China verteidigt Militäreinsatz zum Tiananmen-Massaker

China verteidigt Militäreinsatz zum Tiananmen-Massaker
Aufnahme des legendären "Tank Man" am 5. Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking, einen Tag nach dem gleichnamigen Massaker. (Foto: Jeff Widener)

Peking – Zum 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers hat Chinas Regierung die Niederschlagung der Demokratiebewegung verteidigt. Das Aussenministerium in Peking wies auch Kritik an der Menschenrechtslage durch die USA und die Europäische Union scharf als «Einmischung in innere Angelegenheiten» zurück. Während in China jedes öffentliche Gedenken an die Opfer des blutigen Militäreinsatzes in der Nacht zum 4. Juni 1989 im Keim erstickt wurde, strömten in Hongkong am Dienstagabend viele Tausend Menschen zu einer Kerzenandacht zusammen.

«Was die politischen Unruhen Ende der 80er Jahre angeht, hat die chinesische Regierung schon vor langer Zeit klare Schlüsse gezogen», sagte Aussenamtssprecher Geng Shuang. Chinas Erfolge zeigten, dass der gewählte Pfad der Entwicklung «völlig korrekt» sei. Kritik von US-Aussenminister Mike Pompeo, der die Opfer gewürdigt hatte, wies der Sprecher als «boshaften Angriff» auf Chinas politisches System zurück. «Diese idiotischen und geschwafelten Worte sind dazu bestimmt, in den Mülleimer der Geschichte geworfen zu werden.»

Mindestens Hunderte Menschen getötet
Hunderttausende Menschen hatten im Frühjahr 1989 wochenlang für Demokratie, Freiheit und den Kampf gegen Korruption demonstriert. Auf dem Tian’anmen-Platz traten Studenten in den Hungerstreik, während ein Machtkampf die Führung lähmte. Der reformerische Parteichef Zhao Ziyang hegte Sympathien für die Studenten, doch setzten sich am Ende die Hardliner und der «starke Mann» Deng Xiaoping durch, der die Truppen rief. Mindestens Hunderte Menschen kamen ums Leben. Die genaue Zahl ist unbekannt. Tausende wurden verletzt und inhaftiert.

US-Aussenminister Pompeo sagte, die USA hätten in den Jahrzehnten nach dem Massaker gehofft, «dass Chinas Integration in das internationale System zu einer offeneren, toleranteren Gesellschaft führen würde.» Diese Hoffnungen hätten sich aber zerschlagen. Er hob die Opfer hervor: «Ihr heldenhafter Mut hat als Inspiration für künftige Generationen gedient, die auf der ganzen Welt Freiheit und Demokratie forderten, angefangen mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus in Osteuropa in den darauf folgenden Monaten.»

Die EU-Aussenbeauftragte Frederica Mogherini forderte eine offene Aufarbeitung des Blutvergiessens. «Die Europäische Union trauert weiter um die Opfer und spricht den Familien ihr Beileid aus.» Die Ereignisse damals anzuerkennen und die Toten, Festgenommenen und Vermissten im Zusammenhang mit den Protesten offenzulegen, «ist wichtig für künftige Generationen und das kollektive Gedächtnis». Sie kritisierte die anhaltende Unterdrückung der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Politische Gefangene sollten freigelassen werden.

Grosses Sicherheitsaufgebot rund um den Tiananmen-Platz
Ein grosses Aufgebot an Sicherheitskräften in Uniform und Zivil am Platz des Himmlischen Friedens (Tian’anmen) sollte jede Aktion zum Gedenken an die Opfer verhindern. Polizisten kontrollierten Autos auf der Strasse. Auf dem Fussweg mussten sich Passanten ausweisen. Mannschaftswagen sowie öffentliche Busse standen bereit. Lange Schlangen von Besuchern standen an den Sicherheitskontrollen zum Platz, der aber wie üblich von Touristen bevölkert war.

Nur in Hongkong kann jedes Jahr mit einer Kerzenandacht an die Opfer gedacht werden. Die Bewohner der Sonderverwaltungsregion Chinas geniessen grössere Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik. Seit der Rückgabe 1997 wird die frühere britische Kronkolonie autonom regiert. Seit der Ruf nach Demokratie in Hongkong aber auch in Hongkong lauter wird, verstärkt Peking den Griff zunehmend.

Vor dem Jahrestag waren in China Aktivisten und Angehörige der Opfer festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder zwangsweise «in die Ferien» aus Peking weggebracht worden. Die «Mütter von Tian’anmen», ein Netzwerk der Familien der Opfer, forderten eine ehrliche Aufarbeitung des Militäreinsatzes, eine Liste der Getöteten, Entschädigung für Familien und die Bestrafung der Verantwortlichen. «Wie können diese zahlreichen Mörder am Ende dem Urteil der Geschichte entkommen?», hiess es in einem offenen Brief.

«Beschwichtigungspolitik»
Der damalige Studentenführer Wu’er Kaixi, der heute im Exil im demokratischen Taiwan lebt, forderte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Taipeh internationale Sanktionen gegen Chinas Führungselite. Mit der wachsenden Bedrohung durch das diktatorische System in China für die Welt seien alle Staaten gefordert. Wie einst gegenüber Nazi-Deutschland halte sich die internationale Gemeinschaft aber heute auch gegenüber Peking zurück, beklagte Wu’er Kaixi. «Machen wir uns nichts vor: Es ist Beschwichtigungspolitik.»

In der Vergangenheit hätten die demokratischen Kräfte im Exil vom Westen nur Unterstützung gefordert, während sie sich selbst um die Demokratisierung in China kümmern wollten. «Heute, so muss ich sagen, hat sich das Spiel geändert», sagte Wu’er Kaixi. In der globalisierten Welt müsse jeder Verantwortung übernehmen, um China demokratisch und frei zu machen. «Es geht um unser aller Zukunft.»

Die Welt hat laut Wu’er Kaixi zugelassen, dass Chinas Führung ihr eigenes Volk unterdrücke. Genauso werde toleriert, wie Peking eine grosse Firewall im Internet betreibe, um seine Onlineriesen zu fördern, die dann auf dem freien Weltmarkt als starke Konkurrenz anträten. Auch nutze China die Welthandelsorganisation (WTO) aus, um Marktzugang zu bekommen, ohne seine eigenen WTO-Verpflichtungen zu erfüllen.

«Es ist empörend. Aber wo ist die Empörung?»
Der Studentenführer schlug vor, Sanktionen gegen 200 bis 300 mächtige Familien der Führungsclique Chinas zu verhängen. «Friert ihr Vermögen im Ausland ein, verwehrt ihnen die Visa, hebt ihren Einwanderungsstatus auf», forderte der Aktivist. «Wenn sie eine Million Uiguren in Konzentrationslagern festhalten, ist alles gerechtfertigt», sagte Wu’er Kaixi, der selbst der in Xinjiang im Nordwesten Chinas beheimateten muslimischen Minderheit angehört.

«Es ist empörend. Aber wo ist die Empörung?», sagte der Aktivist. Er kritisierte, dass sich die westliche und auch die muslimische Welt mit Kritik an der Unterdrückung der Uiguren zurückhalte. Chinas Regierung bestreitet die Existenz der Lager nicht, spricht aber von Zentren zur Ausbildung und Umerziehung gegen Extremismus. (awp/mc/ps)

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