REYL Market Insight: Verbriefung – vom technischen Instrument zur strategischen Lösung:

Zürich – Private Anleiheemissionen waren lange nur wenigen Grossunternehmen vorbehalten. Heute spielen sie eine immer wichtigere Rolle bei der Finanzierung der Schweizer Wirtschaftsgefüge. Die Suche nach Alternativen zu den traditionellen Bankkanälen, die zunehmende Raffinesse der Anleger und ein anspruchsvolleres regulatorisches Umfeld haben dazu geführt, dass sich diese Finanzierungsmethode allmählich als eigenständige Infrastruktur etabliert – flexibel, ohne Zwischenhändler und auf dem Weg zum neuen Standard.
Von Tatiana Carruzzo, Head of Asset Services bei REYL Intesa Sanpaolo
Die Schweiz bietet einen besonders fruchtbaren Boden für diese Entwicklung. Ende 2024 lag die private Verschuldung bei 165% des BIP, während die öffentliche Verschuldung rund 32% betrug, was den massiven Rückgriff auf Finanzierungen ausserhalb des regulierten Marktes verdeutlicht. Im Jahr 2023 verzeichnete die Schweizer Börse 436 Neuemissionen von Anleihen, die meisten davon in Schweizer Franken, was einem Gesamtvolumen von 116 Mrd. CHF entspricht – das zweite Jahr in Folge über der 100-Milliarden-Marke.
Regulatorischer Rahmen und finanzielle Abwägungen
Das regulatorische Umfeld fungiert als Katalysator. Mit der Verabschiedung von Basel III werden ungenutzte Kreditlinien – die zuvor nicht sehr restriktiv waren – für die Banken teurer, da sie auch für nicht in Anspruch genommene Zusagen Kapital binden müssen. Dadurch sinkt die Nachfrage nach revolvierenden Kreditlinien, und die Emittenten könnten sich an die privaten Märkte wenden, um eine dauerhaftere, an ihren Bedarf angepasste Finanzierung zu erhalten.
Private Anleiheemissionen bieten hier wertvolle Flexibilität. Der Emittent kann die Laufzeit, die Zahlungshäufigkeit, die Währung und die Form der Verzinsung an seine Einschränkungen anpassen. Er kann die Anleihe je nach Anlegertyp auch in verschiedene Tranchen aufteilen.
Die strategische Rolle der Zahlstelle
Diese Flexibilität setzt eine solide operative Infrastruktur voraus. Die Rolle der Zahlstelle wird daher strategisch. Neben der einfachen Verteilung der Zahlungen steuert sie den Lebenszyklus der Anleihe, sorgt für die Einhaltung der Verträge, überwacht die Berechnungs- und Verteilungsmechanismen und fungiert als neutrale Drittpartei zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern.
Die Zahlstelle ist bei der Emission von Anleihen obligatorisch: Sie ist das operative Bindeglied zwischen dem Unternehmen, das die Anleihe ausgibt, und der zentralen Verwahrstelle, die für die Führung des Registers und die Abrechnung der Wertpapiere zuständig ist. Sie gewährleistet, dass die Transaktionen vom Primärmarkt bis hin zu den Abläufen nach der Emission flüssig, sicher und ordnungsgemäss erfolgen.
Diese Funktion ist für die Vertrauensbildung unerlässlich: Die Zahlstelle verleiht der Transaktion Glaubwürdigkeit, fördert die Beteiligung institutioneller Anleger, stellt die Rückverfolgbarkeit der Gelder sicher und ermöglicht die kontinuierliche Überwachung während des gesamten Produktlebenszyklus unter Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften.
Meines Erachtens wird die Rolle der Zahlstelle oft verkannt, obwohl sie für den reibungslosen Ablauf einer Emission absolut zentral ist: Sie sorgt für die Koordinierung zwischen allen Dienstleistern und nutzt ihr Netzwerk zur Unterstützung der ausstellenden Unternehmen. Die Fülle der unterstützten Projekte spiegelt ausserdem den Reichtum des Schweizer Wirtschaftslandschaft wider.
Verbriefung und Zukunftsperspektiven
Bei der Verbriefung werden Vermögenswerte wie private Anleihen in Finanztitel umgewandelt, die auf einem privaten oder organisierten Markt gehandelt werden können. So kann eine Transaktion rechtlich und finanziell um einen bestimmten Vermögenswert herum strukturiert werden, damit dieser liquide und übertragbar ist.
Neben ihrem operativen Wert hat die Verbriefung auch einen entscheidenden vermögensrechtlichen Wert. Sie ermöglicht es, einen Vermögenswert zu erkennen und zu schützen. Traditionell wird ein nicht in der Schweiz börsennotierter Anteilseigner in einem internen Register geführt, das oft nicht durchsetzbar ist. Wenn jedoch ein Vermögenswert in eine verbriefte Struktur – eine mit einem wirtschaftlichen Recht verbundene Verpflichtung – eingebunden wird, profitiert er von einem dokumentierten und rechtssicheren Rahmen.
Mit der Verbriefung werden auch die Grenzen der Tokenisierung überwunden. Während die Tokenisierung Rückverfolgbarkeit und Zugänglichkeit verspricht, ist sie noch immer mit einem fragmentierten regulatorischen Umfeld und technischen Risiken konfrontiert. Die Verbriefung hingegen basiert auf anerkannten und transparenten Strukturen und bietet Rechtssicherheit und Anlegerschutz. (Reyl/mc/hfu)