Wirtschaftslage stark an und sind ein Zeichen dafür, dass die Nullzinspolitik auch in der Eurozone zu gefährlichen Verzerrungen führt. Dennoch betonen die EZB und ihr Präsident Mario Draghi, lieber noch mehr als weniger Geld ins System zu pumpen. Begründet wird diese Haltung mit der Inflation in der Eurozone, welche nicht steigen will und mit 1.5% unter dem Zielwert von 2% liegt.

Diese Haltung ist gefährlich. Was macht die EZB, wenn der Inflationsdruck aus strukturellen Gründen langfristig effektiv weniger stark ist als in der Vergangenheit und die 2% nicht erreicht werden? Lässt sie dann die Zinsen auf ewig bei null oder wie begründet sie eine argumentative Kehrtwende? Dazu kommt: je mehr Anleihen die EZB kauft und je länger die Zinsen extrem tief bleiben, desto stärker wird die Abhängigkeit der verschuldeten Länder von der EZB. Der politische Druck auf die EZB wird dadurch zunehmen. Sie muss in ihren Entscheiden immer mehr Rücksicht auf die Finanzen der Länder nehmen und verliert zunehmend ihre geldpolitische Unabhängigkeit.

Der Wert des guten Rufs
Die EZB gilt als Garant für die Stabilität in der Eurozone. Dadurch ist es ihr gelungen, auf dem Höhepunkt der Eurokrise mit ihrem beherzten Vorgehen die Spekulationen der Finanzmärkte gegen den Euro zu stoppen und so die Einheitswährung zu retten. In dieser Zeit war die EZB die einzige Institution in der Eurozone, die handlungsfähig war und das Vertrauen der Märkte besass. Seither besteht eine positive «Zusammenarbeit» zwischen der EZB und den Finanzmärkten, die zur wirtschaftlichen Wiederbelebung beigetragen hat. Nun ist die Zeit gekommen, wo sich die EZB wieder von den Wünschen der Finanzmärkte lösen muss, ansonsten wird sie zur Geisel der Spekulation und verliert das wichtigste Gut einer Zentralbank: ihre Unabhängigkeit und ihre Reputation. (SGKB/mc/pg)

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von 6,0 Milliarden Franken. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

SGKB

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