Alex Bristol, CEO Skyguide, im Interview

Alex Bristol, CEO Skyguide, im Interview
Alex Bristol, CEO Skyguide. (Foto: Skyguide)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Bristol, Skyguide hat im ersten Halbjahr knapp 557’000 Flüge nach Instrumentenflugregeln kontrolliert. Das sind zwar 6,7 Prozent mehr als im Vorjahr, aber noch immer 11,8 Prozent weniger als 2019. Lässt sich abschätzen, wann die Verkehrszahlen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau liegen werden?

Alex Bristol: Mit absoluter Sicherheit lässt sich das nicht voraussagen. Ein optimistisches Szenario von EUROCONTROL sieht 2024 vor, ein leicht konservativeres Szenario geht von 2025 aus. Was wir feststellen, ist eine starke Volatilität des Verkehrs, welche eine exakte Voraussage auch erschwert. Diese Volatilität hatten wir vor der Pandemie in dieser starken Ausprägung nicht.

Mit der Pandemie haben die Frachtflüge massiv zugenommen. Noch heute liegt dieses Segment 25 Prozent über dem Wert von 2019. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Dies hängt natürlich stark von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Sollten einzelne EU-Länder, oder auch die Schweiz, in den nächsten Monaten in eine Rezession steuern, würde dies auch Auswirkungen auf den Frachtverkehr haben. Grundsätzlich erwarte ich, dass es allmählich zu einem leichten Rückgang kommen wird.

Auch die Businessflüge liegen fast 10 Prozent über dem Niveau vor Corona. Was ist aus der vielzitierten Abkehr von Geschäftsreisen geworden?

Nun, das ist eine Frage für Unternehmen, die sich eigene Businessjets leisten können oder diese chartern. Skyguide gehört nicht dazu. Klar ist, dass nicht alle Geschäfte über Videokonferenzen getätigt werden können. Persönliche Treffen und Vertrauen sind bei gewissen Entscheidungen einfach nicht zu ersetzen. Dass ein Bedürfnis nach solchen Treffen, nach zwei Jahren Pandemie eintreten würde, war zu erwarten. Inwiefern diese 10 Prozent einen anhaltenden Trend ausmachen, lässt sich nach nur sechs Monaten noch nicht sagen.

«Die anhaltende Situation in der Ukraine, welche grosse Lufträume seit Kriegsausbruch für den Luftverkehr unbenutzbar macht, ist eine der grössten Herausforderungen.»
Alex Bristol, CEO Skyguide

Welches ist derzeit die grösste Herausforderung für das Flugverkehrsmanagement in der Schweiz und in Europa?

Einerseits sicherlich die anhaltende Situation in der Ukraine, welche grosse Lufträume seit Kriegsausbruch für den Luftverkehr unbenutzbar macht. Dann aber auch die teilweise kritische Personalsituation bei einigen europäischen Flugsicherungsorganisationen, die wiederkehrenden Fluglotsenstreiks in Frankreich und nicht zuletzt auch das Wetter.

Mit dem Virtual Centre werden die Lufträume der Flugsicherungszentren in Zürich und Genf digital zusammengelegt, aber weiter von den zwei Standorten aus betreut. Können Sie uns kurz den Hintergrund erklären, warum dieser Schritt notwendig ist?

Mit dem Virtual Centre wird Skyguide über die operationellen und technischen Möglichkeiten verfügen, um jeden Teil des Schweizer Luftraums von Genf oder Dübendorf aus so zu bewirtschaften, als hätten wir nur eine Bezirksleitstelle, was Effizienz und Redundanz bewirkt.

Wo liegen die grössten Vorteile?

Die Optimierung des Flugverkehrsmanagements und der Luftraumkonfiguration sowie die Harmonisierung und Modernisierung unserer Infrastruktur werden unsere Fähigkeit verbessern, uns rasch an die volatile Luftverkehrsnachfrage anzupassen und die Kapazität im Luftraum je nach Bedarf zu erhöhen oder zu verringern. Auch werden wir unsere Betriebskosten dank der Systemharmonisierung und des ortsunabhängigen Flugverkehrsbetriebs erheblich senken können. Und, was für uns ebenso wichtig ist, wir werden dank diesen Optimierungen dazu beitragen, die Auswirkungen des Luftverkehrs auf die Umwelt zu verringern, indem die Flugrouten verbessert und damit der Treibstoffverbrauch und die CO2-Emissionen reduziert werden.

Wo steht das Projekt heute und wann wird es abgeschlossen sein?

Wir stehen heute in der dritten und letzten Phase dieses Projektes. Skyguide hat einen bedeutenden Teil ihrer Systeme virtualisiert, was uns weltweit zu Pionieren in unserer Branche macht. In diesem Jahr arbeiten wir einen Rückstand ab, um das System zu stabilisieren, bevor wir nächstes Jahr wieder mit der Implementierung neuer Funktionen beginnen. In dieser Stabilisierungsphase ist es schwierig, ein genaues Datum für das Ende des Programms zu nennen.

Welche Bedeutung hat das Projekt im Hinblick auf die seit bald 20 Jahre laufenden Bestrebungen hinsichtlich einem Single European Sky?

Das Virtual Centre könnte in Zukunft die operationellen Probleme, die wir aufgrund der starken Fragmentierung im europäischen Netzwerk haben, entschärfen. Sollte das Schweizer Modell erfolgreich sein, wovon ich überzeugt bin, werden andere Flugsicherungsanbieter folgen. Dies würde es erlauben, über die Grenzen hinaus Lufträume zu managen, und damit den Luftraum Europas effizienter zu machen.

«Das Virtual Centre könnte in Zukunft die operationellen Probleme, die wir aufgrund der starken Fragmentierung im europäischen Netzwerk haben, entschärfen.»

Benötigt Skyguide mit Virtual Centre auch weniger Flugverkehrsleitende?

Ob wir mehr oder weniger Flugverkehrsleitende benötigen, hängt von der künftigen Nachfrage ab. Sicher ist, dass ein europäisches, virtuelles System, eine Option wäre, um das erhebliche Risiko einer langfristigen Lotsen-Knappheit zu entschärfen.

Der fehlende Flugverkehrsleiter-Nachwuchs ist immer wieder ein Thema. Wie präsentiert sich die Situation?

Wir stehen tatsächlich vor einer heiklen Situation im Hinblick auf die nächsten Jahre, vor allem in der Bezirksleitstelle in Genf. Wir stellen fest, dass es uns in der Westschweiz nicht gelingt, genügend Nachwuchs für den Lotsen-Beruf zu rekrutieren. In Zürich ist die Situation etwas entspannter, doch in den nächsten Jahren stehen einige Pensionierungen an, die wir durch Neuzugänge ausgleichen müssen.

(Foto: Skyguide)

An den Anstellungsbedingungen kann es kaum liegen – schrecken mögliche Bewerberinnen und Bewerber vor der riesigen Verantwortung zurück?

Das ist eine gute Frage. Möglicherweise. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich junge Menschen heute nicht vorstellen können, dreissig Jahre lang denselben Beruf auszuüben. Auch wir stellen fest, dass die Ansprüche der jungen Generationen an den Beruf andere sind als jene meiner Generation. Dies ist ein Thema, mit welchem wir uns seit einiger Zeit intensiv auseinandersetzen.

«Auch wir stellen fest, dass die Ansprüche der jungen Generationen an den Beruf andere sind als jene meiner Generation.»

Eine letzte Frage: Welche Rolle wird künstliche Intelligenz in der Flugverkehrskontrolle der Zukunft spielen – und wo kommt sie heute bereits zum Einsatz?

Bei uns steht die Sicherheit zuoberst, weshalb künstliche Intelligenz heute im operativen Betrieb noch nicht eingesetzt wird. Dazu ist es zu früh. Wir sind aber in diesem Bereich schon länger aktiv. Eine der KI-Initiativen, an denen sich Skyguide beteiligt, ist das Projekt AISA (AI Situational Awareness Foundation for Advancing Automation) SESAR Exploratory Research im Rahmen des EU-Programms Horizons 2020. Das Projektziel von AISA ist einfach und basiert darauf, dass eine Voraussetzung für die Umsetzung fortschrittlicher Automatisierungskonzepte darin besteht, dass künstliche Intelligenz und Menschen dasselbe Situationsbewusstsein teilen. Das Projekt sieht vor, ein intelligentes KI-gesteuertes, situationsbewusstes System anstelle von isolierten Werkzeugen wie Konflikterkennungs- oder Koordinierungssystemen zu entwickeln.

Herr Bristol, wir bedanken uns für das Interview.

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