Janwillem Acket, Chefökonom Bank Julius Bär

Janwillem Acket, Chefökonom Bank Julius Bär

Janwillem Acket, Chefökonom Bank Julius Bär. (Foto: zvg)

von Christa Spoerle

Moneycab: Herr Acket , die Schweizer Wirtschaft wächst trotz Rezession im Euroraum, wird das bis zum Jahresende so bleiben? Wie sehen ihre Prognosen für 2013 und 2014 aus?

Janwillem Acket: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir bis zum Ende des Jahres wachsen, ist sehr gross. Unsere Wachstumsprognosen lauten auf 1,4% für 2013 und 1,6% für 2014. In den letzten anderthalb Jahren sind wir überrascht worden von der starken Inlandsnachfrage. Sie wurde vor allem ausgelöst durch das deutliche Bevölkerungswachstum mit dem Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem EU-Raum. Die robuste Konjunktur  hängt aber auch mit der Beruhigung an der Währungsfront durch die SNB seit dem 6. September 2011 zusammen, die bei Bedarf mit unbeschränkten  Eurokäufen den Mindestkurs von EUR/CHF bisher erfolgreich verteidigt.

Die grosse Bedrohung durch den Euro hat sich damit abgeschwächt, insbesondere auch seit EZB-Präsident  Mario Draghi  im Sommer 2012 seine Entschlossenheit, alles zu tun, um den Euro zu retten,  zum Ausdruck gebracht hat. Am 6 September 2012 präsentierte er das umstrittene Outright Monetary Transactions Programm (OMT), unter dem die EZB unter strengen Bedingungen unlimitiert Staatsanleihen der Euro-Zone kaufen kann. Diese Periode mit grossen Interventionen und starken Zunahmen der Währungsreserven hat die Schweiz gut überstanden. Davon konnte vor allem auch die Exportwirtschaft profitieren, die trotzdem kein einfaches Leben mit den deflationären Tendenzen in Europa und der allgemein schwachen Weltkonjunktur hat.  Statt 5-6% wächst der Welthandel mit lediglich 1,5-2,5% bisher nur schwach.

«Die Inlandnachfrage wird Hauptwachstumsträger sein.»
Janwillem Acket, Chefökonomen Bank Julius Bär

Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren für unser Wachstum?

Der Konsum ist für die Schweizer Konjunktur zum dominanten Faktor geworden, rund 60% des Bruttoinlandprodukts werden vom inländischen Konsum getragen. Er kompensiert die Schwäche der Ausrüstungsinvestitionen. Während der Bausektor durch die historisch tiefen Hypothekarzinsen ebenfalls einen positiven Beitrag leisten sollte. Allerdings hat die Zweitwohnungsinsitiative auch für zwischenzeitlich etwas hektische Baubewilligungen und somit leichte Verzerrungen bei der Bauaktivität gesorgt. Die Wohnbaunachfrage dürfte bald nicht im gleichen Tempo wie bisher weiter wachsen, aber durch Infrastrukturausgaben könnte sich der  Tiefbau auch als Wachstumsträger erweisen.

Insgesamt kann man also sagen, dass die starke inländische Nachfrage eine gewisse Schwäche im Exportbereich kompensieren kann. Der Wachstumsbeitrag des inländischen Konsums auf die erwarteten 1,4% BIP-Wachstum 2013 dürfte bei 1,3% liegen, der Nettoexportbereich nur einen leicht positiven Einfluss haben, die Ausrüstungsinvestitionen leicht bremsen, die Investitionen insgesamt neutral bleiben. 2014 ist allerdings mit Nachholbedarf bei den Investitionen zu rechnen, während die Exporte sogar einen leicht negativen Einfluss ausüben könnten. Insgesamt wird aber die Inlandnachfrage wieder Hauptwachstumsträger sein.

Welche Branchen sind bevorzugt, welche zeigen etwas Mühe?

Exporteure im Metall-, Elektronik und Maschinenbereich, aber zum Teil auch bei der Chemie und Textilindustrie dürften noch zu kämpfen haben. Luxusgüter, Nahrungs- und Genussmittel schneiden auch in schwach wachsenden Märkten  besser ab. Die Branchen, die konsumnahe auf das Inland konzentriert sind, bleiben  begünstigt. Je nach Region kämpft die Tourismusbranche ganz unterschiedlich mit der starken ausländischen Konkurrenz. Diejenigen Regionen, die auf asiatische Länder ausgerichtet sind, dürften besser abschneiden, als diejenigen, die vor allem nach Europa orientiert sind. Nicht zuletzt wegen der Wechselkurssituation. In den Messestädten Basel, Zürich, aber auch Genf, dürfte die Hotellerie dagegen gut laufen.

Haben die Banken aus der Immobilienkrise der 90er Jahre wirklich etwas gelernt? Wird der Immobilienboom bei steigenden Zinsen ein moderates Ende finden?

Ja, davon bin ich überzeugt. Die Banken haben aus der Immobilienkrise gelernt. Der Immobilienboom wird sich bei steigenden Zinsen wieder normalisieren und ein moderates Ende finden. Regional ist dieser Boom allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt, mit einigen überhitzten Zonen. Die SNB hat jetzt den antizyklischen Kapitalpuffer eingesetzt, der aber erst ab September greifen wird. Diesen kann sie noch verschärfen und damit auch das Verhalten der Banken beeinflussen.

Für die SNB bleiben Inlandbanken mit überdurchschnittlichen Hypothekarwachstumsraten im kritischen Fokus. Wichtig wird vor allem sein, dass man die, wie ich sie nenne, Grenzwohnungskäufer gut betreut. Das sind diejenigen, die sich etwas kurzfristig orientiert ausrechnen, dass günstige Hypotheken billiger sind als Mieten, aber nur über wenig Eigenmittel verfügen. Glücklicherweise simulieren die betroffenen Banken für ihre Kreditportfolien auch Szenarien mit Hypozinsen von 5% und mehr, um die Anfälligkeit  ihres Hypothekenportfolios vor Zahlungsausfällen  zu überprüfen; jede Bank geht da aber individuell etwas anders vor. Ich bin heute überzeugt, die betroffenen Banken sind sich der möglichen Probleme durchaus bewusst, zu schmerzhaft waren die Erfahrungen der 1990er Jahre.

«Die Banken sind sich der möglichen Probleme (am Immobilienmarkt) durchaus bewusst, zu schmerzhaft waren die Erfahrungen der 1990er Jahre.»

Wird die SNB den Frankenkurs weiter bei 1,20 zum Euro halten und die Wirtschaft grosszügig mit Geld versorgen wollen?

Solange wir noch eine grosse Euro-Reformbaustelle haben, wird die Schweizerische Nationalbank (SNB) an ihrer Mindestkurspolitik festhalten. Im vergangenen Mai gab es eine deutliche Entspannung mit Kursen gegen 1,27 für den Euro. Aber die Ankündigung von Fed-Chef Ben Bernanke, am 22. Mai, sich langsam von den unkonventionellen Massnahmen seiner Geldpolitik zu lösen, hat kurzfristig fast panische Reaktionen an allen Finanzmärkten ausgelöst. Er hat ein mögliches Ende des Anleihekaufprogramms “Quantitative Easing 3″ schon für Mitte 2014 ankündigt, sollten sich US-Wirtschaft und Arbeitsmarkt so entwickeln, wie das Federal Reserve Board  es erwartet. Die Folge war auch eine schnelle Korrektur des Frankens wieder näher zum  Niveau des Mindestkurses, also ein Warnschuss für die SNB.

In ihrer Halbjahres-Standortbestimmung für die Geldpolitik am 20. Juni  hat die SNB kommentiert, dass bis 2016 keine Teuerungsgefahren zu erwarten sind und die 3-Monats-CHF-Libor-Zinsen vorerst nahe dem Nullniveau gehalten werden können. Sicher dürfte dies 2014 und vermutlich auch in 2015 noch der Fall sein, wenn keine Gefahr für Instabilität besteht. Erst wenn sich die Lage in Europa zumindest beruhigt hat und der Euro-Franken-Kurs sich dem Kaufkraftniveau von 1,30 CHF annähert, dann könnte man davon ausgehen, dass die SNB stillschweigend auf einen Mindestkurs verzichten dürfte. Solange aber die massiven Unsicherheiten weiter bestehen, wird die SNB kein Exit-Szenario ins Auge fassen.

Mit den Makrodaten, welche die Schweiz im Umfeld eines rezessiven Europas aufweist,  darf man sie getrost als Insel der Glückseligen bezeichnen. Dazu kommt noch die leicht negative Preisentwicklung, ohne deflationär zu wirken; all dies macht die Schweiz nun mal attraktiv. Wieso sollte der Franken dann eigentlich schwächer werden? Da müsste eher die Annäherung Europas an die Schweizer Verhältnisse für eine Veränderung der Wechselkurssituation sorgen. Aufgrund der Qualität der Schweizer Wirtschaft ist die SNB gezwungen, an ihrer Mindestkurspolitik und an ihrer grosszügigen Geldpolitik festzuhalten. Deshalb hat sie ja auch ein besonderes Auge auf das Verhalten der Banken am Immobilienmarkt geworfen.

Wo orten Sie die grössten Unsicherheitsfaktoren für die Schweiz in den kommenden Jahren ?

Die grössten Gefahren für die Schweiz lauern in Europa, ihrem Hauptmarkt, und ihrem Verhältnis zur EU. In Europa herrscht ein Reformstau, vor allem im Süden. Es ist wichtig, dass dort nicht nur die Produktivität, sondern auch der soziale Zusammenhalt gefördert wird. Dort muss daher die Politik auch für mehr Marktwirtschaft und Demokratie in der Wirtschaft sorgen. Wenn Europa nicht wächst, werden auch die Jungen nicht in genügend Jobs gebracht werden können. Wichtig wird aber auch sein, dass die Schweiz ihr Verhältnis zur USA entschärft. Vor allem muss das offene Kapitel der Finanzindustrie konstruktiv abgeschlossen werden. Es ist der Schweiz bisher jedesmal letztlich erfolgreich gelungen, sich pragmatisch auf neue Herausforderungen einzustellen. Da bleibe ich also ganz zuversichtlich.

«Die gegenwärtige Eurokrise wird uns noch mindestens 2 Jahre beschäftigen.»

Wann kann man damit rechnen, dass die Schuldenkrise in Europa ausgestanden ist?

Die gegenwärtige Eurokrise wird uns noch mindestens 2 Jahre beschäftigen, wenn nicht noch länger. Mit Kroatien haben wir nun noch ein 28. EU-Land, das  strukturell noch viel Arbeit vor sich hat. Und es gibt immer noch Kandidaten, die in die Euro-Gruppe wollen, wie Polen, zum Beispiel. Aber wichtig wird auch sein, dass Europas Wirtschaft auf breiter Front wieder wächst. Es geht dabei um eine Kombination von einem  Entschuldungsprogramm für den Staat und einer Wachstumsförderung für die Privatwirtschaft. Die Programme zur Förderung der Jugendbeschäftigung in der EU klingen zwar gut, aber wichtiger wird sein, die jeweiligen nationalen Arbeitsmärkte zu flexibilisieren. In den  Ländern mit sehr militanten Gewerkschaften haben wir nämlich ein akutes Insider-Outsider Problem wie z.B. in Italien und Frankreich.

Insider sind die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer, die ihren weitgehend geschlossenen Klub sozusagen verteidigen und zwar nicht nur gegen die nicht organisierten Arbeitnehmer, sondern auch gegen die neuen Arbeitsmarktteilnehmer. Da wäre ein Reformprogramm, ähnlich wie die Agenda 2010 des damaligen deutschen Bundeskanzlers Schröder sehr hilfreich. Nur müssen die Politiker, die sich für starke Strukturreformen einsetzen, eine Art „Winkelried-Persönlichkeit“ mit historischer Perspektive aufweisen; denn meist können sie als Folge davon nicht viele Jahre an der Regierung erwarten. Nicht umsonst besitzt Deutschland nach den Schröder-Reformen heute das solideste  Wachstumspotenzial bei den Grossen in der EU, wenn auch nicht so hoch wie früher, aber mit einer relativ tiefen Arbeitslosenquote.

Wenn der Reformstau  in der EU nicht behoben wird, dann wird es extrem schwierig, wenn die lockere Geldpolitik mal auslaufen soll. Wachstum ist der Schlüssel zur Lösung der öffentlichen Schuldenkrise in Europa. Damit lässt sich der Schuldenabbau am einfachsten bewerkstelligen. Wenn mehr Arbeitnehmer ihre Sozialbeiträge und Steuern zahlen können, ist dies das Beste für ein Land; denn dann verringert sich die Verschuldung quasi automatisch. Gutes Beispiel sind die USA, die eine hohe öffentliche Verschuldung nach dem Ende des kalten Krieges durch starkes Wirtschaftswachstum abbauen konnten, so dass US-Präsident Bill Clinton am Ende seiner zweiten Amtszeit sogar einen Budgetüberschuss erzielte. Mit dieser Dynamik hätten die öffentlichen Finanzen der USA bereits 2013 entschuldet sein können, wenn nicht in den Folgejahren kostspielige Kriegsabenteuer  auch noch auf ein schwächeres Wachstum getroffen wären und dieses zusätzlich belastet hätten. Fazit: Wachstum ist der Schlüssel zur Lösung sozialer Probleme und des Schuldenabbaus. Dann wird auch der Druck auf die Zentralbanken nachlassen, die Lage mit ihrer extrem expansiven Geldpolitik zeitweilig zu entschärfen und damit den notwendigen und unbequemen öffentlichen Reform- und Sparbedarf  zu übertünchen.

«Man kann durchaus erwarten, dass der Aktienmarkt bei den wichtigsten Indizes der entwickelten Welt bis zum Jahresende noch im hohen einstelligen Bereich zulegt, falls der Aufschwung sich verfestigt.»

Was dürfen die Anleger an den Aktien- und Bondmärkten erwarten?

Für die Aktien- und Bondmärkte müssen wir uns auf eine ruppige Situation einstellen, je nachdem, wie die Kommunikation der Zentralbanken aussieht. EZB-Präsident  Mario Draghi hat eine Verschärfung der Geldpolitik in weite Ferne gerückt. Denn die Euro-Schuldenproblematik lässt derzeit gar keine andere Handlungsweise zu. Die Notenbankkommunikation kann immer wieder in den Vordergrund rücken und die Finanzmärkte verunsichern. Aktien von Blue Chips mit hoher Dividendenrendite sind längerfristig sicher die bessere Anlagealternative als Staatsanleihen, die wie Aktien sehr direkt auf jede Ankündigung der Zentralbanken reagieren dürften. Wenn man überhaupt am Anleihenmarkt tätig sein will, dann bei qualitativ interessanten, also vom Risiko her unterbewerteten Unternehmensanleihen oder Wandelanleihen, um etwas mehr vom Aktienmarkt zu profitieren. Man kann durchaus erwarten, dass der Aktienmarkt bei den wichtigsten Indizes der entwickelten Welt bis zum Jahresende noch im hohen einstelligen Bereich zulegt, falls der Aufschwung sich verfestigt.

Es kommt aber auch darauf an, wie die Zentralbanken kommunizieren. Denn man hat ja gerade gesehen, dass die Märkte kürzlich auf die Äusserungen von Fed-Präsident Bernanke überreagiert haben. Er hat klar gesagt, es wird vom Wirtschaftswachstum abhängen, wann das Fed  seine Politik wieder normalisiert. Die USA sind voraussichtlich eher mit einem Aufschwung konfrontiert als Euroland, das zyklisch hinterherhinkt. Für das Fed  ist eine Arbeitslosenquote von sieben Prozent jene  Grenze, bei der  Schluss ein soll mit dem “Quantitative Easing 3″, dem monatlichen Kauf von Schuldpapieren, Schluss mit der Nullzinspolitik soll aber erst ab einer Arbeitslosenquote von 6,5% sein. Dies dürfte allerdings kaum vor 2015 aktuell werden.  Also können wir davon ausgehen, dass in den kommenden beiden Jahren noch Tiefzinspolitik betrieben wird. Aber je nach Art der Verabschiedung von den unkonventionellen Massnahmen, werden Erschütterungen auf den Finanzmärkten nicht auszuschliessen  sein. Die Anleger sollten also weiterhin kritisch das Augenmerk auf die Finanzmärkte richten und hier strikt nach dem Qualitätsprinzip vorgehen.

Bedeutet der Preisrutsch von Gold also, dass die grössten Anlegerängste überwunden sind?

Gold ist als Anlage eine Versicherung gegen Abstürze an den Finanzmärkten, weil es uns für Krisenzeiten einen gewissen Werterhalt verspricht. Wenn die grössten Ängste beseitigt sind, Blue Chips interessant werden und die Realzinsen am Anleihenmarkt wieder leicht positiv ausfallen, dann  ist das Gift für den Goldmarkt. Ausgestiegen sind am Goldmarkt jüngst vor allem institutionelle Anleger, die kleinen Anleger in Münzen und Barren halten eher noch an Gold fest. Entsprechend dürften diese jeweiligen Goldanteile in den Portfolios eher bescheiden sein und als Notgroschen gelten Ein Ausstieg ist sicher da auch nicht angezeigt. Aber wir empfehlen heute keine aktiven Käufe von Gold für ein normales Anlage-Portfolio. Denn wir können uns durchaus vorstellen, dass das gelbe Metall weiter unter Druck steht, je besser sich die Wirtschaft und die Finanzmärkte erholen und letztere bessere, d.h. renditetragende Alternativen bieten.

«In Zukunft könnten uns die USA als Konjunktur- und Wachstumslokomotive positiv überraschen.»

Können die Schwellenländer sich als Wachstumslokomotive erweisen?

Die Schwellenländer und vor allem die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) leiden alle unter einem Reformstau, vor allem politischer Art.  Aber auch  in Ägypten oder der Türkei  ist die gebildete Mittelschicht ungenügend an der Entwicklung politisch beteiligt. Daher kommt es eben zu Unruhen und die Wirtschaft manchmal sogar kurzfristig zum Stillstand. Alle diese bevölkerungsreichen, konsumstarken Länder mit Investitionsphantasie  haben ihre strukturellen Reformen noch zu wenig voran getrieben und die Politik ist jetzt gefordert,  diese einzuleiten und der gebildeten Mittelschicht genügend Perspektiven zu bieten. Deshalb werden viele solcher Schwellenländer mit unsicheren sozialen Perspektiven in den nächsten 18 Monaten als mögliche Wachstumslokomotiven gegenüber früher eher enttäuschen. Politische Unruhen bzw. beschränkte Reformperspektiven sind eben  Gift für den Investor, weshalb die Aktienmärkte bisher auch überdurchschnittlich in solchen Ländern verloren haben. Denn die Anleger konzentrieren sich dann lieber auf bewährte und gute  Unternehmen in der entwickelten Welt bzw.auf  deren Aktien.

In Zukunft könnten uns die USA als Konjunktur- und Wachstumslokomotive positiv überraschen, wenn von der Politik nicht unnötige Hindernisse in den Weg gestellt werden. In den USA scheint derzeit das Wachstum keine Kopfschmerzen zu bereiten. Wichtig wird dort sein, sich auf eine Fiskalreform zu einigen, das ist dort das grösste Problem. Bei den Bankensanierungen  sind die USA weiter als die Eurozone, denn es gibt dort schon eine Bankenunion und einen entsprechenden Abwicklungsfonds. Institutionell ist die US Finanzindustrie also besser organisiert als in der Eurozone , die diesbezüglich noch recht zersplittert ist. Andererseits ist Europa mit der Schuldenbremse gegen die strukturellen öffentlichen Defizite schon etwas weiter als die USA. Europa kommt dagegen mit seinen Problemen als Wachstumslokomotive vorerst  kaum in  Frage, dazu müssen noch zu viele Reformen angestossen und bspw. drohende Abstürze von Portugal oder Griechenland verhindert werden.

«Wichtigstes Thema der nächsten Jahre dürfte deshalb sein: Wie können die Zentralbanken wieder ihre Politik normalisieren?»

Was könnte zum wichtigsten Thema der nächsten Jahre avancieren?

Wichtigstes Thema der nächsten Jahre dürfte deshalb sein: Wie können die Zentralbanken wieder ihre Politik normalisieren? Solange die öffentliche Verschuldung nicht nachhaltig auf dem Wege der Besserung ist, werden die betroffenen Zentralbanken allerdings expansiv bleiben müssen, so lautet das heutige Dilemma. Damit wird aber langfristig Inflationspotential aufgebaut , auch wenn Teuerung heute noch  kein Thema ist. Heute steht noch immer die Verhinderung der Deflation im Vordergrund, die zu Depression und allgemeinen Pessimismus führen könnte. Dann konsumieren und investieren Privatpersonen und Unternehmen heute weniger, weil es morgen ja günstigerer sein kann. Wenn aber diese Mentalität um sich greift, dann gibts schliesslich  kein Wachstum mehr, sondern eine Schrumpfung, was zusammen mit der Insider-Outsider-Problematik zu akuter sozialer Instabilität führen könnte.  Deflation ist destabilisierend für eine Demokratie, Inflation ist es auch, aber da ist noch Wachstum möglich, so dass sie deshalb das kleinere Übel darstellt. Es kommt vor allem darauf an, dass die Zentralbanken geschickt kommunizieren, dass sie klare Perspektiven mit ihrer Geldpolitik für die Wirtschaft bieten können. Bei der Normalisierung dürften sie in zwei Schritten vorgehen.

Die unkonventionellen, expansiven geldpolitischen Massnahmen sollten in den kommenden 18 Monaten auslaufen können und  bspw. Mario Draghi von der EZB dürfte dann auch kaum  noch mit  OMT beginnen. Die Abkehr von einer Nullzinspolitik, also der konventionellen expansiven Geldpolitik, dürfte dagegen kaum vor 2015 beginnen. In den USA muss das Fed  aufpassen, dass die langfristigen Zinsen und mit ihnen die Hypothekarzinsen nicht zu schnell  steigen, was das zarte Pflänzchen Immobilienmarkterholung erdrücken würde.  Und klar scheint auch, dass auch mit einer allmählichen Rückführung von QE3 die Liquidität für die US Wirtschaft vorerst nicht verkleinert wird. Aber man darf davon ausgehen, dass Fed-Präsident  Bernanke, der  die liquide Geldversorgung eingeleitet hat und der voraussichtlich nächsten Januar zurück treten wird, zumindest damit den Beginn der mittelfristigen Rückführung zur Normalität einleiten will. Die Abschaffung der unkonventionellen Massnahmen dürfte wohl  schon sein(e) Nachfolger(in) an die Hand nehmen. Die USA werden bei der Normalisierung der Geldpolitik die Chance des Vorreiters für andere Länder haben. Der Weg zur Normalisierung wird aber steinig werden.

Die Märkte erinnern inzwischen mit ihrer Liquiditätssucht an einen Alkoholkranken, dem der Schnaps langsam entzogen werden muss. Denn die Liquidität floss bisher vor allem in die Finanzmärkte und nicht in die Realwirtschaft. Es wird die grösste Herausforderung der Zentralbanken sein, diese Liquiditäts-Entziehungskur möglichst ohne grosse Schäden  durchzuführen. Damit ist aber vor allem auch die Politik gefordert, durch marktorientierte Reformen Wachstum zu fördern und damit den Marktteilnehmern nachhaltig glaubwürdige Perspektiven zu bieten. Letzteres ist für die Motivation der jeweiligen Gesellschaft entscheidend; denn diese Umbauphase wird zunächst auch Opfer verlangen, bevor die Ernte eines Aufschwungs eingefahren werden kann. Langfristig können die Zentralbanken die bereits bestehende immense Liquidität nicht weiter ausdehnen, um der Politik für fällige aber nicht umgesetzte Reformen noch mehr Zeit zu schaffen, weil damit die betroffenen Währungen auf Dauer letztlich entwertet werden. Man darf daher weiterhin gespannt sein; denn es gibt keine Patentrezepte für diesen Weg zurück zur Normalität.

Herr Acket, besten Dank für das Interview.

Zur Person:
Janwillem Acket , Jahrgang 1958, bekleidet seit anfangs 2003 den Posten als Group Chief Economist und Leiter Global Economic Research der Bank Julius Bär. In der gleichen Funktion war er bis 2002 im Julius Bär Asset Management und in den zwei Jahren zuvor als Chefökonom Schweiz der Bank Julius Bär tätig. Zwischen 1987 und 1998 gehörte er als Ökonom dem Schweizerischen Bankverein an,, zuletzt als Country Economist Switzerland. Bis zu seinem Eintritt bei Julius Bär arbeitete er als Head of Macroeconomic Research bei Warburg Dillon Read (UBS). Im Mai 2008 wurde er zum Beirat der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF-ETH) ernannt. Acket ist schweizerisch-niederländischer  Doppelbürger, verheiratet und Vater zweier Töchter.

Das Unternehmen:
Julius Bär ist einer der führende Private Banking-Gruppe der Schweiz, ausschliesslich ausgerichtet auf die Betreuung und Beratung von Privatkunden.  Bank Julius Bär & Co. AG verfügt über ein A1 Rating von Moody’s. Die Kundenvermögen der Gruppe betrugen per Ende April 2013 CHF 309 Milliarden, wovon CHF 220 Milliarden auf die verwalteten Vermögen entfielen.. Die Bank Julius Bär & Co. AG, die renommierte Privatbank, deren Ursprünge bis ins Jahr 1890 zurückreichen, ist die wichtigste operative Gesellschaft der Julius Bär Gruppe AG. Ihre Aktien sind an der SIX Swiss Exchange (Ticker-Symbol: BAER) kotiert und bilden Teil des Swiss Market Index (SMI), welcher die 20 grössten und liquidesten Schweizer Aktien umfasst. Julius Bär beschäftigt mehr als 3’700 Mitarbeitende in über 20 Ländern und rund 40 Standorten – unter anderem in Zürich (Hauptsitz), Dubai, Frankfurt, Genf, Hongkong, London, Lugano, Mailand, Monaco, Montevideo, Moskau und Singapur.

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