Vertonte Erinnerungen als Stimmungsaufheller

Vertonte Erinnerungen als Stimmungsaufheller
Individuell abgestimmte Musik oder Geräusche, die an schöne Erlebnisse geknüpft sind, ermöglichen Menschen mit Demenz, freudige und sinnstiftende Erfahrungen zu machen. (Foto: Jos Schmid)

Zürich – Klänge, die an positive autobiografische Erlebnisse geknüpft sind, können das Wohlbefinden von Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten deutlich steigern, depressive Verstimmungen verringern und Verhaltensauffälligkeiten mildern. Dies zeigt eine Interventionsstudie der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Praxis. Von der Erinnerungsarbeit mit Musik profitieren auch Pflege- und Betreuungspersonen.

Erinnerungen bestimmen zu einem grossen Teil, wer wir sind. Geräusche und Musik, die an schöne Erlebnisse geknüpft sind, können positive Assoziationen wecken und so die Stimmung heben – ganz besonders bei Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten. Dies geht aus einer Studie des Zentrums für Gerontologie und des Forschungsschwerpunktes «Dynamik Gesunden Alterns» der Universität Zürich hervor. Zusammen mit verschiedenen Institutionen aus der Praxis wurde darin das Potenzial einer musikalischen Intervention, die auf biografischen Erinnerungen basiert, bei Menschen mit Demenz untersucht. «Individuell abgestimmte, bedeutsame Musik oder Geräusche ermöglichen Menschen mit Demenz, freudige und sinnstiftende Erfahrungen zu machen», resümiert Studienleiterin Sandra Oppikofer die Erkenntnisse. «Über die Klänge können sie mit ihrem Umfeld in Verbindung treten, sich engagieren und dabei positive Episoden des Lebens aufleben lassen.»

Wencke Myhre weckt Erinnerungen an Goalie-Zeit
Ausgangspunkt der Studie war der sogenannte «Musikspiegel», eine von der britischen Musikpädagogin Heather Edwards entwickelte Methode. Dafür werden positive Erinnerungen von Demenzbetroffenen in deren eigenen Worten festgehalten und mit Geräuschen oder Musik kombiniert, die mit den entsprechenden Lebensepisoden zusammenhängen. Oppikofer verdeutlicht an einem Beispiel: «In unserer Studie erinnerte sich ein Mann daran, dass er seine Frau auf dem Fussballplatz kennengelernt hatte – als Goalie beim FC Wettingen. Diese biografische Episode verknüpfte er mit dem Lied ‹Er steht im Tor› von Wencke Myhre.»

Hilfe in anspruchsvollen Alltagssituationen
Pflege- und Betreuungspersonen setzten solche akustisch eingebetteten biografischen Erinnerungstexte anschliessend während eines Zeitraums von sechs Wochen regelmässig in kritischen Alltagssituation ein; etwa wenn sie als Nachtwache den Spätdienst ablösten und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Patienten aufbauen wollten oder wenn sich eine Patientin einem Verbandwechsel verweigerte. In einem Tagebuch hielten sie den Kontext sowie ihre Beobachtungen fest. Auf dieser Basis analysierte das Forschungsteam, wie sich der Einsatz des Musikspiegels auf die Gefühlslage und das Verhalten der Demenzbetroffenen auswirkte. Berücksichtigt wurden zudem Effekte auf die Pflegebelastung und die Nähe zwischen Pflegepersonen und Patienten.

Die Resultate zeigen, dass die Musikspiegel-Methode das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz deutlich steigern kann: sowohl Alltagssituationen als auch bei herausforderndem Verhalten wie Unruhe, Apathie oder Aggression. Darüber hinaus machten die Forschenden mittelfristige positive Effekte aus: So verringerten sich während der Intervention depressive Verstimmungen und abweichende Bewegungsmuster – darunter etwa Rastlosigkeit oder wiederholtes Öffnen von Schubladen.

Stärkere Verbindung zwischen Patienten und Betreuungspersonen
Doch nicht nur die Patientinnen und Patienten profitierten: Auch die Grundstimmung von Betreuungs- und Pflegepersonen verbesserte sich, während das akute Stressempfinden sank. Darüber hinaus stieg die wahrgenommene Nähe zwischen den Betreuungs- und Pflegepersonen und den an Demenz erkrankten Menschen. «Eine Pflegefachperson erinnerte sich über den Musikspiegel ihrer Patientin plötzlich wieder an den Musikstil ihrer bereits verstorbenen Eltern, was auch bei ihr selbst viele Emotionen auslöste und eine neue Verbindung zur Patientin schuf», erzählt Oppikofer. «Dies zeigt, wie der Einsatz von Musikspiegeln positive Beziehungen fördern und den Betreuungs- und Pflegealltag auf emotionaler Ebene bedeutend verbessern können.» (Universität Zürich/mc/pg)

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