Nach Feuerpause wieder heftige Kämpfe im Gazastreifen

Nach Feuerpause wieder heftige Kämpfe im Gazastreifen

Tel Aviv / Gaza – Nach einwöchiger Waffenruhe ist der Krieg im Gazastreifen mit voller Wucht zurück. Israels Armee nahm am Freitag die Kämpfe gegen die islamistische Hamas wieder auf und griff binnen weniger Stunden mehr als 200 Ziele im Norden und im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens an.

Aus dem Gazastreifen wurden Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert. Bemühungen um eine Verlängerung der Feuerpause und weitere Geiselfreilassungen waren zuvor gescheitert.

Nach Angaben von Vermittler Katar wurde aber zumindest weiter verhandelt, um die Kämpfe erneut auszusetzen. Darauf drangen auch die Vereinten Nationen und Bundesaussenministerin Annalena Baerbock.

Unabhängig vom aktuellen Kriegsgeschehen sorgte die «New York Times» für Aufsehen mit einem Bericht, dass Israel schon etwa ein Jahr vor dem blutigen Angriff der Hamas vom 7. Oktober Hinweise auf genau solche Pläne hatte. Demnach gab es einen Austausch israelischer Behörden zu einem 40 Seiten langen Dokument mit dem Codenamen «Jericho-Mauer», das einen Gefechtsplan der Hamas skizzierte. Er sei letztlich von Experten als zu anspruchsvoll für die Hamas in der Ausführung abgetan worden.

Der Hamas-Angriff auf Israel mit etwa 1200 Toten und Dutzenden verschleppten Geiseln war Anlass der israelischen Offensive im Gazastreifen. Vor einer Woche hatten Israel und die Hamas unter Vermittlung Katars, Ägyptens und der USA erstmals eine Feuerpause vereinbart, die zwei Mal kurz verlängert wurde. In der Zeit liess die Hamas 105 Geiseln frei, und Israel im Gegenzug 240 palästinensische Häftlinge.

Zudem gelangten tonnenweise Hilfsgüter in den Gazastreifen für die rund zwei Millionen palästinensischen Zivilisten. Der Palästinensische Rote Halbmond sprach von 1000 Lastwagen mit Hilfsgütern, davon 310 für den Norden des abgeriegelten Gebiets.

Konfliktparteien geben sich gegenseitig die Schuld
Eine weitere Verlängerung der Vereinbarung gelang in der Nacht zum Freitag nicht mehr. Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf der Hamas vor: «Sie ist ihrer Verpflichtung, alle weiblichen Geiseln freizulassen, heute nicht nachgekommen und hat Raketen auf israelische Bürger abgefeuert.» Bei dem Beschuss aus dem Gazastreifen wurden nach israelischen Medienberichten in einem israelischen Grenzort fünf Soldaten verletzt.

Der Hamas-Funktionär Chalil Al-Haja sagte seinerseits dem arabischen TV-Sender Al-Dschasira, Israel habe «mehrere Angebote, Initiativen und Vorschläge» für eine Verlängerung der Feuerpause abgelehnt. Nach Fristablauf um 6.00 Uhr am Freitagmorgen griffen israelische Kampfjets nach Armeeangaben dann erneut Ziele der Hamas an.

Hamas meldet Dutzende Tote
Israels Armee zog nachmittags eine erst Bilanz und sprach von 200 Zielen der Boden-, Luft- und Seestreitkräfte. Nach Angaben der Armee soll auf Gebiete gezielt worden sein, die mit Sprengstofffallen versehen waren, sowie auf Schächte von Tunneln, Abschussrampen und operative Kommandozentralen. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen. Das gilt auch für Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen, wonach bei den Angriffen 109 Menschen getötet worden sein sollen. Hunderte weitere seien verletzt worden, teilte ein Sprecher mit.

Seit Auslaufen der Feuerpause im Gaza-Krieg kamen offiziellen Angaben zufolge keine Hilfslieferungen mehr über den ägyptischen Grenzübergang Rafah im Gazastreifen angekommen. Das bestätigte der Sprecher des Grenzübergangs der Deutschen Presse-Agentur. Das UN-Nothilfebüro OCHA forderte freien Zugang für weitere Hilfskonvois. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef verurteilte die neuen Kämpfe scharf und sprach von der Gefahr eines Blutbads.

UN-Generalsekretär António Guterres schrieb auf der Plattform X, früher Twitter: «Ich hoffe immer noch, dass es möglich wird, die Pause, die eingerichtet worden war, zu erneuern.» Auch Baerbock sagte in Berlin: «In diesen Minuten müssen wir alles dafür tun, dass die humanitäre Feuerpause fortgeführt wird.» Das Leid sei für die Menschen in Israel wie für die Menschen in Gaza unerträglich.

Mahnungen der USA an Israel
US-Aussenminister Antony Blinken hatte am Vortag Israels Führung mit deutlichen Worten aufgefordert, Zivilisten im Gazastreifen zu schützen. Die zahlreichen Todesopfer unter der Zivilbevölkerung und die Vertreibung in einem Ausmass, wie man sie im nördlichen Gazastreifen gesehen habe, dürfe sich im Süden nicht wiederholen, mahnte er.

Die israelische Regierungssprecherin Tal Heinrich sagte dem Fernsehsender CNN am Freitagmorgen, man habe Blinken Pläne für sichere Zonen und mehr humanitäre Korridore vorgelegt: «Wir wollen also das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza lindern.» Israels Armee veröffentlichte nach eigenen Angaben eine interaktive Karte für die Zivilbevölkerung, die das Gebiet in nummerierte Zonen einteilt – «in Vorbereitung auf die nächste Phase des Krieges», wie es hiess. Dies solle Bewohnern ermöglichen, «sich zu orientieren, die Anweisungen zu verstehen und sich bei Bedarf von bestimmten Orten aus in Sicherheit zu bringen».

Israel: Noch 137 Geiseln im Gazastreifen
Die Hamas schrieb der internationalen Gemeinschaft und insbesondere den USA die Verantwortung für «die Fortsetzung des brutalen Krieges gegen Zivilisten, Kinder und Frauen» zu. Das palästinensische Volk habe «das Recht, sich mit allen Mitteln zu verteidigen», hiess es in einer Erklärung. Die israelische Regierung bekräftigte ihrerseits das Ziel, die Hamas zu zerstören.

Israel vermutet, dass noch 137 Geiseln im Gazastreifen festgehalten werden, darunter 115 Männer, 20 Frauen und zwei Kinder. In der letzten Phase der Feuerpause waren am Donnerstag acht Geiseln freigekommen. (awp/mc/pg)

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