Brasilien: Das eigenartige Rätsel von Effizienz und Protektionismus
Brasilien hat mehr zu bieten als Carneval, Samba und Caipirinha.
London – Aufgrund ihrer demografischen Entwicklung, ihrer wirtschaftlichen Stärke sowie wegen des rasanten Industrialisierungsprozesses verfügen die Schwellenländer über beträchtliches Potenzial. Am wichtigsten ist jedoch die Qualität der dortigen Unternehmen. So beheimaten die Schwellenländer eine Vielzahl innovativer, weltweit führender Firmen, die in den globalen Märkten mitmischen. Ausserdem verbessern sich nicht nur die Standards bei der Corporate Governance, sondern den dortigen Firmenleitungen wird auch zunehmend bewusst, dass sie ihre Unternehmen im Sinner ihrer Aktionäre führen müssen.
Nach ihrem jüngsten Aufenthalt in Brasilien fassen Michael Godfrey und Matthew Vaight, Co-Fondsmanager des M&G Global Emerging Markets Fund, ihre Beobachtungen in Bezug auf brasilianische Unternehmen zusammen. Sie erläutern, warum das Land so viele ausserordentlich gut geführte Unternehmen beheimatet, die attraktive Portfoliokandidaten darstellen:
Die Geschichte des Kapitalmangels
«Um die heutige Unternehmenskultur in Brasilien zu verstehen, sollten wir uns daran erinnern, wo die Wirtschaft vor 25 Jahren stand. In den 1980er und frühen 1990er Jahren war die Inflation in Brasilien schmerzhaft hoch und erreichte 1993 atemberaubende 2.477 Prozent. 1994 wurden die wirtschaftlichen Probleme durch die Einführung des Plano Real in Angriff genommen. Dieser Plan beinhaltete die Schaffung einer neuen Währung, dem Real, und eine Vielzahl an fiskal- und geldmarktpolitischen Massnahmen zur Eindämmung der Inflation. Im Gegensatz zu früheren Versuchen zur Wirtschaftsstabilisierung war der Plano Real erfolgreich und schuf das Fundament für das anschliessende starke Wirtschaftswachstum.
Diese hyper-inflationäre Phase hatte einen grossen Einfluss darauf, wie brasilianische Unternehmen bis heute geführt werden. Sie mussten in einem Umfeld operieren, in dem Kapital nicht nur teuer war, sondern auch schwer zu bekommen. Diese Erfahrungen mit Kapitalmangel führten augenscheinlich zu der kapitaleffizienten Unternehmenskultur, die wir heutzutage in Brasilien antreffen.
Umsichtiger Umgang mit dem Kapital der Investoren
Der Höhepunkt dieser Kapitaleffizienz war ein Instrument zur Kapitalallokation, das wir in Brasilien öfter vorfanden: die Null-Basis-Budgetierung oder Zero-Based Budgeting (ZBB). Ganz grundsätzlich bedeutet ZBB, dass die Budgets jedes Jahr neu auf Basis dessen erstellt werden, was in diesem Zeitraum benötigt wird, und nicht auf Basis der Ausgaben vom letzten Jahr. Ein Bereichsleiter muss gegenüber der Zentrale die ihm zugeteilten Gelder rechtfertigen, die er für den Betrieb und den Ausbau seines Bereiches benötigt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Kapital auf die profitabelsten Geschäftseinheiten verteilt wird, was wiederum zu höheren Cashflows und damit höheren Renditen für die Aktionäre führt. Vorreiter dieser Methode in Brasilien war Ambev, ein riesiger Getränkehersteller, der als eines der effizientesten Unternehmen der Welt gilt. Seither hat sich diese Methode weit verbreitet.
Besonders erfreulich finden wir, dass dieser Ansatz zur effizienten Kapitalallokation aus einem Schwellenland selbst stammt und die brasilianischen Unternehmen sich nicht damit begnügen, lediglich weltweit anerkannte Managementprinzipien zu übernehmen und umzusetzen. Diese Budgetierungsmethode passt zu unserer Einstellung, dass Unternehmen Kapital als Mangelware betrachten sollten, und nur die besten Anlagemöglichkeiten verfolgt werden sollten. Die übrigen Gelder sollten an die Aktionäre ausgeschüttet werden – vor allem, da es letzten Endes das Kapital der Anleger ist.
Die Balance zwischen Protektionismus und Effizienz
Trotz der harten Zeiten in der Vergangenheit bleibt die Effizienz von brasilianischen Unternehmen ein Rätsel in Anbetracht der Tatsache, dass Brasilien nach wie vor Protektionismus betreibt. Viele Branchen, wie zum Beispiel Landwirtschaft, Stahlherstellung und der Automobilsektor, werden durch Strafzölle auf importierte Waren geschützt, was die Bedrohung der lokalen Hersteller durch billige Importe reduziert. Wir sind nicht gegen alle protektionistischen Massnahmen – sie können durchaus wirksame Instrumente sein, um die Wirtschaft in ihrer Entwicklungs- und Wachstumsphase zu schützen. Protektionismus über einen längeren Zeitraum verringert jedoch die Effizienz der einheimischen Hersteller, da sie in einem künstlichen Umfeld ohne Wettbewerb operieren – dabei sei nur an die Methoden in der europäischen Landwirtschaft erinnert.
Es ist jedoch ermutigend zu beobachten, dass viele brasilianische Unternehmen mittlerweile erkannt haben, dass sie sich an ihren internationalen Wettbewerbern messen müssen, um langfristig effizient zu bleiben. Warum tun sie das? Auch wenn es in Brasilien weiterhin Protektionismus gibt, sind die Massnahmen längst nicht mehr so streng wie in der Vergangenheit, und die Erkenntnis scheint sich durchzusetzen, dass sie nicht ewig andauern werden.
Allmähliche Öffnung der brasilianischen Wirtschaft
Die Unternehmen können sich auf die allmähliche Öffnung der brasilianischen Wirtschaft vorbereiten, indem sie ihren Wettbewerbsvorteil schärfen: Zum Beispiel die Effizienz bei der Herstellung, wie es der Autoteilehersteller Autometal tut, das Vertriebsnetz wie die Drogeriemarktkette Drogasil, Innovationen wie der Softwareentwickler Totvs, den wir später genauer betrachten werden, oder die Markenbildung, wie Cremer, ein Lieferant im Gesundheitswesen, und der Schuhersteller Alpargatas demonstrieren. All diese Unternehmen haben erkannt, dass ausländische Wettbewerber mit Brasilien als Exportmarkt liebäugeln und dass eine noch so kleine Veränderung bei den Zollbestimmungen zu weitaus mehr Wettbewerb am Markt führen könnte. Dementsprechend ergreifen sie Massnahmen, um sich selbst unverwechselbar zu machen und auf einem grösseren Spielfeld mithalten zu können.
Aus diesen Gründen ist für uns Brasilien schon seit der Auflegung des M&G Global Emerging Markets Fund im Februar 2009 attraktiv. Als fundamentale Investoren mit einem langfristigen Anlagehorizont ist es für uns entscheidend, Unternehmen mit einer guten Kapitaldisziplin zu finden, denen wir vertrauen können, dass sie das Kapital der Anleger umsichtig einsetzen und einen Mehrwert schaffen. Brasilien beheimatet unserer Meinung nach einige der am besten geführten Unternehmen im Anlageuniversum der Schwellenländer. Wir gehen davon aus, dass diese innovativen, gut geführten Unternehmen das dynamische Wirtschaftswachstumspotenzial in Brasilien zu ihren Gunsten nutzen und langfristig für die Aktionäre hervorragende Erträge erzielen sollten.
Totvs im Fokus: Ein Weltklasse-Unternehmen
Totvs ist ein innovatives Softwareunternehmen, das Instrumente zur Unternehmensressourcenplanung, dem Enterprise Resource Planning oder ERP, für viele Branchen und Unternehmen in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern entwickelt. ERP-Systeme automatisieren und verbessern den Informationsfluss in und um ein Unternehmen. Totvs nutzt seine umfangreichen Erfahrungen in verschiedenen Branchen, um seine Angebotspalette auf die Kundenbedürfnisse zuzuschneiden, was eine angesehenen Marke, eine starke Marktposition und hohe Erträge zur Folge hat. Darüber hinaus profitiert Totvs von der Tatsache, dass immer mehr brasilianische Unternehmen zur Effizienzsteigerung ERP-Systeme einführen, um ihre Geschäftsaktivitäten besser steuern zu können. Totvs ist ein Weltklasse-Unternehmen aus den Schwellenländern, das mit seinen beträchtlich grösseren internationalen Mitbewerbern wie SAP und Oracle mithalten kann.» (M&G/mc)