Paolo Corredig, Länderverantwortlicher Schweiz von T. Rowe Price, im Interview

Paolo Corredig, Länderverantwortlicher Schweiz von T. Rowe Price, im Interview
Paolo Corredig, Länderverantwortlicher Schweiz von T. Rowe Price (Bild: T. Rowe Price)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Corredig, die Brüsseler Behörden erwarten für die Euro-Zone als Gesamtes vor allem dank Wachstum in Spanien und Frankreich keine Rezession. Innerhalb der Gruppe sehen sie aber eine Rezession für das Schlusslicht Deutschland. Was sind die Gründe für die schlechte Lage in Deutschland, welche Entwicklung erwarten Sie für die Schweiz? 

Paolo Corredig: Deutschland hat in der Vergangenheit massgeblich zum Wachstum und zur Exportstärke Europas beigetragen. Allerdings stehen wir nur vor einer Reihe von strukturellen Herausforderungen, wie der Überalterung der Bevölkerung und dem Fachkräftemangel, dem Aufstieg Chinas sowie der grundlegenden Änderung der Energieversorgung. Zusätzlich haben Wirtschaft und Haushalte aufgrund der enormen fiskalischen Anpassungen infolge des Entscheids des Verfassungsgerichts im letzten Jahr zu kämpfen. Diese Anpassungen dürften sich auf etwa 150 Mrd. EUR belaufen. Unser Chefvolkswirt für Europa, Tomasz Wieladek, geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft auch dieses Jahr ein negatives Wachstum verzeichnen wird.

«Wir werden eine Disinflation bei den Gütern sehen, die vor allem auf die Globalisierung und die Deflation aus China zurückzuführen ist, die über den Warenkanal nach Europa kommt.» Paolo Corredig, Länderverantwortlicher Schweiz von T. Rowe Price

Was würde Deutschland und Europa als Gesamtes helfen?

Ein plötzlicher Aufschwung in China und eine stärkere Nachfrage aus dem Rest der Welt könnten die Wirtschaft unterstützen. Eine Lockerung der Geldpolitik durch die EZB, beispielsweise durch eine Senkung der Zinsen, könnte ebenfalls helfen. Sobald die EZB positive Signale von den Löhnen erhält – denn das ist es, was sie derzeit besonders interessiert – wird sie wahrscheinlich die Zinsen senken. Dies könnte der Wirtschaft helfen, sich ein wenig zu erholen.

Glauben Sie, dass die Inflation auf das 2 %-Ziel zurückgeht? Oder erleben wir eine erneute Beschleunigung, zurück zu dem, was wir in den 1970er Jahren gesehen haben?

Um meinen Kollegen Tomasz nochmals zu zitieren: Wir gehen von einer Achterbahnfahrt aus. Die Inflation in der Eurozone wird in diesem Jahr voraussichtlich auf 2 % sinken, aber wir glauben, dass sie wieder ansteigen wird. Dies liegt vor allem am Dienstleistungssektor. Wir werden eine Disinflation bei den Gütern sehen, die vor allem auf die Globalisierung und die Deflation aus China zurückzuführen ist, die über den Warenkanal nach Europa kommt. Im Gegensatz dazu wird bei den Dienstleistungen, die von den inländischen Löhnen abhängen, ein Anstieg erwartet. Die Inflation im Dienstleistungssektor, die sich auf einem hohen Niveau befindet, wird daher voraussichtlich hartnäckig bleiben.

Die USA schrammten bis anhin an einer Rezession vorbei und könnten ein “soft landing” hinbekommen. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der USA für 2024?

Wir sind für die nächsten 12 bis 18 Monate optimistisch gestimmt und erwarten ein solides Wachstum der US-Wirtschaft. Dies liegt unter anderem daran, dass wir uns in einem Wahljahr befinden und staatliche Ausgaben die Wirtschaft ankurbeln. Unser Leiter Global Fixed Income, Arif Husain, bringt es jedoch auf den Punkt: Ein sanfter Übergang ist wohl Wunschdenken. Nach den Wahlen sind wir in Bezug auf die weitere Entwicklung der US-Wirtschaft deutlich vorsichtiger eingestellt.

Die Notenbanken spielen mit ihrer Zins- und Geldpolitik bei der Bekämpfung der Rezession. Welche Notenbanken haben es im Vergleich am besten hinbekommen?

Ganz offen gestanden, hat es niemand gut hinbekommen. Die Zinserhöhungen kamen relativ spät und dann dafür umso massiver und in kurzen Abständen. Sowohl die FED als auch die EZB haben eher reagiert als agiert. Die Fed will es auf jeden Fall tun, sie ist etwas besorgt über das Bankensystem und will die Realzinsen senken, aber sie weiss nicht wann. Auch die EZB ist sich des hohen Zinsniveaus bewusst, aber vielleicht nicht so sehr daran interessiert, die Zinsen zu senken. Was wirklich zählt, ist die Inflation.

Bei sich abschwächenden Rezessionsängsten dürfte auch der Risikoappetit im Anlagebereich wieder zunehmen. Welche Anlagestrategien stehen für Sie im Vordergrund und mit welcher Begründung?

Erstens, US Small Caps bieten attraktive relative Bewertungen und dürften besonders von Zinssenkungen profitieren. In Anbetracht der erhöhten wirtschaftlichen und monetären Unsicherheit bevorzugen wir jedoch eine Ausrichtung auf höhere Qualität. Des Weiteren sehen wir Potenzial in Real Assets, insbesondere in rohstoffbezogenen Aktien. Diese bieten nicht nur günstige Bewertungen, sondern auch eine attraktive Absicherung gegen eine potenziell hartnäckige Inflation. Schliesslich halten wir globale High-Yield-Anlagen im Auge. Die attraktiven absoluten Renditeniveaus bleiben unterstützend, auch wenn die enge Spreads ein zu optimistisches Umfeld signalisieren könnten. Die Ausfallraten dürften auf historisch langfristige Durchschnittswerte steigen, aber vieles dürfte bereits eingepreist sein.

«Wir sehen Potenzial in Real Assets, insbesondere in rohstoffbezogenen Aktien. Diese bieten nicht nur günstige Bewertungen, sondern auch eine attraktive Absicherung gegen eine potenziell hartnäckige Inflation.»

Sowohl für Private als auch Unternehmen wird der durch die Anlagen verursachte ökologische Fussabdruck immer wichtiger. Wie bedeutend ist das Thema im gesamten Portfolio für T. Rowe Price, welche konkreten Massnahmen treffen Sie, um einen möglichst positiven Effekt mit den Anlagestrategien zu erzielen?

Die öffentlichen Aktienmärkte sind für die Erreichung ökologischer und sozialer Ziele unerlässlich. Der Mythos, dass beim Impact Investing Rendite geopfert werden muss, gilt als überholt. Wir versuchen, unsere Investitionen an den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung auszurichten. Es geht darum zu verstehen, wo die Aktivitäten eines Unternehmens positive Auswirkungen haben können, zum Beispiel wie viel der Einnahmen eines Unternehmens aus der Steigerung der Energieeffizienz stammen oder inwiefern ein Unternehmen die finanzielle Inklusion fördern kann.

Derzeit investieren wir in ein Unternehmen, das seine Energieeffizienz verbessert, indem es Produktionsstätten besucht und nach Möglichkeiten sucht, alte Anlagen durch energieeffizientere zu ersetzen. In Bezug auf soziale Gerechtigkeit sind wir in eine Reihe von Banken investiert, von denen wir glauben, dass sie die finanzielle Eingliederung erweitern können. In Brasilien sind wir an einer digitalen Bank beteiligt, die erfolgreich in das brasilianische Finanzsystem integriert wurde. Vor ein paar Jahren hatte sie nur etwa zwei Millionen Kunden, jetzt hat sie jedoch fast 70 Millionen Kunden. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf Einzelpersonen und die Gesellschaft haben. Zum Beispiel durch die Finanzierung des Kaufs eines Motorrads, das die Mobilität fördert, durch Investitionen in eine Geschäftsidee, die Arbeitsplätze schafft, oder durch den Kauf eines Eigenheims, in dem man leben kann.

«Diese einzigartige Technologie (Künstliche Intelligenz) hat das Potenzial, die grösste Produktivitätssteigerung für die Weltwirtschaft seit der Elektrizität zu sein, und wir richten unsere Strategie darauf aus, dieses sich rasch verändernde Umfeld mit Augenmass zu managen.»

Wir sind davon überzeugt, dass diese Art von Unternehmen das Potenzial hat, das Leben der Menschen zu verändern, indem es die finanzielle Eingliederung fördert. Dabei geht es jedoch nicht um Wirkung um jeden Preis. Das Unternehmen muss auch unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Rendite attraktiv sein.

In der Weltwirtschaft geht nichts mehr ohne Digitalisierung, Roboadvisors und künstliche Intelligenz. Wie beurteilen Sie das Thema?

Künstliche Intelligenz ist ein wichtiges Thema in Führungsetagen und der Öffentlichkeit. KI wird in fast alle Bereiche unseres täglichen Lebens Einzug halten. Diese einzigartige Technologie hat das Potenzial, die grösste Produktivitätssteigerung für die Weltwirtschaft seit der Elektrizität zu sein, und wir richten unsere Strategie darauf aus, dieses sich rasch verändernde Umfeld mit Augenmass zu managen. Es wird erwartet, dass der gesamte adressierbare Markt für KI-Chips von 30 Milliarden Dollar in diesem Jahr auf 150 Milliarden Dollar im Jahr 2027 rasant wachsen wird. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von etwa 50 %. Die Entwicklung von KI hat einen bedeutenden Einfluss auf den Markt für Rechenzentren. Digitale Halbleiter spielen dabei eine Schlüsselrolle.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Mit Blick auf die Finanzmärkte wünsche ich mir, dass die Zentralbanken die Inflation langfristig in den Griff bekommen und damit wieder Spielraum an der Zinsfront gewinnen. Geopolitisch hoffe ich natürlich, dass die zahlreichen Konflikte gelöst werden.


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