Daniela Maag, Leiterin Strategie und Innovation, Helvetia Versicherungen, im Interview

Daniela Maag, Leiterin Strategie und Innovation, Helvetia Versicherungen, im Interview
Daniela Maag, Leiterin Strategie und Innovation Helvetia Versicherungen (Bild: Helvetia)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Frau Maag, Sie sind die Leiterin Strategie und Innovation bei Helvetia Versicherungen Schweiz. Was waren in seit Januar 2016 die bedeutendsten Projekte, die Sie angestossen oder durchgeführt haben?

Daniela Maag: Wir haben im Frühjahr 2016 die Erarbeitung der Strategie helvetia 20.20 für den Ländermarkt erfolgreich abgeschlossen und sind in die Strategieumsetzung übergegangen.

Gruppenweite Innovation ist ein Kernthema von helvetia 20.20. Ein Fokus hierbei liegt auf der konkreten Erarbeitung und Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen. Dies bedeutet der Frage nachzugehen, wie ein Unternehmen für seine Kunden Mehrwert erzeugen und damit neue Ertragsquellen erschliessen kann. Dieser Herausforderung stellen wir uns seit Januar 2016 mit Hochdruck und haben verschiedenste Projekte lanciert.

In Ihrer Strategie “helvetia 20.20” halten Sie fest, dass das Unternehmen kundenorientierter, innovativer, digitaler und agiler werden wird. Wie genau wollen Sie das erreichen, auf welche Technologien und Massnahmen setzen Sie?

Wir verfolgen zwei Ansätze. Zum einen investieren wir in die digitale Transformation des bisherigen Kerngeschäfts von Helvetia. Hier legen wir einen Fokus auf die digitale und personalisierte Kundeninteraktion, die intelligente Nutzung von Daten sowie die Standardisierung und Automatisierung unserer Prozesse. Zum anderen bauen wir Schnellboote über interne «Incubation», das Investieren in und Zusammenarbeiten mit interessanten Start-ups sowie das Forschen zum Thema Business Model Innovation in Ecosystems. All diese Massnahmen nützen jedoch herzlich wenig, wenn wir den Kunden in allen Aktivitäten nicht konsequent ins Zentrum stellen. Dies erreichen wir über das Leben von Human Centered Design in allen unseren Tätigkeiten.

«Wir verfolgen zwei Ansätze. Zum einen investieren wir in die digitale Transformation des bisherigen Kerngeschäfts von Helvetia. Zum anderen bauen wir Schnellboote über interne «Incubation».»
Daniela Maag, Leiterin Strategie und Innovation, Helvetia Versicherungen

Während der Bankensektor durch FinTechs schon merklich erschüttert wird, scheint bei den Versicherungen noch etwas die Ruhe vor dem Sturm zu herrschen. Welche InsurTech-Ansätze sind Ihnen besonders durch disruptives Potenzial aufgefallen?

Auch die Versicherungen spüren den Sturm schon. Vor einiger Zeit haben uns diejenigen InsurTechs, welche sich zwischen uns und unsere Kunden drängen – sogenannte digitale Vertriebs- oder Brokermodelle – Sorgen bereitet. Mittlerweile beobachten wir, dass vermehrt sogenannte Assekuradeure in den Markt drängen. Diese InsurTechs bauen eine Versicherung nach, ohne jedoch Risikoträger zu sein. Der Risikoträger ist einfach auswechselbar.

Wichtig ist mir an dieser Stelle folgendes anzumerken: Es gibt sicher disruptives Potenzial für die Branche. Wenn aber die Versicherungen mit den InsurTechs Partnerschaften eingehen, sind diese Potenziale keine Bedrohung.

Versicherungsprodukte und der Zugang und Umgang mit Kunden hat sich im Kern in den letzten Jahrzehnten kaum geändert, vor allem was den Bereich der Lebensversicherung angeht. Technische Innovationen von aussen werden oft eher zögerlich umgesetzt (Digitalisierung der Kundenbeziehung, digitale Dossiers, Robo-Advice…). Wie viel eigenes Innovationspotenzial hat die Branche?

Die Branche hat durchaus Innovationspotenzial. Wichtig ist einfach zu verstehen, dass der Kern unseres Geschäfts – das Risikomanagement – bestehen bleiben muss, damit wir auch in Zukunft eine Versicherung sein können. Entscheidend ist nun das WIE wir diese Kernlogik betreiben. Und hier steckt sehr viel eigenes Innovationspotenzial. Das reicht von der Neugestaltung der Kundeninteraktion bis hin zur völligen digitalen Transformation unserer Wertschöpfung.

«Wir beobachten, dass vermehrt sogenannte Assekuradeure in den Markt drängen. Diese InsurTechs bauen eine Versicherung nach, ohne jedoch Risikoträger zu sein.»

Helvetia ist Mitglied von Swiss Fintech Innovations (SFTI), Sie selbst sind Vorstandsmitglied. Wie kann Helvetia die Startups hier konkret unterstützen, welchen Gewinn erwarten Sie aus Ihrem Engagement?

Mit der Mitgliedschaft bei Swiss Fintech Innovations (SFTI) arbeiten wir mit Corporates und mit Start-ups gemeinsam an der Bildung eines Ecosystems rund um den Fin- und InsurTech Standort Schweiz. Die Unterstützung passiert also über das Schaffen von Netzwerken, Investitions- und Zusammenarbeitsmöglichkeiten für Start-ups. SFTI schafft für Start-ups Zugang zu potenziellen strategischen Partnern und Investoren.

Gleichzeitig profitieren wir von unserem Engagement. So erhalten wir einen direkten Zugang zu interessanten Fin- und InsurTechs, sei dies für strategische Partnerschaften und / oder direkte Investitionen. Wir sind am Puls, lernen von Start-ups, «kaufen» uns Innovation ein und entwickeln uns so stetig weiter.

«Wir glauben nicht an isolierte Aktionen und Gruppierungen sondern daran, dass wir (in der kleinen) Schweiz nur gemeinsam wirklich etwas bewegen können.»

An Initiativen, Acceleratoren, Inkubatoren, oder Events rund um das Thema Fintech fehlt es momentan nicht. Was hat Sie dazu bewogen, sich bei Swiss Fintech Innovations zu engagieren und welche Ziele haben Sie mittelfristig mit SFTI?

Swiss Fintech Innovation hat das Ziel, das Ecosystem rund im Fin- und InsurTech in der Schweiz weiter aufzubauen und zu fördern. Weiter investiert SFTI in die Förderung der Forschung in diesem Bereich. Es geht darum, zu vernetzen, zu ermöglichen, Potenziale zu erkennen und Synergien zu schaffen. Das alles hat uns dazu bewogen, Swiss Fintech Innovation zu gründen und weiter voranzutreiben. Wir glauben nicht an isolierte Aktionen und Gruppierungen sondern daran, dass wir (in der kleinen) Schweiz nur gemeinsam wirklich etwas bewegen können.

Eine der Lektionen um die Entwicklung von Twint und Paymit ist, dass die Schweiz gut daran täte, die Kräfte möglichst von Beginn weg zu bündeln und internationale Kooperationen zu suchen. Wie ist dieser Aspekt bei Swiss Fintech Innovations und auch in ihrer eigenen Strategie gewichtet?

Genau: Neben der bereits angesprochenen nationalen Vernetzung braucht es zusätzlich eine internationale Vernetzung. Auch hier verschafft SFTI der Branche ein stärkeres Gehör, denn die Kräfte werden gebündelt.

Als drittgrösster Versicherer der Schweiz hat die Helvetia einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Versicherungsszene. Wie gut ist die Position zum Thema Digitalisierung im internationalen Vergleich, wo kann die Schweiz eine führende Rolle einnehmen, wo muss sie nachbessern?

Das ist eine grosse Frage. Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz sehr generell gesprochen noch hinten her. Ich denke aber, dass der «Need for Change» in der Zwischenzeit wirklich erkannt ist und in den nächsten Jahren Einiges gehen wird.

«Entscheidend ist nicht die Digitalisierung an sich oder die Technologie dahinter, sondern die Personen die damit arbeiten.»

Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck, sondern ist ein Treiber, ein Befähiger oder ein Beeinflusser. In welchen Bereichen die Schweiz in Zukunft eine führende Rolle einnehmen wird, kann ich Ihnen nicht sagen. Entscheidend ist nicht die Digitalisierung an sich oder die Technologie dahinter, sondern die Personen die damit arbeiten. Zentral ist, wie der technische Wandel aufgenommen und akzeptiert wird. Hier eine Prognose zu machen, ist wohl eher etwas für Zukunftsforscher.

Die Blockchain böte sich als Variante zur Abbildung auch aller unterschiedlicher Versicherungsverträge an, mit ähnlichem Potenzial zur Kostensenkung und Automatisierung wie im Bankenumfeld. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier und welche konkreten Projekte verfolgt Helvetia zum Thema Blockchain?

Sie haben es richtig zusammengefasst. Die Blockchain und vor allem das Thema Smart Contracts birgt enormes Potenzial. Mit sogenannten Smart Contracts beispielsweise lassen sich jegliche Arten von Finanzvereinbarungen effizient automatisieren. Ein oft genanntes Anwendungsbeispiel, welches das Prinzip auf die Versicherungsbranche überträgt, ist eine ad-hoc-Absicherung gegen Flugverspätungen als Reiseversicherung. Möchte ein Passagier sich entsprechend absichern, zahlt er vorab eine festgelegte Prämie in einen Smart Contract ein. Ist der gebuchte Flug verspätet, lösen die Daten über die tatsächliche Ankunftszeit automatisch eine Auszahlung an den Passagier aus. Die Prozesse des Underwritings und der Schadenbearbeitung sind somit vollständig automatisiert. Voraussetzung für einen solchen Smart Contract ist, dass sich der Schadensfall an einem eindeutigen Trigger festmachen lässt.

«Die Blockchain und vor allem das Thema Smart Contracts birgt enormes Potenzial.»

Das ist aber noch Zukunftsmusik: Bis Blockchain und Smart Contracts tatsächlich alltagsrelevant werden, sind noch die eine oder andere technische und regulatorische Rahmenbedingung zu klären. Vorteile und Grenzen der Technologie müssen noch vollständig verstanden werden.

Gewisse InsurTechs setzen oft zuerst bei der Kundenbeziehung an und bieten Kunden die einfache Bündelung sämtlicher Verträge, eine Gesamtübersicht unabhängig vom Anbieter und könnten sich so als digitaler Makler etablieren. Wie sieht Ihre Strategie aus, dem entgegen zu wirken oder selbst zum InsurTech-Unternehmen zu werden?

Wir müssen als Helvetia nicht «entgegenwirken», sondern kollaborieren. Wir können viel lernen, zum Beispiel wie wir unsere Kundenschnittstelle optimieren und wie wir auch zusammen mit InsurTechs neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Zudem beobachten wir auch, dass diesen InsurTechs oft das Wissen, die Netzwerke und Kapazitäten fehlen, das Geschäft wirklich (digital) abzuwickeln. Ein Zusammenspannen lohnt sich also für beide Seiten.

Während die grossen Versicherungen vermehrt Anstrengungen in Richtung Individualprämie für möglichst risikoloses Verhalten und “gute Risiken” unternehmen (und sich so vom ursprünglichen Versicherungs-Gedanken weiter entfernen), versuchen InsurTechs den Gedanken der Gegenseitigkeit (Crowd-Insurance, P2P Insurance) wieder aufzunehmen. In welche Richtung wird sich Helvetia bewegen?

In beide! Die Kernlogik des Risikomanagements bleibt bestehen. Möchte der Kunde sein Risiko nicht in der Gemeinschaft absichern, soll ein individuelles Pricing aufgrund von Echtzeitdaten möglich sein. Fühlt sich der Kunde einem Risikokollektiv zugehörig, soll die Risikogemeinschaft Basis der Pricing-Überlegungen sein. Wir haben es vorhin auch schon angesprochen. Wir werden sehen, welche Modelle unsere Kunden am Ende auch akzeptieren, denn für das eine wie für das andere brauchen wir Daten, die unsere Kunden preisgeben müssen. Ohne Echtzeitdaten zum Fahrverhalten gibt es keine individuelle Motorfahrzeug-Prämie.

InsurTech-Unternehmen wie esurance, FinanceFox oder Knip, haben zwar den Ursprung in der Schweiz, wachsen aber oft schneller im Ausland und werden auch von ausländischen Investoren unterstützt. Welche Rahmenbedingungen sollten verbessert werden, damit Versicherungs-Startups auch in Zukunft einen möglichst grossen Mehrwert in der Schweiz generieren können?

Wir müssen mehr Verständnis für die digitale Welt von Fin- und InsurTechs schaffen und aufzeigen, dass hier ein enormes Potenzial für die Schweiz steckt. Weiter brauchen wir mutigere Investoren, die unsere und ausländische Start-ups nicht nur in der Seed-Phase, sondern auch in den nachfolgenden Schritten unterstützen. Damit Start-ups jedoch auch in der Schweiz bleiben und wachsen, brauchen wir eine Standortförderung speziell für Fin- und InsurTechs. Ich denke hier an Innovationsparks, steuerliche Massnahmen und ähnliches.

«Wir brauchen mutigere Investoren, die unsere und ausländische Start-ups nicht nur in der Seed-Phase, sondern auch in den nachfolgenden Schritten unterstützen.»

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Ich wünsche mir, dass wir es in der Schweiz schaffen – und nicht nur davon reden – unsere Finanz- und Versicherungsbranche erfolgreich in die digitale Zukunft zu führen und als Corporates mit Fin- und InsueTechs partnerschaftlich zu arbeiten.

Dann wünsche ich mir persönlich weiterhin viel Energie, um diese Entwicklungen aktiv mitzugestalten.

Das wären dann zweieinhalb Wünsche. Ich hoffe, das ist in Ordnung.


Das Interview entstand mit Unterstützung von Swiss Fintech Innovations

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