Michio Kaku: Tapeten-TV und Wunder-Kontaktlinsen

Michio Kaku: Tapeten-TV und Wunder-Kontaktlinsen

Michio Kaku

Künstliche Intelligenz, erweiterte Realität, regenerative Medizin und Fusionsenergie stehen vor der Tür, ist Michio Kaku überzeugt. Diese neuen Technologien werden die Weltwirtschaft von Grund auf verändern. Es komme die Zeit des perfekten Kapitalismus, so der der Futurologe und Wissenschaftler in einem Interview.

Von Dorothée Enskog, Credit Suisse, [email protected]
Interview erschienen im Credit Suisse e-Magazine: emagazine.credit-suisse.com

Dorothee Enskog: Herr Kaku, Sie sind ursprünglich Physiker. Inwiefern hilft Ihnen Ihr akademischer Hintergrund, die Zukunft vorherzusagen?

Michio Kaku: Jede bahnbrechende Technologie des 20. Jahrhunderts ist Physikern zu verdanken, und heute erfinden wir Physiker das 21. Jahrhundert. Unsere Arbeiten werden die Medizin, die Finanzwelt, den Handel und unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen beeinflussen.

Welcher Art werden die Auswirkungen auf die Finanzwelt sein?

In den nächsten zehn Jahren werden die Computer tausendmal so schnell sein wie heute. Mit anderen Worten: Sie haben dann nur noch ein Tausendstel ihres heutigen Preises. Sie werden etwa das sein, was Elektrizität heute ist: überall und nirgends. Die Zukunft der EDV heisst Cloud Computing. Wir werden auch über flexible Monitore verfügen. Diese Monitore kann man zusammenknüllen, denn sie werden aus intelligentem Papier bestehen. In zehn bis 15 Jahren werden Computer-Chips nur noch einen Rappen kosten. Tapeten werden ebenfalls intelligent sein. Wir werden gegen die Wand reden und so deren Farbe oder die Bilder, die an ihr hängen, verändern. Auch der Fernsehbildschirm ist dann in die Wand integriert. Wir sind gegenwärtig dabei, eine derartige intelligente Tapete zu entwickeln.

Ein anderes Bespiel ist die Kontaktlinse, die ebenfalls intelligent sein wird. Sie ist in der Lage, die Person zu identifizieren, mit der man gerade spricht, und daraufhin deren persönliche Daten in die Linse einzublenden. Sollte die Person eine Fremdsprache sprechen, werden die entsprechenden Übersetzungen in Echtzeit eingeblendet. Auch dafür gibt es bereits erste Prototypen.

Diese Linsen werden ebenfalls in der Lage sein, in dem Augenblick, in dem Sie einen Lebensmittel- oder Spielzeugladen betreten, alle Produkte einzuscannen und dann die Preise oder den billigsten Anbieter anzuzeigen. Dies wird den Kapitalismus von Grund auf verändern. Heute leben wir noch in einer Welt des suboptimalen Kapitalismus. Sie wissen nicht, was ein Produkt genau kostet und wo sie das billigste Bier oder das billigste Spielzeug bekommen. Zukünftig wird Ihnen dies Ihre Kontaktlinse verraten. Das ist der perfekte Kapitalismus, denn nun treffen sich Angebot und Nachfrage genau dort, wo sie sollen. Dadurch wird der Konsument neu im Vorteil sein, denn er sieht jetzt auf einen Blick alle relevanten Preise.

Wer wird sonst noch von dieser «Kontaktlinse» tangiert?

Zum Beispiel Studenten bei ihren Prüfungen. Ein Lidschlag und schon sehen sie die richtige Antwort. Das macht eine Anpassung der Prüfungen nötig, und die Bedeutung des Auswendiglernens wird sich verringern.

Auswirkungen hat die Linse auch auf den Fremdenverkehr. Es gibt Rombesucher, die enttäuscht sind, dass vom römischen Reich nur noch Ruinen übrig sind. Doch schon bald wird die Linse die Bauwerke rekonstruieren können. Die dazu notwendige Technologie gibt es bereits. Eine chinesische Stadt, die im letzten Opiumkrieg zerstört wurde, konnte durch diese Art der Animation rekonstruiert werden. Heute können Sie durch die Stadt spazieren und erleben, wie sie einmal aussah.

Das Militär wird diese Technologie auf dem Gefechtsfeld einsetzen. Dann können die Soldaten sofort Freund und Feind oder auch Flugzeuge mit einem einzigen Lidschlag lokalisieren.

Wer forscht denn in diesem Bereich?

Es gibt zahlreiche Forschungsabteilungen auf der ganzen Welt, die sich damit beschäftigen. Das ist ein riesiges Geschäft. Diese Dinge sind noch nicht im Handel, denn sie sind bisher sehr teuer, doch früher oder später werden sie unser Leben verändern. In einem Museum wird Ihnen die Linse die Exponate und ihre Geschichte beschreiben. Sollten Sie einmal nachts den Sternenhimmel betrachten, wird sie Ihnen auch gleich die Namen der Himmelskörper und die der Sternbilder, schwarzen Löcher und Supernovae liefern.

Welche Folgen werden diese tiefgreifenden Veränderungen für den Arbeitsmarkt haben?

Es gab Befürchtungen, dass zwischen den digital Reichen und den digital Armen ein Gefälle entsteht. Doch dies wird es nicht geben, denn die Rechenleistung ist inzwischen so billig, dass sogar Bewohner der Armenviertel Zugang zu Computern haben. Allerdings wird die künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt revolutionieren.

Roboter werden immer intelligenter. Es gibt allerdings zwei Dinge, die sie nicht werden leisten können. Einmal können sie nicht verstehen, was sie sehen. Roboter sehen nur geometrische Muster: Linien, Kreise, Quadrate und Dreiecke. Sie können eine Tasse nicht von einer Person oder einem Handy unterscheiden. Zweitens haben sie keinen gesunden Menschenverstand, der ihnen sagen würde, dass Wasser nass ist oder dass man an einem Faden zieht und ihn nicht drückt. Über derartige Sachverhalte macht die Mathematik keine Aussagen.

Aufgaben, zu denen man Kreativität, Vorstellungskraft, Talent, Analyse- oder Führungsfähigkeit braucht, überschreiten die Grenzen eines jeden Computers oder Roboters. Zu den Verlierern am Arbeitsmarkt werden daher alle diejenigen gehören, die mechanisch Arbeiten verrichten, denn das können Roboter besser. Manuelle Arbeiten, die weiterhin gefragt sein werden, sind daher abwechslungsreiche Arbeiten, für die man die Fähigkeit zur Mustererkennung benötigt. Bauarbeiter werden gebraucht, da jede Baustelle anders ist. Gärtner ebenfalls, denn jeder Garten ist anders. Oder auch Müllmänner, da der Müll ebenfalls sehr unterschiedlich ist. Auch Polizisten werden nicht arbeitslos, da jedes Verbrechen anders gelagert ist.

Im Dienstleistungsbereich sind die Zwischenhändler oder Mittelsmänner die Verlierer. Sie werden nicht mehr länger benötigt. Daher müssen sie Mehrwert bieten, müssen ihre langjährige Erfahrung, ihr Wissen, Tratsch und Insider-Informationen beisteuern. Roboter verfügen nicht über Erfahrungen, sie kennen keine Trends oder die Prinzipien einer neuen Steuerpolitik. Nehmen Sie etwa einen Immobilienmakler. Sie können sich im Internet eine Wohnung suchen und den gesamten Kauf online abwickeln. Dann hat der Makler eben seine Provision eingebüsst. Aber wenn es die erste Immobilie ist, die Sie erwerben, werden Sie sie dann wirklich online kaufen? Nein, dann wollen Sie mit einem menschlichen Wesen sprechen, wenn Sie mehr über die Kanalisation, die Verbrechensrate und die Schulen wissen wollen. Das sind Auskünfte, die sie von einem Immobilienmakler erwarten.

Der Kapitalismus wird dann nicht mehr länger auf Rohstoffen basieren, sondern auf intellektuellem Kapital. Heute stehen auf Ihrem Frühstückstisch Leckereien aus der ganzen Welt, über die vor hundert Jahren selbst der König von England nicht verfügte. Rohstoffe sind wie Nahrungsmittel extrem billig und werden in Zukunft sogar noch billiger sein.

Wodurch wird der gegenwärtige rohstoffbasierte Kapitalismus denn ersetzt?

Durch intellektuellen Kapitalismus, beziehungsweise durch all das, was Roboter nicht haben: gesunden Menschenverstand und Mustererkennung. Hier liegt der Reichtum der Zukunft. Und warum? Das Gehirn kann nicht industriell gefertigt werden. Nahrungsmittel können in Container gepackt, transportiert und in Massen hergestellt werden, doch das menschliche Gehirn kann nur auf natürlichem Weg entstehen.

Bei intellektuellem Kapital geht es nicht nur um Computer, sondern auch um Filme und Romane. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair sagte einmal, dass England mehr an der Rockmusik verdiene als an seinem Bergbau. Und warum? Weil Kohle maschinell abgebaut werden kann, während Rock’n’Roll nicht mit einer Maschine zu produzieren ist.

Die Währung der Zukunft wird nach und nach der gesunde Menschenverstand werden. China hat diesen Trend erkannt und dazu eine sehr einfache und erfolgreiche Strategie entwickelt. Es nutzt Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und den Export preiswert produzierter Massenprodukte, um Kapital anzuhäufen. Gleichzeitig schickt es seine besten Studenten in die USA oder nach Europa, um den Übergang zu intellektuellem Kapital zu bewerkstelligen. Andere Länder haben keine derartige Strategie. Sie investieren stark in die Landwirtschaft und werden langsam immer ärmer.

Welche weiteren Trends sehen Sie für das nächste Jahrzehnt voraus?

Erweiterte Realität. Das bedeutet die Wirklichkeit zu verdeutlichen, indem man sie realistischer macht. Das Militär möchte zum Beispiel liebend gerne durch Gegenstände hindurch sehen oder auch Gegenstände unsichtbar machen. Fliegt der Gegner unter sein Flugzeug, ist dessen Pilot blind. Wären jedoch Kameras unter seinem Flugzeug installiert, die die Bilder in seine Kontaktlinse projizieren, sähe er, wenn er nach unten blickt, was sich unter seinem Flieger befindet anstatt seiner eigenen Beine. Auf diese Art könnte er durch Gegenstände hindurch sehen.

Geologen werden ebenfalls die erweiterte Realität nutzen. Wenn sie nach Öl suchen, erhalten sie von Satelliten geschossene Radarbilder. Infrarotstrahlen werden es einmal möglich machen, durch Gegenstände hindurchzusehen und so das Öl zu lokalisieren.

Sind auch gedankengesteuerte Roboter denkbar?

Einfache Roboter dieser Art gibt es bereits heute. Honda verfügt über so ein Gerät, das vier Grundfunktionen ausführen kann. Es ist inzwischen auch möglich, einen Chip in ein Gehirn einzupflanzen, ihn mit einem Notebook zu verbinden und den Mauszeiger durch Denken über den Bildschirm zu führen. Patienten, die nach einem Gehirnschlag gelähmt sind, können diese Technologie schon heute nutzen, um im Internet zu surfen oder E-Mails zu schreiben. In Zukunft werden wir auch dank gedankenkontrollierter Objekte mit Computern interagieren können.

Von welchen Zeiträumen sprechen wir denn bei diesen Erfindungen?

Die Kontaktlinsen dürften in fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen, gedankenkontrollierte Roboter vielleicht in 20 Jahren.

Wie steht es mit dem Lesen von Gedanken? Wenn man Gedanken projizieren kann, kann man sie dann auch lesen?

NMR-Untersuchungen erlauben uns dies bereits (Anm. der Redaktion: NMR steht für Nuclear Magnetic Resonance). Mit NMR kann die Blutzirkulation analysiert werden. Sehen Sie einen Hund, dann wirkt sich das auf Ihre Blutzirkulation aus. Es ist möglich, ein Wörterbuch der Gedanken zu erstellen, indem wir die Gegenstände, die betrachtet werden, zu den NMR-Bildern in Bezug setzen. Das funktioniert zwar nicht 100-prozentig, aber in vier von fünf Fällen wird der Computer erkennen können, worauf Ihr Blick gerade gerichtet ist.

Sind irgendwann auch einmal Zeitreisen möglich?

Das wird noch Hunderte oder gar Tausende von Jahren dauern, denn dazu bedarf es ungeheurer Energien. In die Zukunft zu reisen ist hingegen einfach. Unsere Astronauten tun dies jedes Mal, wenn sie in den Weltraum aufbrechen. Erreicht man Lichtgeschwindigkeit, dann lebt man in einem gewissen Sinn ewig, da man Millionen von Jahren später in der Zukunft aufwacht.

Eine Reise in die Vergangenheit hingegen ist eine ganz andere Sache. Wir können nicht ausschliessen, dass es vielleicht gar kein Tor zur Vergangenheit gibt. Allerdings sind da diese schwarzen Löcher im All. Wohin verschwinden Gegenstände, die dort hineinfallen? Das wissen wir nicht. Vielleicht kommen sie ja in einem anderen Raum und einer anderen Zeit aus einem weissen Loch wieder heraus?

Wie wird die Welt ihren ständig steigenden Energiebedarf befriedigen können?

Ich sehe nicht, womit in den nächsten zehn Jahre Erdöl ersetzt werden könnte. Wir steuern auf chaotische Zustände zu, da verschiedene Energieträger miteinander in Wettbewerb stehen. Aber in zehn Jahren könnte Sonnenenergie durchaus billiger als fossile Brennstoffe sein.

Wäre denn Fusions- oder Atomenergie eine Lösung?

Problematisch an der Atomenergie sind die radioaktiven Abfälle. Bei der Fusionsenergie sieht es da schon besser aus. Die Franzosen bauen gerade den ITER-Fusionsreaktor in Cadarache. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass wir in der Zukunft einmal unendlich viel Energie aus einem Glas Wasser gewinnen können. Ein Glas Wasser wird vielleicht irgendwann einmal mehr Energie liefern als viele Hunderte Liter Benzin.

Wann wird denn dieser französische Fusionsreaktor angefahren werden?

2019. Aber es wird noch bis 2030 oder 2040 dauern, bis er ans Netz gehen kann.

Könnte also die Fusionsenergie all unsere Energiesorgen beseitigen?

Ja, das ist durchaus möglich. Allerdings ändert dies nichts daran, dass noch 30 Jahre lang enorme Mengen an Emissionen in die Luft geblasen werden. Und wie Sie ja wissen, sind bereits 50 Prozent des Nordpols weggeschmolzen. Grönland und Teile Alaskas tauen sehr schnell auf, was dazu führen wird, dass das Niveau des Meeres steigt und zahlreiche Küstenstriche gefährdet sind.

Was ist mit der Biotech-Revolution, die wir gerade erleben?

Das ist erst der Anfang. Wir werden bald in der Lage sein, Organe aus eigenen Körperzellen heranzuzüchten. Altern sie, produzieren wir einfach neue. Heute können wir bereits Haut, Knorpel, Nasen, Ohren, Blutgefässe und Herzklappen aus unseren eigenen Zellen herstellen. Die erste Blase wurde vor drei Jahren gezüchtet, in fünf Jahren könnten wir erstmals eine Leber haben, vielleicht sogar eine Bauchspeicheldrüse. Das bedeutet, dass Diabetes möglicherweise heilbar wird. Der wissenschaftliche Begriff für diese Technologie ist regenerative Medizin.

Werden wir also ewig leben?

Das ist ein anderes Thema. Organversagen wird in Zukunft keine entscheidende Todesursache mehr sein, da wir in der Lage sein werden, Organe zu ersetzen.

Was das ewige Leben angeht, sind wir dabei, den Alterungsprozess auf genetischer Ebene zu entschlüsseln. Alterung ist eine Häufung von Fehlern auf genetischer und zellularer Ebene. Der Alterungsprozess findet in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien, statt. Man altert nämlich nicht deshalb, weil man die Zellen nicht mehr reparieren kann.

Sie forschen als Physiker auf dem Feld der Stringtheorie, die ja bekanntlich von Parallelwelten ausgeht. Was muss man darunter verstehen?

Die Stringtheorie erklärt das Vorhandensein von Türen zu anderen Welten. Dies wird als Multiversum bezeichnet. Ein Multiversum ist wie ein Schaumbad, wo jede Schaumblase ein Universum darstellt. Sie treffen aufeinander, kollidieren und trennen sich wieder. Dieses Bild von Parallelwelten kann überprüft werden.

Das heisst, in einer dieser Parallelwelten wäre Elvis Presley noch immer am Leben?

Das weiss ich nicht. Alles, was ich weiss, ist das, was die Mathematik dazu sagt: In einer dieser Parallelwelten kann so etwas nicht generell ausgeschlossen werden.

Halten Sie es denn für möglich, dass in diesen Parallelwelten andere Menschen oder andere Lebensformen existieren?

Das ist denkbar. Es gibt eine Theorie, die als Vielweltentheorie bezeichnet wird und die postuliert, dass im Multiversum unendlich viele Kopien von uns existieren. Dieser Gedanke widerspricht auch nicht der Quantentheorie. Wer weiss, vielleicht könnten wir dieselbe Unterhaltung ja auch an einem anderen Ort führen?

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