VP Bank: Fünf Gründe für eine nahende US-Rezession

VP Bank: Fünf Gründe für eine nahende US-Rezession
Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank. (Foto: VP Bank)

Von Thomas Gitzel, Chief Economist VP Bank

Wir präsentieren die prägnantesten Indikatoren für eine wirtschaftliche Kontraktion.

Wo ist sie denn nur? Die Rede ist von der vielerwarteten US-Rezession. Bislang schlägt sich die Konjunktur jenseits des Atlantiks in Anbetracht den von der Fed bereits vollstreckten Zinserhöhungen relativ solide. Zwar wachsen die Konjunkturbäume nicht in den Himmel, aber andererseits ist auch von einer Rezession derzeit nichts zu spüren. Im ersten Quartal legte die US-Wirtschaft mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 2.0 % gegenüber dem Vorquartal zu. Im zweiten Quartal waren es gar unerwartet starke 2.4%. Von einer Rezession kann also derzeit keine Rede sein. Doch gleichzeitig ist selten zuvor so häufig die Rede von einer bevorstehenden wirtschaftlichen Kontraktion gewesen. Es ist deshalb mittlerweile auch von der am besten kommunizierten Rezession aller Zeiten die Rede. Wir selbst rechnen ebenfalls mit einem rückläufigen BIP in den USA. Doch was sind eigentlich die Gründe für eine Rezession? Wir haben fünf der prägnantesten Indikatoren herausgesucht.

Um die Inflationsraten wieder zurück auf normale Niveaus zu führen, wollen die US-Währungshüter mit ihrem Zinsanhebungszyklus die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen. In der Mehrheit der Fälle mündet ein geldpolitischer Straffungskurs in eine harte Landung der US-Wirtschaft. Seit dem Jahr 1954 gab es elf Rezessionen. All diesen Phasen einer wirtschaftlichen Kontraktion ging ein Zinsanhebungszyklus der Fed voraus. Die US-Wirtschaft überstand einen geldpolitischen Straffungskurs in den Jahren 1966, 1984 und 1995 ohne Rezession. Grenzt man weiter ein, werden die Jahre 1966 und 1984 auch als «no landing» bezeichnet. Die US-Wirtschaft wuchs in diesen beiden Phasen auf relativ hohem Niveau weiter. Als einzige klassische weiche Landung nach einem Zinsanhebungszyklus der Fed gilt deshalb 1995. Die Wirtschaft kühlte ab ohne grössere Blessuren davonzutragen. Dieser historische Vergleich macht aber deutlich: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed zu stark auf die geldpolitische Bremse tritt, ist sehr hoch. Gerade aus diesem Grund dürfte die US-Wirtschaft in eine Rezession schlittern.

Die monatliche Umfrage der Universität von Michigan unter privaten Haushalten zeigt, dass seit den 1960er Jahren die Anschaffungsneigung für langlebige grosse Konsumgüter, wie etwa Möbel oder Autos, noch nie so gering war wie aktuell. Der Mix aus hoher Inflation, dazu verhältnismässig geringer Lohnsteigerungen und gleichzeitig gestiegener Zinsen belastet den Konsum. Wie die Grafik gut zeigt, korrespondiert ein deutlicher Rückgang der Anschaffungsneigung stets mit einer Rezession.

Neben den Kosten eines Kredites ist auch die Kredit-Verfügbarkeit entscheidend. Die Banken folgen hier traditionellerweise den Zinsanhebungszyklen der US-Notenbank. Mit höheren Zinsen erhöhen sich Rezessionswahrscheinlichkeiten. Kreditrisikomodelle signalisieren damit höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten von Krediten, was wiederum zu einer restriktiveren Kreditvergabe und einem geringeren Risikoappetit der Banken führt: Potenzielle Kreditnehmer werden stärker auf Bonitätsrisiken überprüft. Eine restriktivere Kreditvergabe dämpft ihrerseits wiederum die Wirtschaft, was schliesslich in einer Rezession mündet.

Viele US-Unternehmen werden derzeit mehrfach in die Zange genommen. Einerseits lasten die gestiegenen Lebenshaltungskosten auf der privaten Nachfrage, worunter vor allem die kleineren Betriebe in den USA leiden. Die Stimmung unter den kleineren Betrieben war in den vergangenen 55 Jahren selten schlechter als aktuell (siehe Grafik). Da die Zinsen hoch sind und die Kreditvergabe der Banken eingeschränkt ist, wird der Liquiditätszugriff erschwert, was ebenfalls auf dem Unternehmensausblick und der Investitionslaune lastet. Hohe Inflationsraten und Zinsen sind auch kein isoliertes amerikanischen Phänomen, sondern weltweit anzutreffen. Der globale wirtschaftliche Ausblick für das verarbeitende Gewerbe ist entsprechend trüb. Gerade die Unternehmen der US-amerikanischen Industrie senken deshalb den Daumen. Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen lagen im zweiten Quartal sowohl gegenüber dem Vorquartal als auch gegenüber dem Vorjahresquartal im Minus. Die Bauwirtschaft leidet derweil in Anbetracht des deutlich gestiegenen Zinsniveaus schon seit längerem. Da die Fed weitere Zinserhöhungen signalisiert, könnte sich die Situation im Unternehmenssektor sogar noch weiter verschärfen.

Eine inverse Zinskurve zählt zu den zuverlässigsten Barometern für eine wirtschaftliche Kontraktion. Konkret liegen dabei die kurzfristigen über den langfristigen Zinsen. Allen US-Rezessionsphasen ging eine inverse Zinsstrukturkurve voraus. Normalerweise sollten die langfristigen über den kurzfristigen Zinsen liegen. Hierbei spielen Bonitäts- und Inflationsrisiken eine Rolle oder um es einfach zu halten: Die Zukunft ist mit Unsicherheit versehen, deshalb verlangen Anleger einen Aufschlag bei längerfristigen Engagements. Liegen die langfristigen unter den kurzfristigen Zinsen gehen Anleger davon aus, dass die Inflationsraten zukünftig wieder tiefer sein werden – auch auf Kosten einer Rezession. Da US-Staatstitel zur Gruppe der am meist gehandelten Finanzinstrumenten der Welt gehören und damit sehr viele Anleger in diesem Segment tätig sind, steckt in der Kursbildung eine hohes Mass an «Marktintelligenz». Gerade deshalb ist eine inverse Zinsstrukturkurve solch ein zuverlässiger Indikator für eine nahe Rezession.

Was gegen eine Rezession spräche
Gibt es nun aber auch Gründe, die doch noch für eine weiche Landung sorgen könnten? Im komplexen Wirtschaftsleben ist selten etwas eindeutig. So verhält es sich auch dieses Mal. So schnell die Inflationsraten anstiegen, so schnell fallen sie gerade – zumindest mit Blick auf die Gesamtinflationsrate. Die Kerninflationsrate ist inzwischen mit 4.8 % noch immer relativ hoch. Doch im Unterschied zu Europa gibt es in den USA einen dominierenden Faktor: Die Mieten und die kalkulatorischen Eigenmieten erklären derzeit das Gros des Inflationsanstieges. Steigen die Mieten in den kommenden Monaten weniger schnell, fällt auch die Kerninflationsrate deutlich. Damit hätte die Fed aber recht schnell grünes Licht für Zinssenkungen im kommenden Jahr. Sollten sich also zum Jahresende 2023 die Rezessionssignale mehren, hätte die Fed im neuen Jahr in Anbetracht der deutlichen Zinsanhebungen Manövriermasse. Die fallenden Inflationsraten bedeuten aber auch, dass aus den Reallohnrückgängen Reallohnzuwächse werden. Die US-Konsumenten könnten damit Vertrauen fassen und ihre Ausgaben (insbesondere bei grossen Anschaffungen) wieder erhöhen. Dies spräche ebenfalls gegen eine harte Landung der US-Wirtschaft. Und da das Wort «Rezession» in aller Munde ist, werden Unternehmen ihre Planungen entsprechend anpassen. Je vorausschauender Unternehmen reagieren, desto mehr kann eine harte Landung vermieden werden, weil riskante und überzogene Investitionspläne erst gar nicht getätigt werden.

Unter Abwägung aller Argumente, die für und gegen eine harte Landung sprechen, sind aus unserer Sicht die Rezessionsrisiken zu eindrücklich, als dass die US-Wirtschaft mit einem blauen Auge davonkommen könnte. Gerade deshalb bleiben wir bei unserem Szenario einer wirtschaftlichen Kontraktion in den USA – auch wenn bis dahin noch einige Wochen verstreichen könnten. (VP Bank/mc/ps)

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