Fabian Riesen, CEO Loft Dynamics AG, im Interview
Loft Dynamics AG ist weltweit führend im Bereich Virtual Reality (VR) Flugtraining und das erste Unternehmen mit VR-Simulatoren, die sowohl von der FAA als auch von der EASA zugelassen sind. Im Interview erläutert CEO Fabian Riesen die Vorteile der Full-Motion-VR-Simulatoren gegenüber klassischen Flugsimulatoren, wie es zur Entwicklung kam, die Expansion von Helikopter- zu Fixwing-Simulatoren und warum er sich manchmal wie im Candy-Shop fühlt.
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Riesen, Loft Dynamics entwickelt Virtual-Reality-Simulatoren für das Pilotentraining. Wie verändert Virtual Reality das Pilotentraining im Vergleich zu klassischen Full-Flight-Simulatoren?
Der wesentliche technische Unterschied liegt in der Art und Weise, wie wir Immersion erzeugen, also eine umfassende, intensive und lebendige Illusion der Realität. Klassische Simulatoren arbeiten mit grossen Projektionssystemen oder Rundkuppeln und benötigen massive Motion-Plattformen, um das Sichtfeld und die Flugbewegungen abzubilden. Wir ersetzen diese komplexe Infrastruktur durch ein VR-Headset mit extrem niedriger Latenz sowie ein realistisches Cockpit auf einem kompakten Bewegungssystem. Dadurch erreichen wir dieselbe, oft sogar eine höhere Präzision bei der Bewegungsdarstellung und der Tiefenwahrnehmung, benötigen aber nur einen Bruchteil des Platzes, der Mechanik und der Kosten.
Sie wurden in einem Artikel mit den Worten zitiert, dass man, um Loft Dynamics zu verstehen, wissen müsse, was an herkömmlichen Flugsimulatoren grundlegend falsch sei. Was ist das grundlegend Falsche?
Herkömmliche Flugsimulatoren weisen einen grundlegenden Mangel auf: Wenn Sie beim Fernsehen Ihren Kopf ein wenig von links nach rechts bewegen, bleibt das Bild unverändert. In der Realität ist es jedoch anders: Bewegen Sie Ihren Kopf, sehen Sie, dass sich alles, was nicht auf derselben Entfernung ausgerichtet ist, gegeneinander bewegt. Mit einem Head-Mounted-Display können Sie hingegen durch Kopfbewegung die gesamte Umgebung dreidimensional und mit Tiefenwahrnehmung wahrnehmen.
Diese Dreidimensionalität ist beim konzentrierten Anflug auf eine Piste vielleicht nicht unbedingt nötig. Gerade im Bodenbereich, bei Loops in Militärjets oder Pinnacle-Landungen mit Hubschraubern fehlen diese Informationen jedoch. Das gesamte Visual-System dieser traditionellen Simulatoren ist schlichtweg falsch. Virtual Reality löst dieses Problem jedoch.
«Wir benötigen keine 20 Meter hohen Fabrikhallen mit einer zwei Meter dicken Betonschicht am Boden, sondern haben unsere Simulatoren in Trailer eingebaut und ermöglichen so sogar mobiles Training.»
Fabian Riesen, CEO Loft Dynamics AG
Und das System löst auch das Problem der enormen Dimensionen der herkömmlichen Simulatoren…
Genau. Unser System ist besser, kleiner und dadurch auch günstiger. Damit lösen wir gleich ein weiteres Problem: Es gibt dann nicht einen Simulator in Europa, sondern 50, die über ganz Europa verteilt sind. Das heisst, der Zugriff auf die Simulatoren ist viel einfacher. Wir benötigen keine 20 Meter hohen Fabrikhallen mit einer zwei Meter dicken Betonschicht am Boden, sondern haben unsere Simulatoren in Trailer eingebaut und ermöglichen so sogar mobiles Training.
Können Sie uns die Simulatoren näher vorstellen?
Kurz zusammengefasst: Die Simulatoren verfügen über ein virtuelles Cockpit in Originalgrösse, eine 360-Grad-Panoramaansicht, eine verifizierte Flugmodellierung sowie eine Bewegungsplattform mit sechs Freiheitsgraden – drei lineare Achsen und drei Rotationsachsen – die Flugbilder, Bewegungen und Szenarien präzise simulieren.
Ergänzt wird die Hardware durch unsere cloudbasierte Softwareplattform: Sie ermöglicht den Zugriff auf eine Vielzahl realistischer Szenarien, Landschaften und Missionen und erlaubt es, unterschiedlichste Einsatzsituationen, von komplexen Wetterbedingungen bis hin zu missionsspezifischen Trainings – wiederholt, sicher und effizient zu trainieren.



Wie reagieren Piloten, wenn Sie zum ersten Mal in einem Ihrer Simulatoren trainieren?
Am Anfang sind sie skeptisch, weil sie Virtual Reality bestimmt schon mal ausprobiert haben und dabei enttäuscht wurden, weil es an realistischer Flugphysik, präzisem Bewegungsfeedback und einer glaubwürdigen Immersion fehlte. Das ändert sich, sobald sie in unseren VR-Simulator steigen, innert Sekunden wegtauchen, weil es sich um eine komplette Immersion handelt, und dann ein System fliegen, das bis auf das letzte Bit und Byte fein eingestellt ist. Unser Produkt verkauft sich dank der Rückmeldungen der Chefpiloten, die unseren Simulator nutzen. Ob Airline-Pilot, Helikopter-Pilot oder Militärpilot, jeder sagt, dass unser Produkt das beste ist, das sie je gesehen haben, resp. geflogen sind.
«Ob Airline-Pilot, Helikopter-Pilot oder Militärpilot, jeder sagt, dass unser Produkt das beste ist, das sie je gesehen haben, resp. geflogen sind.»
Nun ist Virtual Reality ja nichts Neues. Wie ist kam es zur Entwicklung Ihrer Simulatoren?
Ich habe meine Fluglizenz im Jahr 1999 erworben. Die Simulatoren von damals haben mich eigentlich ziemlich enttäuscht. 2013 hatte ich dann die erste Oculus-VR-Brille in der Hand und war begeistert. Zusammen mit meinen Kindern habe ich im Wohnzimmer mit dieser frühen VR-Brille und einer selbstgebauten Bewegungsplattform quasi bewiesen, dass Virtual Reality und Bewegung grundsätzlich funktionieren. Später habe ich dann mit ersten Mitstreitern begonnen, das Konzept systematisch auszubauen. 2017 hatten wir einen Helikopter-Simulator fertiggestellt. Aufgrund unserer YouTube-Videos hat sich die Europäische Luftfahrtbehörde bei uns gemeldet. Hintergrund ist, dass es immer noch zu vielen Helikopter-Unfällen kommt, von denen etwa ein Drittel im Training passiert. Die EASA erkannte damals, dass wir etwas entwickelt hatten, das ein echtes Problem lösen könnte.
Das war der Durchbruch?
Zunächst mussten wir sicherstellen, dass wir den VR-Simulator in einen regulatorischen Rahmen für die Luftfahrt integrieren konnten. Dies gelang im April 2021 mit dem ersten Modell, im darauffolgenden Jahr folgte die EASA-Qualifikation für den Simulator des Helikopters Airbus H125 und zwei Jahre später auch die Qualifikation der Federal Aviation Administration (FAA) in den USA. Inzwischen nutzen alle grossen Hersteller, also Airbus, Leonardo, Bell oder Robinson, unsere Technologie.
Wie sieht es den mit der Konkurrenz aus?
Bis zur Qualifizierung wurden wir belächelt. Es gab genug White Paper, die festhielten, dass das, was wir vorhatten, nicht funktioniert. Letztlich sind wir nun der Vorreiter, und wir hätten etwas falsch gemacht, wenn wir keine Konkurrenz hätten. Es ist gut, sind wir heute nicht mehr allein. Gerade bei der Qualifizierung ist es für eine kleine Schweizer Firma ein Vorteil. Der andere Aspekt: Wir sprechen von einem Milliarden-Markt, der gross genug ist.
Wie gross ist der Vorsprung von Loft Dynamics auf diese Konkurrenten?
Unser Vorsprung liegt vor allem in der Qualifizierung. Es gibt etwa 2500 VR-Projekte, aber unseres war das erste, dass offiziell qualifiziert wurde. Die Entwicklung eines Simulators ist das eine, viel aufwändiger ist es jedoch, sicherzustellen, dass man den Simulator in einem regulatorischen Rahmen für die Luftfahrt qualifizieren kann und darauf auch Trainings durchgeführt werden können. Unser Vorteil ist, dass wir unsere Technologie von Beginn an so entwickelt haben, dass sie die höchste Einstufung direkt erfüllen konnte.
Sie wollen Ihr Konzept nun auch im Bereich der Flugzeuge, also im Fixwing-Bereich, umsetzen. Wie verändert sich da die Herangehensweise?
Der grundlegende Unterschied aus geschäftlicher Sicht der ist, dass man in der «Helikopter-Welt» die Piloten davon überzeugen muss, dass der Simulator die bessere Trainingsmethode ist als das Fliegen im echten Helikopter. In der «Flugzeug-Welt» ist die Herangehensweise eine andere: Hier muss zwingend mit dem Simulator trainiert werden, bevor man in ein Cockpit steigt. Das macht das Geschäft interessanter, da der Simulator auch genutzt werden muss.
Bauen diese Simulatoren auf der bestehenden Entwicklung auf?
Es gibt verschiedene technische Herausforderungen: Aerodynamik, Cockpit-Komplexität und das Bewegungsmodell zum Beispiel. Besonders ist jedoch: Bei grossen Airlinern fliegen immer mindestens zwei Piloten zusammen. Die VR-Simulation muss also die Steuerung, die Instrumentenanzeigen und die Reaktionen für beide Positionen simultan korrekt abbilden. «Multi-Crew» betrifft nicht nur die Softwarefrage, sondern auch das Cockpit-Design, die Bewegungsphysik, die Interaktion und die regulatorischen Nachweise.
Durch den globalen Pilotenmangel steigt der Druck auf effiziente Ausbildung. Wie können Ihre Simulatoren hier unterstützen?
Unsere VR-Simulatoren ermöglichen ein Pilotentraining, das unabhängig von den teuren, platz- und wartungsintensiven Full-Motion-Simulatoren ist. Sie sind flexibel, kostengünstig und können überall eingesetzt werden. Dadurch können Trainingskapazitäten deutlich schneller und einfacher bereitgestellt werden. Notverfahren, Crew-Interaktion und komplexe Flugmanöver lassen sich damit realistisch üben. Dadurch wird die Ausbildung effizienter, sicherer und weniger ressourcenintensiv.
Sie expandieren zunehmend in die USA und arbeiten verstärkt mit Herstellern neuer Luftfahrzeugklassen zusammen. Was sind die strategischen Prioritäten für die nächsten Jahre?
Im Moment fühlt es sich für uns an, als würde man ein Kleinkind in einen Süsswarenladen lassen und sagen: «Nimm, was du willst.» Aber wir fokussieren uns auf drei Bereiche. Wir fahren die gesamte Helikopterflotte hoch. Parallel dazu gehen wir im Bereich Fixwing voll fokussiert in den Airliner-Bereich, also die grossen Maschinen, hinein. Das ist zwar der herausforderndste Bereich, aber er bietet auch den grössten Markt, höhere Margen, globale Skalierbarkeit und unser Technologievorsprung spricht für diese Strategie. Zusätzlich wollen wir den Markt für elektrisch betriebene Flugzeuge, also eVOTL, adressieren. Auch wenn sich das im Moment noch etwas «James Bond-mässig» anhört: eVOTL werden kommen und dann ist es wichtig, genügend Simulatoren bereit zu haben.
«Alaska Airlines ist die erste Airline, die ihre Crews auf den VR-Simulatoren von Loft Dynamics ausbilden wird.»
Sie haben im August eine Finanzierung über 24 Mio. Dollar abgeschlossen. Unter anderem hat sich Alaska Airlines beteiligt. Was bedeutet dieses Engagement für Loft Dynamics?
Alaska Airlines ist hierzulande vielleicht weniger bekannt, da sie bisher nicht nach Europa geflogen ist. Sie ist jedoch eine besondere Airline, nicht nur, weil sie zu den wenigen gehört, die in den letzten Jahrzehnten nicht pleite gegangen sind. Sie ist auch sehr innovativ und war beispielsweise die erste Airline, die weltweit ein E-Ticket verkauft hat. 2003 führte sie zudem den ersten GPS-gestützten Präzisionsanflug durch. Und nun ist Alaska Airlines die erste Airline, die ihre Crews auf den VR-Simulatoren von Loft Dynamics ausbilden wird. Während des Lockdowns hat Alaska Airlines das gesamte Simulatorzentrum von Boeing in Seattle erworben. Es ist natürlich toll, wenn dieses Simulatorzentrum nun beginnt, VR-Simulatoren von uns zu kaufen.
Sind auch VR-Simulatoren im militärischen Bereich ein Thema?
Das kann durchaus sein. Wir haben auch Anfragen für Autosimulatoren. Es ist im Moment wie gesagt etwas wie im Candy Shop. Aber es ist für uns als skalierendes Startup – wir haben mittlerweile rund 100 Mitarbeitende – wichtig, den Fokus zu behalten und nicht in alle Richtungen zu gehen. Können wir alles machen? Ja. Werden wir alles machen? Nein.
Loft Dynamics sichert sich 24 Millionen US-Dollar Serie-B-Finanzierung