SGKB Investment Views: Ungleichgewicht im Arbeitsmarkt und seine Folgen

SGKB Investment Views: Ungleichgewicht im Arbeitsmarkt und seine Folgen
Thomas Stucki, Chief Investment Officer bei der St.Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)

In den USA waren Ende Juli fast 11 Millionen offene Stellen ausgeschrieben. Gleichzeitig wurden in der Arbeitslosenstatistik knapp 9 Mio Personen als stellensuchend geführt. Dass es in den USA mehr offene Stellen als Stellensuchende gibt ist selten. Zwar war dies auch 2018/2019 der Fall, damals aber nach einer zehnjährigen Wachstumsphase und bei einer rekordtiefen Arbeitslosenrate. Zudem war die Zahl der offenen Stellen mit gut 7 Mio deutlich geringer als heute. In der Schweiz stehen 58’000 offene Stellen 133’000 Stellensuchenden gegenüber. Die Richtung, wie sich die Kurven bewegen, ist ähnlich wie in den USA.

Über die Ursachen dieses Ungleichgewichts gibt es in den USA verschiedene, meistens parteiideologische Meinungen. Eine davon ist, dass die Leute gar nicht arbeiten wollen, da sie mit der zusätzlichen Arbeitslosenentschädigung des Corona-Hilfspakets ein höheres Einkommen erzielen als mit einem Billig-Job. Im anderen politischen Spektrum wird dargelegt, dass mangels Sozialbetreuung die Mütter nicht arbeiten können, solange die Schulen geschlossen sind oder dass die Leute mangels Schutz Angst haben, sich am Arbeitsplatz mit Corona anzustecken.

Beschleunigter Strukturwandel
Das mag alles zutreffen, erklärt aber nicht den starken Anstieg der offenen Stellen. Der aus meiner Sicht wichtigste Faktor ist der Strukturwandel in der Wirtschaft, der durch den Einbruch der Weltwirtschaft ausgelöst wurde. Einige Branchen profitieren von einer steigenden Nachfrage während andere Geschäftsmodelle deutlich weniger gefragt sind. Ein weiterer Grund dürften die nach wie vor anhaltenden Probleme bei den globalen Lieferketten sein, die die Unternehmen und Konsumenten auf andere, meist lokalere Anbieter ausweichen lässt. Für die Ausweitung der Kapazitäten fehlen diesen aber die notwendigen Fachkräfte.

Den verfügbaren Personen fehlt die nötige Ausbildung, sie leben am falschen Ort oder sie haben andere Vorstellungen davon, welcher Tätigkeit sie nachgehen wollen. Dieses Ungleichgewicht wird kleiner werden, da sich die Leute und die
Unternehmen anpassen. Dieser Anpassungsprozess wird aber länger dauern.

Gemischte Botschaften für die Finanzmärket
Da stellt sich die Frage, was dieser Zustand für die Wirtschaft und die Finanzmärkte bedeutet. Zum einen werden die Löhne steigen, wie dies anekdotisch schon aus dem Gesundheitswesen zu hören ist. Höhere Löhne werden dazu führen, dass der momentane Inflationsschub doch nicht so temporär ist, wie es auch die Fed sieht. In der Folge steigen die Zinsen stärker als erwartet. Zudem sehen sich die Firmen mit höheren Kosten und tieferen Margen konfrontiert, was wiederum die Kurse ihrer Aktien unter Druck bringt. Von dieser Konstellation werden die verschiedenen Sektoren und Firmen jedoch unterschiedlich betroffen sein, weshalb sich der Aktienmarkt als Ganzes trotzdem gut halten kann. Die hohe Zahl an offenen Stellen zeigt aber auch, dass das Potenzial der Wirtschaft noch gross ist. Die Unternehmen werden versuchen, den Fachkräftemangel durch eine höhere Produktivität zu bewältigen, was sich wiederum positiv auf das Potenzialwachstum auswirken wird. Davon profitieren die Gewinne der Unternehmen und ihre Aktienkurse.

Der durch die Corona-Rezession ausgelöste oder zumindest beschleunigte Strukturwandel wird kurzfristig zu höheren Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung und an den Finanzmärkten führen. Mittel- und langfristig ist er jedoch ein wichtiger Treiber für höhere Aktienmärkte. Darauf haben sich die Anlegerinnen und Anleger auszurichten. Ein gutes Mittel dazu ist ein breit diversifiziertes Aktienportfolio, dass so gross sein darf, dass man kurzfristige Schwankungen auch mal getrost aussitzen kann. (SGKB/mc/pg)

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