Steuerstreit: Prozess gegen mutmasslichen Schweizer Spion in Frankfurt

Steuerstreit: Prozess gegen mutmasslichen Schweizer Spion in Frankfurt

Frankfurt / Bern – Wegen des «Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit» muss sich ein 54-jähriger Schweizer in Deutschland ab kommendem Mittwoch vor Gericht verantworten. Der Fall hatte zu Verstimmungen der deutsch-schweizerischen Beziehungen geführt.

Die deutsche Bundesanwaltschaft wirft dem Mann vor, von Juli 2011 bis Februar 2015 im Auftrag des Schweizer Nachrichtendienstes (NDB) die Finanzverwaltung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW) ausgespäht zu haben.

Am 18. Oktober beginnt der Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Das Verfahren ist zunächst bis Mitte Dezember terminiert.

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, persönliche Daten von drei nordrhein-westfälischen Steuerfahndern beschafft zu haben, die mit dem Ankauf sogenannter Steuer-CDs befasst waren. Konkret ging es um Angaben zu deren Geburtsdaten, Privatadressen und telefonischer Erreichbarkeit.

Diese Informationen beschaffte sich der Angeklagte über den Inhaber einer in Hessen ansässigen Sicherheitsfirma. Weil er sie danach an den Nachrichtendienst weitergegeben habe, sei in der Schweiz die strafrechtliche Verfolgung der deutschen Steuerfahnder möglich geworden. Die CDs enthielten Daten mutmasslicher deutscher Steuerhinterzieher.

Für diesen Auftrag habe der Angeklagte knapp 13’000 Euro erhalten, von denen er rund 10’000 Euro an seinen hessischen Geschäftspartner weiterleitete, hiess es in der Mitte August veröffentlichten Anklageschrift der deutschen Bundesanwaltschaft.

Maulwurf platziert
Darüber hinaus soll der Angeklagte einen Maulwurf in der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung platziert haben, der weitere Informationen über das Vorgehen der deutschen Behörden beim Ankauf von Steuer-CDs sammeln sollte. Den Auftrag dazu habe er ebenfalls von seinen «nachrichtendienstlichen Auftraggebern» erhalten.

Der Angeklagte habe für die einzelnen Aufträge jeweils Geld bekommen. Zudem sei er über einen Zeitraum von bis zu einem halben Jahr monatlich mit pauschal 3000 Euro entlohnt worden.

Hintergrund Steuerstreit
Der mutmassliche Spion war im April in Frankfurt festgenommen worden und sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Anwälte des Angeklagten streiten einen grossen Teil der Vorwürfe ab.

Hintergrund der Affäre ist der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland. In den vergangenen Jahren hatten mehrere deutsche Bundesländer immer wieder Datenträger – sogenannte Steuer-CDs – mit Datensätzen mutmasslicher deutscher Steuerhinterzieher gekauft. Das sorgte für Verstimmungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz. Die Informationen waren Schweizer Banken entwendet worden.

Auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte seit 2010 solche Datenträger gekauft. Die Datensätze hatten dem Fiskus nach Angaben des damaligen NRW-Finanzministers Norbert Walter-Borjans bis zu sieben Milliarden Euro zusätzlich durch Nachforderungen und Selbstanzeigen eingebracht.

Der aktuelle Spionageverdacht gab in Deutschland ebenfalls viel zu reden. Zahlreiche Politiker zeigten sich empört, dass die Schweiz in Deutschland Spitzel einsetze. Im Mai wurde die Schweizer Botschafterin in Berlin vom deutschen Aussenministerium einberufen. Dieses forderte «im Interesse der deutsch-schweizerischen Freundschaft» Aufklärung über den Fall des unter Spionageverdachts festgenommenen Schweizers.

Schweizer Bundesanwalt ermittelt
Tatsächlich ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft seit einigen Jahren gegen mehrere nordrhein-westfälische Steuerfahnder wegen des Vorwurfs der nachrichtendienstlichen Wirtschaftsspionage und der Verletzung des Bankgeheimnisses. Gegen drei deutsche Steuerfahnder gibt es Haftbefehle.

Die Behörde wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, in diesem Verfahren Informationen verwendet zu haben, die der mutmassliche Schweizer Spion für den NDB gesammelt hatte. Die Bundesanwaltschaft habe ihre Ermittlungen ohne Beteiligung des Nachrichtendienstes aufgenommen, befand Mitte Mai auch die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft.

«Spionageabwehr»
Auch im Parlament führten die Spionageaffäre zu Fragen. Der Bundesrat sprach dabei von «Spionageabwehr».

Auf die Frage, wer die politische Verantwortung für den Auftrag des Nachrichtendienstes trage, die Steuerbehörden eines befreundeten Nachbarlandes auszuspionieren, schrieb der Bundesrat im August: «Das Einholen von Informationen dieser Art ist bei einer strafrechtlichen Untersuchung üblich, umso mehr wenn die internationale polizeiliche Zusammenarbeit und Rechtshilfe nicht möglich ist.» (awp/mc/ps)

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