Johann Reiter, CEO Vetropack-Gruppe, im Interview

Johann Reiter, CEO Vetropack-Gruppe, im Interview
Johann Reiter, CEO Vetropack-Gruppe. (Foto: zvg)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Reiter, im zweiten Halbjahr wurden weniger Glasflaschen nachgefragt. Dabei raten doch Ernährungswissenschaftler ausreichend zu trinken?

Johann Reiter: Das stimmt, und wenn der Zusammenhang so einfach wäre, stände unsere Branche im Moment sicher besser da. Ich gehe zwar davon aus, dass die Menschen weiter ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen – aber sie «kaufen» definitiv weniger Getränke. Das zeigen zumindest alle Statistiken des Handels: Die Konsumlaune bei den Verbrauchern ist im vergangenen Jahr drastisch gesunken – und die Folgen bekommen nicht nur wir, sondern die gesamte Verpackungsbranche zu spüren. Denn wenn weniger Konsumgüter gekauft werden, werden auch weniger Lebensmittelverpackungen benötigt.

Also ist der Verbraucher schuld?

Die Verbraucher in den europäischen Kernmärkten sind durch Inflation, Krieg und die Wirtschaftssituation insgesamt stark verunsichert und halten sich bei Konsumkäufen stark zurück. Das trifft uns, ohne dass wir das gross ändern könnten. Wir bleiben zwar optimistisch, dass das eine vorübergehende Situation ist, und sie sich auch wieder in die andere Richtung entwickeln wird. Erste vorsichtige Anzeichen dafür gibt es auch bereits. Bis dahin müssen wir allerdings den Markt weiter sehr genau beobachten und etwa durch das proaktive Management unserer Produktionskapazitäten gegensteuern.

«Es geht bei St-Prex im Kern nicht darum, Überkapazitäten in der Gruppe auszugleichen, sondern um die Zukunftsfähigkeit dieses Werks selbst.»
Johann Reiter, CEO Vetropack-Gruppe

Um die Überkapazitäten auszugleichen, prüft Vetropack die Schliessung des Schweizer Standortes St-Prex voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2024. Wie hoch schätzen Sie das Risiko: Fifty/Fifty?

Da müssen wir klar unterscheiden: Es geht bei St-Prex im Kern nicht darum, Überkapazitäten in der Gruppe auszugleichen, sondern um die Zukunftsfähigkeit dieses Werks selbst. Es ist kein Geheimnis, dass dieses schon seit vielen Jahren mit Schwierigkeiten im Hinblick auf den Standort und seine Wettbewerbsfähigkeit kämpft. Die aktuelle Marksituation ist also nicht der Hauptgrund für die Situation, auch wenn es diese noch verschärft.

Ob das Werk in St-Prex geschlossen wird, das wird der Verwaltungsrat erst nach Abschluss der Konsultationsphase entscheiden. Die Entscheidung hängt dabei ganz davon ab, ob und welche Alternativvorschläge ihm unterbreitet werden. Da das Konsultationsverfahren noch läuft und ich diese Alternativvorschläge nicht kenne, kann ich auch keine Einschätzung dazu geben.

Im Mai 2023 wurde die Glasproduktion im kriegsbeschädigten ukrainischen Werk Gostomel nahe Kiew wieder aufgenommen und eine Stiftung gegründet – ein wichtiges Signal der Solidarität mit Ihren ukrainischen Kollegen. Vetropack hat viele Werke in Osteuropa. Wie sehr beeinflussen die politischen Unsicherheiten das Geschäft?

Die vergangenen Jahre haben das ja mehr als deutlich gezeigt: Krieg, aber auch andere politische Entwicklungen haben einen direkten Einfluss auf unsere Gesellschaft und damit auf unser Geschäft – ohne dass wir diese umgekehrt beeinflussen könnten. Dies gilt übrigens nicht nur für unsere Werke in Osteuropa. Unser Standort in der Ukraine ist zwar am direktesten und dramatischsten vom russischen Angriffskrieg betroffen. Die Auswirkungen wie Energiekrise und Inflation aber haben wir gruppenweit zu spüren bekommen – und spüren sie immer noch. Umso wichtiger ist es nun, uns so aufzustellen, dass wir schnell auf solche Entwicklungen reagieren können. Der Zusammenhalt und die Solidarität innerhalb unserer Gruppe, wie wir sie im Fall von Gostomel gezeigt haben, sind da auf jeden Fall ein enorm wichtiger Faktor.

Die Investitionen stiegen 2023 mehr als 20 Prozent auf 238 Millionen Franken. Auch wenn 2024 wieder zu einem Übergangsjahr wird, was erwarten Sie für 2025?

Wir haben in der Tat nicht nur 2023, sondern bereits in den Jahren zuvor viel in die Modernisierung und den Ausbau unserer Werke investiert. Wir sind stolz darauf, einer der Markt- und Technologieführer in Europa zu sein – gerade, weil wir kontinuierlich in unsere Produktionsanlagen, moderne Technologien sowie Forschung und Entwicklung investieren. Das stärkt sowohl unsere Marktposition als auch unsere Innovationskraft. 2023 war vor allem geprägt durch die Investition in unser neues Werk in Italien sowie die neue Schmelzanlage im tschechischen Werk in Kyjov. 2024 ist unter ganz anderen Voraussetzungen gestartet, und unsere Investitionstätigkeiten werden sich auf die essenziell notwendigen beschränken. Im Hinblick auf die Vorbereitung von wichtigen Ersatzinvestitionen wird 2025 eine wichtige Rolle spielen.

«Wir haben in der Tat nicht nur 2023, sondern bereits in den Jahren zuvor viel in die Modernisierung und den Ausbau unserer Werke investiert.»

Und welche Rolle wird das im letzten Jahr neu eröffnete moderne Werk in Boffalora sopra Ticino spielen?

Die Eröffnung von Boffalora sopra Ticino war ganz zweifellos ein enorm wichtiger Meilenstein für uns. Es ist nicht nur eines der modernsten Werke in unserer Gruppe, sondern in ganz Europa. Boffalora verkörpert in vieler Hinsicht unsere Vision einer nachhaltigen und zugleich innovativen Glasproduktion – mit geschlossenen Kreislaufsystemen für die Wiederverwendung von Wasser und Abwärme und smarter Technologie für effiziente Prozesse in Produktion und Lager. Das neue Werk ermöglicht zudem eine flexiblere Produktion mit kleineren Chargen. Dies wird uns künftig dabei helfen, schneller auf dynamische Marktbedingungen zu reagieren. Es ist also wirklich eine Glasfabrik der Zukunft.

Zur Fertigung genutztes Wasser und die Abwärme der Schmelzwannen werden dank Kreislaufsystemen so weit möglich wiederverwendet, Emissionen mithilfe neuester Filteranlagen stark reduziert. Das ist sicherlich nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für die Stromrechnung?

Es ist zuallererst einmal gut für die Umwelt. Wir investieren viel in Technologien, die unsere Produktion und damit auch unsere Produkte nachhaltiger, klima- und umweltfreundlicher machen. Wir tun das, weil wir uns in der Verantwortung sehen und wir überzeugt sind, dass sich die globalen Klimaziele nur erreichen lassen, wenn wirklich jeder seinen Beitrag leistet.

Andererseits sind wir natürlich eine wirtschaftliche denkende Unternehmensgruppe. Wir müssen das Geld, das wir in nachhaltige Technologien stecken, erst einmal mit dem Verkauf unserer Produkte verdienen. Für uns ist Nachhaltigkeit deshalb ein wichtiger Eckpfeiler unserer Strategie 2030, der aber eng mit anderen Zielen wie beispielsweise Wirtschaftlichkeit, Innovation und Qualität in Zusammenhang steht. Nachhaltigkeit ist also ein integraler Bestandteil unserer Geschäftsstrategie und soll sich für uns entsprechend immer auch auszahlen.

Zu meinem Geburtstag bekam ich eine 0.7l-Flasche schweren apulischen Wein geschenkt. Mit der hätte man jemanden erschlagen können. Wird sich Vetropacks Leichtglas Echovai vielleicht auf für Weinflaschen durchsetzen?

Derzeit bieten wir Echovai-Flaschen tatsächlich erst einmal nur als 0,33 Liter-Mehrweggebinde, insbesondere für Bier, an. In diesem Bereich sehen wir auch besonders grosses Potenzial für Mehrwegflaschen aus gehärtetem Leichtglas. Das Echovai-Verfahren ist aber nicht auf Mehrwegbierflaschen beschränkt, sondern natürlich auch für die Herstellung anderer Glasflaschen und Formen, also auch für Weinflaschen geeignet.

«Glas ist nicht nur eine der ältesten Verpackungslösungen, sondern auch eine der zukunftsträchtigsten.»

Vetropack bietet rund 2500 verschiedene Glasverpackungen an. Wie weit hat dabei der Kunde Entscheidungsfreiheit beim Design?

Die Zahl sagt es bereits: Der Kunde hat bei uns alle Möglichkeiten was die Form, Grösse und Farbe seiner Glasbehälter betrifft. Das ist ja gerade das Grossartige an Glas: Es ist nicht nur eine sehr nachhaltige, zu 100 Prozent recycelbare Verpackung ohne gesundheitsschädliche Substanzen. Es bietet darüber hinaus beim Design volle Gestaltungsfreiheit. Auch deshalb sind wir überzeugt, dass Glas nicht nur eine der ältesten Verpackungslösungen ist, sondern auch eine der zukunftsträchtigsten.

Vor etwa einem halben Jahrhundert begann Vetropack als erste in der Schweiz, ein Recyclingsystem für Altglas aufzubauen. Jetzt liegt die Gesamt-Recyclingquote bei 56 Prozent. Was wäre der realistische Idealwert?

Ideal wäre natürlich ein Wert, der nahe 100 Prozent liegt. Ambitioniert, aber durchaus realistisch erachten wir eine Recyclingquote von 70 Prozent für die Gruppe bis 2030. Entsprechend haben wir dies in unserer Strategie 2030 als Zielwert formuliert.

«Wir denken auch darüber nach, Glasflaschen künftig nicht mehr nur zu verkaufen, sondern Kunden die Möglichkeit zu bieten, diese zu leihen oder zu leasen.»

Sie sprechen in Ihrer Strategie 2030 nicht nur von Marktinnovationen, sondern auch von vollkommen neuen Geschäftsmodellen. Wie könnten Letztere aussehen?

Gemeint sind Geschäftsmodelle, die an unser bisheriges – also die Produktion und den Verkauf von Glasbehältern – anschliessen, es ergänzen und erweitern. Dazu muss man sehen, dass Innovation sich bei uns eben nicht nur auf Produkte, sondern auch Technologien und Verfahren in der Herstellung bezieht. Die Echovai-Flaschen sind ein hochinnovatives Produkt mit enormem Marktpotenzial. Diese Innovation ist aber nur möglich durch ein mindestens ebenso innovatives Verfahren der thermischen Härtung von Glasflaschen. Ein neues Geschäftsmodell könnte zum Beispiel also sein, diese Technologie künftig auch über ein Lizenzverfahren anderen Glasherstellern anzubieten. Wir denken auch darüber nach, Glasflaschen künftig nicht mehr nur zu verkaufen, sondern Kunden die Möglichkeit zu bieten, diese zu leihen oder zu leasen. Auch das wäre ein Geschäftsmodell, das in unserer Branche bislang nicht etabliert ist, uns aber durchaus Potenzial zu haben scheint.

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