Dammexplosion: Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig

Dammexplosion: Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig

Kiew – Die Ukraine wird sich laut Präsident Wolodymyr Selenskyj auch durch die Explosion des Staudamms am Dnipro im Süden des Landes nicht an der Rückeroberung besetzter Gebiete hindern lassen. «Die von russischen Terroristen verursachte Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowska wird die Ukraine und die Ukrainer nicht aufhalten», sagte Selenskyj am Dienstag in seiner abendlichen Videobotschaft.

Selenskyj: Russland wird nur höheren Preis zahlen
Nach Darstellung Selenskyjs diente die Sprengung des Staudamms dazu, die ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. «Wir werden trotzdem unser gesamtes Land befreien», kündigte er an. Solche Attacken könnten Russlands Niederlage nicht verhindern, sondern führten nur dazu, dass Moskau am Ende einen höheren Schadenersatz zahlen müsse. Der ukrainische Generalstaatsanwalt habe sich bereits an den Internationalen Strafgerichtshof mit der Bitte um eine Untersuchung der Explosion gewandt.

Den Menschen in der Region sagte Selenskyj derweil Hilfe zu. Die Regierung tue alles, um Hochwasseropfer zu retten und die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, warf Russland ein «beispielloses Kriegsverbrechen» vor.

Kiew und Moskau schieben sich vor UN-Sicherheitsrat Schuld zu
Vor dem UN-Sicherheitsrat in New York wiesen sich Kiew und Moskau gegenseitig die Schuld für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms zu. Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kislizia sprach am Dienstag bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung von einem «Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus». Die Sprengung sei «ein weiteres Beispiel für den Völkermord Russlands an den Ukrainern.» Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte dagegen, dass der Vorfall auf «vorsätzliche Sabotage Kiews» zurückzuführen und wie ein Kriegsverbrechen einzuordnen sei. Der Staudamm sei für ein «unvorstellbares Verbrechen» benutzt worden.

Moskau wirft Kiew Terroranschlag gegen Zivilisten vor
Kurz vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrat hatte bereits das russische Aussenministerium die Ukraine beschuldigt, den Kachowka-Staudamm zerstört zu haben und seinerseits von Terrorismus gesprochen. «Der Vorfall ist ein Terroranschlag, der sich gegen zutiefst zivile Infrastruktur richtet», heisst es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung der Behörde. Russland habe die Sitzung des UN-Sicherheitsrats initiiert, um die von Kiew ausgelöste grosse «humanitäre und ökologische Katastrophe» zu verurteilen.

Laut dem Aussenministerium in Moskau handelt es sich um eine geplante und gezielte Aktion des ukrainischen Militärs im Rahmen der eigenen Gegenoffensive. Kiew habe den Staudamm nicht nur beschossen, sondern den Wasserstand durch die vorherige Öffnung einer Schleuse am Oberlauf des Dnipro auf ein kritisches Niveau angehoben. Durch den Dammbruch würden die Landwirtschaft und das Ökosystem der Region Cherson geschädigt und die Wasserversorgung der Krim beeinträchtigt.

Die 2014 von Russland annektierte Krim erhält Wasser aus dem Dnipro über einen Kanal. Wurde dieser nach 2014 zwischenzeitlich trockengelegt, so hat Russland nach der Besetzung des Kachowka-Staudamms auch den Kanal Richtung Krim für die Bewässerung der Halbinsel wieder geöffnet.

Selenskyj wiederum präsentierte in seiner Videobotschaft eine Begründung dafür, warum Russland die von ihr kontrollierte Halbinsel Krim mit solch einer Sprengung von der Wasserversorgung abschneide. Moskau hat sich seinen Angaben nach bereits darauf eingestellt, die seit 2014 annektierte Krim zu verlieren.

Ministerium: Felder könnten nach Staudamm-Zerstörung Wüsten werden
Nach der Explosion des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine rechnet das ukrainische Agrarministerium ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium am Dienstagabend auf seiner Webseite mit. Detaillierte Informationen sollen demnach in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden, wenn sich das Ministerium ein genaues Bild von der Lage gemacht habe.

Zudem werde «die von Menschen verursachte Katastrophe die Wasserversorgung von 31 Feldbewässerungssystemen in den Regionen Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja zum Erliegen bringen», so das Ministerium. «Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka wird dazu führen, dass sich die Felder im Süden der Ukraine bereits im nächsten Jahr in Wüsten verwandeln könnten», hiess es weiter.

Frankreich bietet Ukraine nach Damm-Zerstörung Hilfe an
Frankreich hat der Ukraine nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Unterstützung angeboten. «Frankreich hält sich bereit, den ukrainischen Behörden Hilfe zu leisten, um auf die Folgen der teilweisen Zerstörung des Damms zu reagieren», hiess es in einem Schreiben des französischen Aussenministeriums vom Dienstagabend. Man sei wegen der humanitären und ökologischen Auswirkungen sowie der Folgen für die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja sehr besorgt. Die Zerstörung bezeichnete Frankreich als «besonders schwere Tat». «Sie illustriert erneut die tragischen Konsequenzen eines Überfalls, für den Russland die alleinige Verantwortung trägt.»

Moskaus UN-Botschafter: Humanitäre Hilfe muss über Russland kommen
Die russische Führung will derweil nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms UN-Hilfskräfte nur dann auf das von Moskau kontrollierte Gebiet lassen, wenn sie über Russland dorthin reisen. «Sie weigern sich einfach, von der Russischen Föderation aus zu gehen», sagte der russische UN-Botschafter Nebensja vor der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Zugang sei den Hilfskräften «erlaubt, sofern sie aus dem richtigen Gebiet einreisen.» Nebensja liess zudem durchblicken, dass er eine unabhängige Untersuchung zu den Hintergründen der Zerstörung befürworten würde. (awp/mc/pg)

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